kos
Wissenschaftler äußern sich kontrovers
zur Sparpolitik
Expertenanhörung
Finanzen. Die Kontroverse über die Fortführung der
Sparpolitik oder die zeitliche Streckung der Konsolidierungsphase
im Interesse einer Wachstumsankurbelung hat am 5. Mai die
öffentliche Sitzung des Finanzausschusses über das
Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen
Forschungsinstitute geprägt.
Für die Mehrheit der Sachverständigen wandte sich
Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft gegen eine
Aufweichung des Konsolidierungskurses und forderte die Einhaltung
der im EU-Stabilitätspakt verankerten
Drei-Prozent-Defizitgrenze: Die jetzt anlaufende Konjunkturerholung
müsse nicht mit staatlichen Ausgaben gestützt werden, so
Scheide. Im Namen der Minderheit der Gutachter betonte hingegen
Gustav A. Horn vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung, angesichts des nur schwachen Aufschwungs
seien "zusätzliche Sparpakete dysfunktional" und
verlängerten die Malaise. Ohne mehr Wachstum flössen auch
keine zusätzlichen Gelder in die Staatskassen, weshalb dann
auch keine Etatstabilisierung möglich sei, sagte Horn.
Kurs nicht aufweichen
Aus Sicht Scheides besteht ein Konsolidierungsbedarf in
Höhe von 12 Milliarden Euro, wenn Deutschland die
EU-Defizitgrenze von drei Prozent künftig nicht mehr
überschreiten wolle. Er erinnerte daran, dass der
EU-Stabilitätspakt im Kern sogar ausgeglichene Etats auf
nationaler Ebene vorgebe. Gerade bei einer anlaufenden
Konjunkturerholung müsse die Sparpolitik fortgeführt
werden, um im Falle einer neuen ökonomischen Schwäche
nicht von einem hohen Schuldenstand aus operieren zu müssen.
Scheide erklärte, das Ziel eines ausgeglichenen Etats
müsse durch Ausgabensenkungen realisiert werden. Die
Abgabenlast der Bürger dürfe nicht erhöht
werden.
Gebhard Flaig vom ifo-Institut warf der Regierung eine
widersprüchliche Haltung gegenüber dem
EU-Stabilitätspakt vor. Es sei keine klare Linie zu erkennen.
Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut
für Wirtschaftsforschung unterstrich, dass sich alle Gutachter
einvernehmlich für eine Umschichtung innerhalb des
Staatshaushalts einsetzen: Angesichts eines historischen Tiefs der
Investitionsquote im Etat müssten mehr Wachstumsimpulse
gegeben und mehr Mittel für Investitionen bereitgestellt
werden.
Nach Auffassung von Gustav A. Horn ist die bislang praktizierte
Stabilitätspolitik in der Bundesrepublik, aber auch in anderen
EU-Ländern gescheitert. Der Sachverständige betonte, dass
ein Etatdefizit von drei Prozent wegen der damit verbundenen
Einengung finanzpolitischer Spielräume auf Dauer nicht
hinzunehmen sei. Umstritten sei aber der Weg zum Ziel eines
ausgeglichenen Haushalts, der nach seiner Meinung auf mittlere
Sicht angestrebt werden soll. Mit Blick auf die nur schwache
Konjunkturerholung, so Horn, seien in der jetzigen Situation keine
weiteren staatlichen Ausgabenkürzungen vertretbar. Komme
allerdings ein wirtschaftlicher Aufschwung in Gang, so sollten die
dann stärker fließenden Staatseinnahmen für die
Etatkonsolidierung genutzt werden.
Als eine Belastung der deutschen Wirtschaft erweist sich laut
Horn nach wie vor die Art der Finanzierung der Wiedervereinigung.
Diese Kosten würden immer noch in hohem Maß den
Sozialsystemen aufgebürdet, wobei besonders die Rentenkassen
belastet würden. Finanziere man die Einheit mit ihrem enormen
Geldtransfer von West nach Ost vermehrt über Steuern, so
könnten nach den Berechnungen des Wissenschaftlers die
Sozialabgaben um fünf bis sechs Prozent sinken. Eckhardt
Wohlers vom Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv und Horn
plädierten dafür, die staatliche Förderung einzelner
Regionen stärker von deren konkreter ökonomischer Lage
und weniger von der Zugehörigkeit zu neuen oder alten
Ländern abhängig zu machen - schließlich
befänden sich auch Regionen im Westen in wirtschaftlichen
Schwierigkeiten. kos
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