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Klaus J. Haller
Große Taten großer Pioniere
Neu-Amsterdam wurde New York
Peter Minuit kaufte freundlichen Indianern Manhattan, der Welt
teuerste Meile inzwischen, für Kleinkram im Werte von 60
Gulden ab. Peter Stuyvesant humpelte als Gouverneur von
Neu-Niederland mit einem Holzbein herum. Das lernen amerikanische
Schüler heute noch; ansonsten ist die niederländische
Kolonie an der amerikanischen Ostküste vergessen. Hoch standen
die Niederländer ohnehin nicht im Kurs. "To go Dutch" bedeutet
"getrennte Kasse machen", "Dutch courage" ist der Mut, den man sich
angetrunken hat.
Möglicherweise kommt Shortos Buch einer Wiedergutmachung
gleich. Shorto ist auf eine faszinierende Geschichte gestoßen.
Seit 30 Jahren versucht Charles Gehring in der New Yorker
Staatsbibliothek in Albany, 12.000 verblichene Seiten in der
verschnörkelten niederländischen Schrift des 17.
Jahrhunderts zu entziffern und zu übersetzen. Aus diesen
Gerichtsakten, Ratsprotokollen, Urkunden, Testamenten, Briefen und
Tagebuchaufzeichnungen destilliert Shorto eine überaus
lebendige Geschichte Neu-Niederlands, das vier Jahrzehnte
existierte, bevor die Briten es 1664 schluckten und Neu-Amsterdam
fortan New York nannten.
Wildreichtum an Hudson
Am Anfang steht Henry Hudson, der englische Seefahrer, immer
noch auf der Suche nach dem kürzesten Seeweg nach Asien,
diesmal im Auftrag der Niederländisch-Ostindischen Kompanie.
Als er erkennt, dass der Fluss, der seinen Namen trägt, auch
nicht nach Asien führt, segelt er heim. Seine Beschreibung des
Wildreichtums in diesem Teil Amerikas führt zur Gründung
der Niederländisch-Westindischen Kompanie und zur Anwerbung
der ersten Siedler, die aus dem heutigen Belgien stammten und
Französisch sprachen.
Dann taucht Peter Minuit aus Wesel, der in Utrecht
Diamantschleifer wurde, am Hudson River auf. Als gewählter
Führer der Kolonie verlagert er den Hauptsitz auf die
günstig erworbene Insel Manhattan. Er wird
zurückbeordert, taucht aber nach Jahren wieder auf, um eine
schwedische Kolonie zu gründen.
Nach Wirren mit den Indianern schickt die Westindische Kompanie
den energischen Friesen Peter Stuyvesant. In Adriaen van der Donck,
der in Leiden Jura studierte, als dort der Philosoph René
Descartes und der Staatsrechtler Hugo Grotius ein neues Zeitalter
einläuteten, erwächst ihm ein Gegenspieler. Ein
Diamantenhändler hatte den vielversprechenden Juristen
engagiert, damit er in seiner Privatkolonie, ebenfalls am Hudson,
für Ordnung und Umsatz sorge. Europa brauchte Massen von
Biberfellen für die Filzhutproduktion.
Tabak und Biberfelle
Shorto stilisiert van der Donck zum Liberalen, der jenseits von
Tabak und Biberfellen die Möglichkeiten des wilden Landes
erkennt. Der Westfälische Friede brachte den Niederlanden die
Unabhängigkeit. Wenig später plädierte van der Donck
vor den Generalstaaten im Haag, dass sie die Kolonie
übernehmen, Selbstverwaltungsrechte einräumen und
Stuyvesant zurückbeordern. Er überzeugt auf der ganzen
Linie und sieht bereits wie der künftige Führer
Neu-Niederlands aus, als als ein neuer Krieg mit England alles
über den Haufen wirft. Stuyvesant bleibt im Amt; van der Donck
verzichtet auf politischen Aktivitäten, um überhaupt nach
Amerika zurückkehren zu können. Dort dürfte er, 34
Jahre alt, von Indianern erschlagen worden sein. Die von ihm
geforderte Ratsverwaltung kam trotzdem zustande.
Wer sich für Geschichte und Geschichten interessiert, wird
diesen Band so schnell nicht aus der Hand legen. Auch wenn jeder,
der einmal die dramatische Baumasse Manhattans aus dem Meer wachsen
sah, größte Schwierigkeiten haben dürfte, sich an
diesem Ort Wälder, Hügel, Wiesen und Marschen
vorzustellen. An der Südspitze Manhattans, nicht weit vom
Standort des World Trade Centers, stand das niederländische
Fort. Dahinter sieht man auf alten Stichen eine Windmühle, wie
sie auch im heimischen Delft gestanden haben könnte. Auf New
Yorks Stadtsiegel von 1664 tauchen neben zwei Bibern
Windmühlenflügel auf.
Neu-Niederland
Shortos Geschichte Neu-Niederlands stellt teilweise den
nationalen Mythos der Pilgerväter und Puritaner infrage. Nicht
sie, sondern die Niederländer, suggeriert Shorto,
begründeten in Amerika das freie Unternehmertum, das
Vielvölkergemisch und die religiöse Toleranz. Da ihre
Kolonie nie profitabel wurde, hatte die Westindische Kompanie den
Handel freigegeben, was Abenteurer aus allen Himmelsrichtungen
anlockte. Wenn es einen Schmelztiegel gab, dann in Neu-Niederland,
in dem die religiöse Toleranz der Heimat ihre Entsprechung
fand. Zeitgenössische Berichte wissen das ausführlich zu
rühmen. Die Pilgerväter, die in den Niederlanden Zuflucht
gefunden hatten, bevor sie in Massachusetts das Neue Jerusalem
bauten, waren demgegenüber intolerant und feindselig
Andersgläubigen gegenüber.
Auch die Anfänge der demokratischen Selbstverwaltung
brachten die Niederländer in die Neue Welt. Ausdrücklich
respektierte die Charta New Yorks von 1686 alle Sonderrechte,
Freiheiten und Privilegien aus niederländischer Zeit, das
Wahlrecht eingeschlossen. Somit hätte das demokratische
Amerika Niederländern mehr zu verdanken als Coleslaw und
Cookies, als Santa Claus und den Boss. Klaus J. Haller
Russel Shorto
New York - Insel in der Mitte der Welt.
Wie die Stadt der Städte entstand.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2004; 444 S., 22,90 Euro
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