|
|
Hartmut Hausmann
162 neue Mitglieder in Straßburg
begrüßt - Hoffnung auf europäische Verfassung noch
im Juni?
Erste Sitzung des erweiterten
Europaparlaments
Zwei Tage nach der in allen EU-Ländern gefeierten Aufnahme
von zehn neuen Beitrittsländern wurden die Abgeordneten dieser
Völker im Europäischen Parlament in Straßburg
willkommen geheißen. Der irische Parlamentspräsident Pat
Cox begrüßte die 162 neuen Abgeordneten, die zusammen mit
ihren 626 Kollegen aus den bisherigen 15 Mitgliedstaaten das mit
788 Volksvertretern wohl größte Parlament Europas aller
Zeiten bilden werden. Aber nur bis zur Europawahl im Juni, denn
nach den Bestimmungen des Vertrags von Nizza wird es danach auf 732
Mitglieder reduziert, einige Altmitglieder dürfen nur noch
weniger Parlamentarier entsenden. Nur das bisher kleinste Land
Luxemburg mit sechs und das größte Land Deutschland mit
99 behalten ihre Mandatszahl.
Im Beisein des früheren polnischen Arbeiterführers
Lech Walesa, der mit seiner Gewerkschaftsbewegung den Umbruch im
Osten eingeleitet hatte, würdigte Cox einerseits den
entschlossen beschrittenen Weg der Länder in die EU, zugleich
aber auch die Rolle der europäischen Institutionen bei der
Erweiterung, insbesondere den konsequenten Einsatz von EU-Kommissar
Günter Verheugen. Der besondere Dank des Präsidenten galt
dem früheren ungarischen Außenminister und späteren
Ministerpräsidenten Gyula Horn, der ebenfalls anwesend war.
Horn war es, der im Sommer 1989 den Eisernen Vorhang zwischen
seinem Land und Österreich zerschnitten hatte und dafür
später den Karlspreis erhielt.
Erweiterungskommissar Günter Verheugen, für den mit
diesem Tag ein Traum in Erfüllung ging, sagte, dass das
Zusammentreten dieses frei gewählten Parlaments, das 25
souveräne Nationen vertrete, weit mehr darstelle, als die
Gründerväter der Union je zu träumen gewagt
hätten. Die Osterweiterung sei ein glänzender Beweis
für die Attraktivität des europäischen Gedankens.
Die Integration sei kein Eliteprojekt, sondern der erklärte
Willen der Völker. Kein Land in Europa allein sei heute in der
Lage, mit Problemen wie der Globalisierung, dem internationalen
Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität
fertig zu werden. Nationale Souveränität sei nur noch
dann zu verteidigen, wenn man gemeinsam mit anderen Nationen im
Bunde stehe.
Dass der Festtag ohne den Europarat überhaupt nicht
zustande gekommen wäre, darauf verwies als erster Sprecher der
neuen Abgeordneten der ungarische Liberale Eörsi. Er bedankte
sich deshalb vor allem bei der ebenfalls in Straßburg
ansässigen 45 Staaten umfassenden Organisation und deren Rolle
bei der Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten sowie bei
der Vermittlung wichtiger Werte. Ungarn gehörte zu Beginn der
90er-Jahre zu den ersten osteuropäischen Ländern, die mit
ihrer Aufnahme in den Europarat die Überwindung des eisernen
Vorhangs schafften.
Die Hoffnung in den EU-Institutionen auf eine Einigung über
die Europäische Verfassung noch im ersten Halbjahr hat sich
verstärkt. In der letzten großen Debatte des
Europäischen Parlaments vor der Europawahl zeigte sich der
amtierende EU-Ratspräsident, der irische Europaminister Dick
Roche, recht zuversichtlich, dass der Verfassungsvertrag für
die Europäische Union auf dem Brüsseler Gipfeltreffen am
17./18. Juni beschlossen wird: Man sei einer Einigung näher
als je zuvor. Es gebe aber unter den Regierungen noch
Meinungsverschiedenheiten über die Zusammensetzung der
Kommission. Eine Lösung könne darin liegen, für
längere Zeit einen Kommissar pro Land zu berufen und erst
erheblich später zu einer kleineren, nach dem Rotationsmodell
zusammengesetzten Kommission überzugehen. Mit einer noch am
selben Tag beginnenden Rundreise durch alle 25 EU-Hauptstädte
will Roche eine Kompromissgrundlage suchen. Allerdings machte er
deutlich, ohne Einzelheiten zu nennen, dass dies ohne weitere
Abstriche am Konventsentwurf wohl nicht gelingen werde.
Insgesamt sei man aber, erklärte Roche, sehr viel weiter
gekommen, als dies nach dem gescheiterten Brüsseler
Dezembergipfel für möglich gehalten wurde. Es bestehe
Einigkeit darüber, für was die EU zuständig sein
solle und wie die Befugnisse des Parlaments gestärkt
würden. Außerdem werde es eine Vereinfachung der
Rechtsinstrumente und handlungsfähige Institutionen geben.
Parlamentspräsident Pat Cox setzte sich wie viele Abgeordneten
in der Debatte über "die Zukunft der erweiterten Union"
dafür ein, dass die Regierungskonferenz zur Verfassung noch
vor den Europawahlen vom 10. bis 13. Juni abgeschlossen werden
solle, weil - so Cox - die Menschen ein Recht zu wissen haben, wozu
sie durch ihre Stimmabgabe aufgefordert werden. Dann könnten
die Wahlen zugleich zu eine Volksabstimmung über die
Verfassung werden.
Für die EVP-Fraktion hob deren Vorsitzender Hans-Gert
Pöttering (D) die jüdisch-christlichen Wurzeln bei der
Einigung Europas hervor und verlangte, diesen Bezug auch in die
Verfassungspräambel aufzunehmen. Der spanische Fraktionschef
der Sozialdemokraten, Enrique Baron Crespo, lehnte dagegen einen
solchen Bezug mit Verweis auf die laizistische Ausrichtung der
Union eindeutig ab. Für seine Gruppe stehe die
Solidarität im neuen Europa im Vordergrund.
Im Namen der liberalen Fraktion forderte Andrew Duff (GB) eine
Einbindung des Europarlaments in die Schlussverhandlungen der
Regierungskonferenz. Diese Beteiligung sei um so wichtiger, als es
offenbar Bestrebungen gebe, die Mitentscheidungsbefugnisse des
Europaparlaments im Finanzbereich zu schwächen. Für die
Grünen kritisierte Monica Frannoni (B) dass die
Regierungsverhandlungen geheim geführt würden. Das deute
auf einen Sieg jener Regierungen hin, denen die Interessen Europas
egal seien. H. H.
Zurück zur
Übersicht
|