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Robert Luchs
Kein Krieg der Generationen
Philippika gegen Altersrassismus
Zum ersten Mal entsteht etwas, was in der Evolution nicht
vorgesehen war: Eine nicht mehr fortpflanzungsfähige Gruppe,
die ihren biologischen Zweck längst erfüllt hat, bildet
die Mehrheit innerhalb einer Gemeinschaft. Zum ersten Mal in der
Menschheitsgeschichte wird die Zahl der Älteren
größer sein als die der Kinder. Im Jahre 2050 werden zum
Beispiel in China so viele über 65-Jährige leben, wie
heute auf der ganzen Welt.
Zunächst einmal ist es die Wucht der Zahlen und Fakten, mit
denen Frank Schirrmacher den Leser überwältigt. Hat die
Politik, egal welcher Couleur, die Lebenserwartung bisher immer zu
niedrig angesetzt und damit selbsttäuschend Zeit bis zu den
nächsten Wahlen gewonnen, so ist die demographische Vorhersage
unbestechlich und die Logik der Abreißkalender
unerschütterlich.
Brillant formuliert
Schirrmacher, einer der FAZ-Herausgeber, hat das Phänomen
des fortschreitenden Alterns in allen seinen Variationen
untersucht. Sein Ausgangspunkt ist nicht eine - über viele
Passagen brillant formulierte - Bestandsaufnahme, sondern der
gelungene Versuch, die stereotypen Bilder des Alterns zu
revolutionieren. Nur dadurch, so Schirrmachers ebenso schlichte wie
faszinierende These, könne dem Terror der Altersangst begegnet
werden und die Gesellschaft die Chance gewinnen, sich wieder zu
verjüngen.
Die Generation der Grauen muss und wird sich, prognostiziert der
Journalist, in einer global vernetzten Welt nicht an den Rand
drängen lassen, sondern mit ihren Chats, E-Mails, Bankkonten
und Wahlzetteln unablässig zu Wort melden. Den künftigen
Einfluss der vermeintlich Gebrechlichen schätzt der Autor
außerordentlich hoch ein, vorausgesetzt, sie werden von den
Jungen nicht als verwirrte und sozial auffällige Spezies
abgetan.
Nichts weniger als eine Kulturwende will der Autor erreichen.
Denn werde das bereits tief sitzende nega-tive Image des Alterns
von uns allen nicht geändert, dann würden die Jungen von
heute, die die Alten von morgen sind, für Jahrzehnte in die
seelische Versklavung gehen. Dabei sei die Wissenschaft dem
größten Teil der Gesellschaft, allen voran den
Politikern, weit voraus, weil sie das Bild von den senilen und
debilen Greisen kräftig korrigiert.
Schirrmacher weist schlüssig nach, dass der alternde Mensch
heute gleich zweimal zerstört wird: einmal durch die
Vorurteile und Klischees, die über sein Al-tern im Umlauf sind
und die ihn aus der Gesellschaft ausstoßen, dann
tatsächlich in corpore durch den Jahre nach dieser
Diffamierung einsetzenden und mit dem Tod endenden Prozess. Dabei
durchbricht die Lebenserwartung immer wieder Grenzen, die ihr
Mediziner und Statistiker gesetzt haben.
Würden Krankheiten wie Krebs und Herzinfarkte über
Nacht verschwinden, würde die Lebenserwartung nur um relativ
bescheidene 15 Jahre wachsen. Gelänge es aber, die Alterung
nur geringfügig hinaus zu zögern, wären Lebensalter
von 115 und mehr Jahren keine Seltenheit mehr.
Altersprozess unumkehrbar
Die Utopie wird eingeholt durch die Tatsache, dass der
Alterungsprozess für die nächsten 50 Jahre bereits
unumkehrbar ist. Der Autor zieht daraus den logischen Schluss, dass
alle Reparaturversuche zu spät kommen. Jetzt müsse es
darum gehen, schon aus Selbstschutz negative Altersvorstellungen zu
korrigieren, da sie zu Unmündigkeit wie auch zu einem Verlust
an Denkfähigkeit schon im frühen Alter führen.
Den bereits im Gesundheitswesen ansatzweise vorhandenen
Altersrassismus zu bekämpfen und zugleich die
schöpferische Kraft des Alters für die ganze Gesellschaft
auszubeuten, fordert Schirrmacher in seiner Analyse ein. Nur so
könne der Generationenkrieg vermieden werden, denn alle
demographisch bedingten Probleme beruhten ohne Ausnahme auf den
Verhaltensweisen der Menschen. Robert Luchs
Frank Schirrmacher
Das Methusalem-Komplott.
Karl Blessing Verlag, München 2004; 224 S., 16,- Euro
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