Nicole Alexander
Kein Beruf ohne Schule
Damals ... vor 35 Jahren am 14. August 1969: Der
Deutsche Bundestag verabschiedet das
Berufsbildungsgesetz
Kein junger Mensch, der heute in die Arbeitswelt eintritt, kann
noch damit rechnen, dass er das Rüstzeug einer relativ kurzen
Ausbildung lebenslang anwenden kann. Das bedeutet keineswegs eine
Abwertung der Ausbildung; ihr kommt aber jetzt und in Zukunft eine
ganz andere Rolle zu. Sie muss eine breite funktionale Grundlage
für den ganzen weiteren Berufsweg bilden. Die Fragen der
Fortbildung und beruflichen Neuorientierung werden in Zukunft
gleichrangig neben der erstmaligen beruflichen Ausbildung stehen."
Diese Sätze stammen nicht etwa aus der aktuellen Debatte
über die Flexibilisierung von
Beschäftigungsverhältnissen im Zeitalter der
Globalisierung. Gesagt wurden sie 1969 - vom Minister für
Arbeit und Sozialordnung Hans Katzer (CDU) bei den Beratungen
über das Berufsbildungsgesetz.
Mit diesem wurde ein Meilenstein in der Geschichte der
beruflichen Bildung gesetzt. Denn nicht nur lag dem Gesetz ein
neues Bildungsverständnis zugrunde, das lebenslanges Lernen,
Flexibilität und Mobilität der Arbeitnehmer als
Voraussetzungen erkannte, um in der modernen Arbeitswelt zu
bestehen. Vor allem wurde mit ihm erstmals der betriebliche Teil
der auf dem "Dualen System" beruhenden Lehrlingsausbildung
bundeseinheitlich geregelt.
Das Duale Ausbildungssystem, in dem der Betrieb für die
praktische Ausbildung des Lehrlings verantwortlich ist und die
Schule für die theoretische, hat in Deutschland eine lange
Tradition. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es
Berufsschulen, deren Besuch für alle Lehrlinge Pflicht war. In
den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Duale System zum
Erfolgsmodell. Eine bundesweite gesetzliche Regelung der
betrieblichen Ausbildung - für die Berufsschulen sind die
Länder zuständig - scheiterte immer wieder an den
unterschiedlichen Interessen von Regierungen, Wirtschaft und
Gewerkschaften.
Daher galten bis 1969 für die bundesdeutschen Lehrlinge
teilweise völlig veraltete Gesetze. Vertragsrecht und
öffentlich-rechtliches Berufsbildungsrecht waren nur
lückenhaft geregelt. Der Bericht des Deutschen Bildungsrates
zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung, der Ende März 1969
veröffentlicht wurde, machte auf weitere Missstände
aufmerksam.
Die Kommission kritisierte, dass die Ausbildung der fast 1,4
Millionen Lehrlinge als Selbstverwaltungsaufgabe der Wirtschaft
verstanden und betrieblichen Interessen oftmals untergeordnet
werde. Außerdem bemängelte sie, dass die Kontrolle der
Ausbildungsqualität Sache der Kammern sei, deren Mitglieder
eben die Betriebe seien, die kontrolliert werden sollten. Der
Bildungsrat schlug daher vor, in die zur Überprüfung
bestimmten Gremien auch Vertreter der Arbeitnehmer,
Berufsschullehrer und Lehrlinge aufzunehmen. Schließlich
monierte er, dass viele Lehrlinge im Betrieb unzureichend
ausgebildet würden, weil das Arbeitsprogramm der Lehrfirma
einseitig sei.
Den Bericht des Bildungsrates wiesen Spitzenverbände der
Wirtschaft empört zurück. Einstimmig erklärten sie,
den Urteilen der Kommission lägen Tatsachenfeststellungen
"auch nicht andeutungsweise zugrunde". Der Bundestagsausschuss
für Arbeit hingegen, der mit der Ausarbeitung des
Berufsbildungsgesetzes beauftragt worden war, bemühte sich,
die Kritik der Kommission in dem Gesetzentwurf zu
berücksichtigen.
Dieser legte bundesweit einheitliche Qualitätskriterien
für Ausbilder und Ausbildungsstätten fest. Der
Prüfungsausschuss der Kammern, vor dem die Auszubildenden ihre
Abschlussprüfungen ablegen, sollte in Zukunft von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern paritätisch besetzt werden. Auch jene
Lehrer, die an berufsbildenden Schulen unterrichteten, sollten in
ihm vertreten sein.
Außerdem sah der Entwurf eine stärkere staatliche
Kontrolle der Lehrlingsausbildung vor - garantiert durch zahlreiche
Ausschüsse auf Bundes- und Landesebene.
Einigen Jugendverbänden ging der Gesetzentwurf nicht weit
genug. Sie protestierten dagegen, dass das geplante Gesetz die
Berufsausbildung nicht als öffentliche Aufgabe anerkenne und
die gemeinsame Finanzierung der Berufsausbildung durch alle
Betriebe nicht vorsehe. Ungeachtet dieser Proteste wurde der
Gesetzentwurf am 14. August 1969 vom Bundestag verabschiedet. Die
öffentliche Diskussion um das Duale Ausbildungssystem war
damit allerdings noch längst nicht beendet. Nicole
Alexander
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