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Barbara von der Lühe
Entdeckung des Reichs der Mitte
Ein großes Bild- und Lesebuch über
China
Als "Stadt des Himmels" beschrieb Marco Polo
Quinsai, das heutige Hangzhou. Seine Bewohner bezeichnete er als
ansehnliches, friedfertiges und wohlhabendes Volk. Doch Polos
Zeitgenossen wollten seinen Ende des 13. Jahrhunderts verfassten
Schilderungen keinen Glauben schenken. Nicht zu Unrecht
interpretiert Gianni Guadalupi die Entdeckung Chinas durch die
Europäer "als eine Kette von Versehen und
Missverständnissen, der Kommunikationsprobleme und der
positiven wie negativen Übertreibungen".
In seinem prächtigen Band zeichnet
Guadalupi, erfolgreicher Autor historischer Bücher und
Expeditionsberichte, die Entstehung und den Wandel der
europäischen Beziehungen zu China und des europäischen
Chinabildes nach, illustriert mit farbigen Stichen, Gemälden,
Landkarten und eindrucksvollen Fotos. Facettenreich und anschaulich
beschreibt der italienische Historiker politische Ereignisse und
Biographien wichtiger Akteure dieser über 2000 Jahre
währenden Annäherung an China, schildert kulturelle,
religiöse und ökonomische Einflussfaktoren auf die
gegenseitigen, vielen Wechselfällen unterliegenden
Beziehungen.
Wurde die Vorstellung von China in Europa bis
ins 18. Jahrhundert vor allem aus den Quellen der Geschichten Marco
Polos über das Reich des Khubilai Khan, den Schilderungen
etlicher Missionare und der positiven Darstellungen der in China
tätigen Jesuiten gespeist, so blieb Europa in China trotz
diplomatischer Anstrengungen europäischer Mächte und dem
Wirken der Jesuiten im Reich der Mitte lange Zeit eher
unbegreifbar. Daran änderten auch ausgedehnte Schiffsreisen
chinesischer Kaufleute und die Wissbegierde chinesischer Autoren
offenbar wenig: Schon im 13. Jahrhundert veröffentlichte ein
Außenhandelsinspektor mit Namen Zhao Rukua Erkenntnisse
über entfernte Länder, die er von Seeleuten erfahren
hatte, unter anderem über Sizilien.
Wenig Furore im Reich der Mitte machten die
aggressiven Methoden europäischer, insbesondere
portugiesischer Kaufleute seit dem 16. Jahrhundert, die ab 1557 von
Macao aus Häfen in asiatischen Gewässern unsicher
machten: "Weiße Teufel" wurden sie genannt. Mehr Erfolg war
bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts den Jesuiten
beschieden. Einige brachten es am Kaiserhof zu hohem Ansehen als
Wissenschaftler, darunter Matteo Ricci und Adam Schall von
Bell.
Das den Europäern besonders in der
Barockzeit begehrenswert erscheinende Kaiserreich - eine Welle der
Chinamode erfasste den Kontinent - öffnete sich den
Europäern trotz florierenden Handels nicht. So schlug die
positive Grundhaltung gegenüber China seit der Wende zum 19.
Jahrhundert in Geringschätzung um. Das Land erschien dem
Westen schwach und dekadent, die kolonialen europäischen
Mächte gewannen Macht über China - mit dem von den
Bri-ten kontrollierten Opiumhandel, mit vernichtenden Invasionen
und mit der Errichtung von Kolonien, darunter Hongkong und
Qingdao.
Dem Wettbewerb europäischer Staaten und
Japans um China widmet Guadalupi einige aufschlussreiche Kapitel,
unter anderem die Schilderung des franzö-sisch-englischen
Krieges gegen China und die Verwüstungen, die die
verbündeten Invasionstruppen 1860 anrichteten, des
Boxeraufstandes um 1900 und des russisch-japanischen Kriegs, der
1905 in der Mandschurei zugunsten Japans entschieden
wurde.
Dass die Entdeckung Chinas durch die
Europäer mit der Auflösung des großen Reiches
einherging, mag aus europäischer - und Guadalupis - Sicht so
scheinen. Andererseits kam Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und
in Europa das Schlagwort von der "Gelben Gefahr" auf, das noch
immer zum Repertoire antichinesischer Vorurteile
zählt.
Guadalupis Betrachtungen enden ein wenig
aprupt zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem letzten Kaiser Pu Yi,
der 1908 inthronisiert, bereits 1912 abgesetzt und ab 1934 noch
einmal Kaiser von Japans Gnaden im japanischen Marionettenstaat
Mandschukuo wurde. Pu Yis Tod 1967 findet keine Erwähnung. Es
ist der Blick auf das kaiserliche China, der sich hier
erschließt. So kommt die "Endeckung" Chinas durch
europäische Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller
unter positiven Vorzeichen seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht
zur Sprache, ebenso wenig die Annäherung Chinas an Europa in
vielen Bereichen: Man denke nur an die Gründung der
Tongji-Universität 1907 unter der Leitung des deutschen Arztes
Erich Paulun als "Deutsche Medizinschule für Chinesen in
Shanghai" und an das "Werther-Fieber", das China in den 20er-Jahren
erfasste: Goethe zählt bis heute zu den bekanntesten
westlichen Autoren.
In jedem Fall bietet Guadulupi einen spannend
zu lesenden Überblick über Chinas Vergangenheit und die
Beziehungen zu Europa, einen wichtigen Beitrag zum Verständnis
der Gegenwart.
Gianni Guadalupi
China. Eine Entdeckungsreise vom Altertum bis
ins 20. Jahrhundert.
Frederking & Thaler Verlag,
München 2003;
336 S., 60,- Euro
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