Alexander Weinlein
Auftakt zum weltweiten Einsatz
... vor zehn Jahren am 22. Juli 1994: Bundestag
billigt Bundeswehreinsätze auf dem Balkan und in der
Adria
An die Bilder von Bundeswehrsoldaten in den Krisenregionen
dieser Welt haben sich die Deutschen mehr oder weniger
gewöhnt. Vom Balkan über Djibouti bis Afghanistan, von
der Beobachtermission bis zum Kampf gegen den internationalen
Terrorismus: Derzeit dienen rund 7.000 deutsche Soldatinnen und
Soldaten in Krisengebieten auf drei Kontinenten. Die möglichen
Einsatzgebiete der Bundeswehr erstrecken sich heute "auf die ganze
Welt", wie Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD)
betont.
Noch vor zehn Jahren hingegen barg die Frage, ob und an welchen
- auch bewaffneten - Einsätzen sich die Bundeswehr beteiligen
soll und darf, eine gebündelte Ladung innenpolitischen wie
verfassungsrechtlichen Sprengstoff. Im Sommer 1994 wurde dann ein
vorläufiger Schlusstrich unter die Diskussion gesetzt. Am 12.
Juli entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass
sowohl humanitäre wie auch militärische Einsätze der
deutschen Streitkräfte außerhalb des
NATO-Bündnisgebietes durch das Grundgesetz gedeckt seien -
einzige Bedingung: der Einsatz muss durch die einfache Mehrheit im
Deutschen Bundestag beschlossen werden.
Anlass für das so genannte "out-of-area"-Urteil aus
Karlsruhe waren Klagen der SPD- und der FDP-Bundestagsfraktionen
gegen die Einsätze der Bundeswehr in Somalia (Überwachung
des Waffenstillstandes zwischen den Bürgerkriegsparteien und
die Verteilung von Hilfsgütern) und auf dem Balkan
(Durchsetzung des UN-Embargos gegen Rest-Jugoslawien und
Überwachung des Flugverbots über Bosnien). Während
der Somalia-Einsatz zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung
bereits beendet war, dauerte der Balkan- und Adria-Einsatz der
Bundeswehr noch an. In der 150-seitigen Urteilsbegründung
stellten die Verfassungsrichter klar, dass sich Deutschland laut
Grundgesetz kollektiven Sicherheitssystemen und damit auch
internationalen militärischen Verbänden anschließen
dürfe. Gleichzeitig rügten sie es allerdings als
Verfassungsverstoß, dass die christlich-liberale
Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl die besagten
Einsätze ohne das Votum des Bundestages in den Jahren 1992 und
1993 verfügt hatte.
Dies holte die Bundesregierung dann zehn Tage nach dem Machtwort
aus Karlsruhe nach: In einer Sondersitzung des Deutschen
Bundestages am 22. Juli billigten 424 Bundestagsabgeordnete aus den
Reihen der CDU/CSU-, FDP- und der SPD-Fraktion in namentlicher
Abstimmung die Einsätze in der Adria und in Bosnien. Mit Nein
stimmten lediglich 48 Parlamentarier, 16 enthielten sich der
Stimme.
Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) begrüßte
in der Bundestagssitzung das Karlsruher Urteil ausdrücklich
und sah darin eine Bestätigung des außenpolitischen
Kurses der Bundesregierung: "Nach der Wiedervereinigung und
Wiedererlangung unserer vollen Souveränität ist die
deutsche Außen- und Sicherheitspolitik voll handlungs- und
bündnisfähig. Das gilt im Rahmen der UNO wie für
NATO, Europäische Union und WEU." Kinkel benannte zudem drei
Grundsätze für zukünftige Auslandseinsätze der
Bundeswehr. Erstens müssten sie völkerrechtlich eindeutig
zulässig sein, zweitens müsse die Messlatte höher
angelegt werden, je höher das Risiko für die Soldaten
sei, und drittens seien ein klares Mandat, die Erfüllbarkeit
des Auftrages und überzeugendes politisches
Lösungskonzept für den Konflikt notwendig. Eine
Militarisierung deutscher Außenpolitik werde es nicht
geben.
Bestätigt sahen sich jedoch nicht nur die Bundesregierung,
sondern auch die sozialdemokratische Opposition. Rudolf Scharping,
damaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und
SPD-Vorsitzender, betonte, durch den Karlsruher Richterspruch seien
endlich die Rechte des Bundestages geklärt worden - die
Bundeswehr bleibe ein Parlamentsheer. Harsche Kritik übte
Scharping am Verhalten der FDP: "Herr Bundesaußenminister,
wenn ich es richtig weiß, ist ihre Partei diejenige gewesen,
die es in der deutschen Parlamentsgeschichte als erste und bisher
einzige fertiggebracht hat, in einer Regierung bei Entscheidungen
dabeizusitzen und mit ihrer Bundestagsfraktion gegen die gleichen
Entscheidungen zu klagen."
Auf Ablehnung stießen die Bundeswehreinsätze vor allem
bei der PDS und den Grünen. Doch während die Sozialisten
bis heute alle Formen militärischen Eingreifens zur
Eindämmung von Konflikten ablehnen, setzte bei den Grünen
- verstärkt nach dem Einzug in die Bundesregierung 1998 - eine
heftige Diskussion ein, die die Partei im Falle der
Bundeswehrbeteiligung am Kosovo-Krieg im selben Jahr vor die
Zerreißprobe stellte. Alexander Weinlein
Zurück zur
Übersicht
|