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Christof Markus
Entwicklungshilfe ist längst das Flaggschiff
der deutschen Kirchen
Große Aufgabe der christlichen
Religionsgemeinschaften
Vor einem knappen halben Jahrhundert
drängte der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings als
Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz darauf,
den Skandal der Kluft zwischen Arm und Reich mit politischen und
strukturellen Maßnahmen zu bekämpfen. Nicht zuletzt
forderte er dazu auf, den Mächtigen ins Gewissen zu reden.
Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien sollten teilhaben am
wachsenden Reichtum. Und so rief er das bischöfliche Hilfswerk
"Misereor" ins Leben, das allein im Jahr 2003 etwa 150 Millionen
Euro für die Dritte Welt aufwenden konnte.
Hauptgeschäftsführer Josef Sayer
unterstützt selbstverständlich die Millenniumsziele der
Vereinten Nationen, bis zum Jahr 2015 die Armut auf der Welt zu
halbieren. Zugleich gibt er zu bedenken: "Selbst wenn dieses Ziel
erreicht würde, würden immer noch weltweit mehr als 400
Millionen Menschen hungern. Dies ist angesichts der vorhandenen
Reichtümer ein bleibender Skandal. In diese Wunde müssen
wir weiterhin den Finger legen."
Die Spendenaktion "Brot für die Welt"
der evangelischen Landes- und Freikirchen sowie der
alt-katholischen Kirche kann ebenfalls auf eine fast
50-jährige Geschichte zurückblicken. Sie konnte 2003 rund
55,5 Millionen Euro an Spenden zugunsten der notleidenden Menschen
auf der südlichen Erdhalbkugel verbuchen. Gegenüber dem
Jahr 2002 bedeutet dies ein Zuwachs um elf Prozent. Dabei muss
berücksichtigt werden, dass im Jahr des Jahrhunderthochwassers
der Elbe auch die evangelischen Christen in erster Linie für
die Opfer dieser Katastrophe spendeten.
Cornelia Füllkrug-Weitzel, die
Direktorin von "Brot für die Welt": "Das gute Spendenergebnis
zeigt, dass das Gerede von der Spendenmüdigkeit der
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unsinnig ist. Trotz
der wirtschaftlich unsicheren Lage hierzulande sind die Menschen
bereit, denen zu helfen, die mehr Not leiden. Sie verstehen, dass
langfristige Bemühungen zur Überwindung von Armut und die
Bekämpfung ihrer Ursachen nicht weniger wichtig sind, als
akute Nothilfe in Krisenfällen."
Die Zusammenarbeit zwischen "Misereor" und
"Brot für die Welt" ist sehr eng. Sie reicht von der Absprache
über Hilfsprojekte bis hin zur gegenseitige Aushilfe mit Geld,
wenn der einen Seite kurzfristig einmal die finanziellen Mittel
für ein wichtiges Hilfsprojekt ausgehen. Ökumene ist
beiden Hilfswerken längst eine praktizierte
Selbstverständlichkeit - in Deutschland, wenn es um die
gemeinsame Interessenvertretung gegenüber Staat und
Gesellschaft geht, in der Dritten Welt, wo die notleidenden
Menschen nicht nach ihrer Konfession gefragt werden.
Die Organisation der Hilfswerke ist freilich
sehr unterschiedlich. Während das bischöfliche Hilfswerk
"Misereor" nicht nur die Spendengelder (sowie das jährliche
Fastenopfer der Katholiken) verwaltet, sondern auch die
Kirchensteuergelder für die Dritte Welt sowie die finanziellen
Mittel, die die Bundesregierung über die Katholische
Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE) zur Verfügung
stellt, handelt es sich bei "Brot für die Welt" nach wie vor
um ein reines Spendenwerk. Dieses ist (noch) Teil des Diakonischen
Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Letztere hat zwischen die meisten ihrer
entwicklungspolitischen Maßnahmen im Evangelischen
Entwicklungsdienst (EED) mit Sitz in Bonn gebündelt. Der EED
verwaltet die Gelder der Landeskirchen (mindestens ein Prozent der
Kirchensteuereinnahmen sollen für die Dritte Welt verwandt
werden, darüber hinaus ein weiteres freiwilliges Prozent, wie
etwa in der Evangelischen Kirche im Rheinland). Dazu kommen die
staatlichen Zuschüsse des Bundes und der Europäischen
Kommission, die in der Hauptabteilung Evangelische Zentralstelle
für Entwicklungshilfe (EZE) gebündelt sind. Zahlreiche
andere Werke und Aufgaben sind im EED nun zusammengefasst, der sich
auch um die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inneren
kümmern soll. Dazu kommen Friedensdienste und ökumenische
Stipendien in Entwicklungsländern.
Konrad von Bonin, Vorstandsvorsitzender des
EED: "Der EED versteht Entwicklung als einen Prozess der Befreiung
von Hunger, Armut und von der Abhängigkeit von ungerechten
Strukturen. In diesem Prozess können Konflikte entstehen,
manchmal sind sie sogar unvermeidlich. Die Beteiligten müssen
die Möglichkeit haben, diese Konflikte auch auszutragen -
jedoch ohne Gewalt. Jedes Entwicklungsprojekt, in dem das gelingt,
ist deshalb immer auch ein Projekt gegen den Krieg."
Im vergangenen Jahr konnte "Misereor" allein
aus der traditionellen Fastenkollekte der katholischen Kirche 27,6
Millionen Euro einnehmen. Die Einzelspenden schlagen mit 27,7
Millionen Euro zu Buche, zusammen also rund 55 Millionen Euro
allein aus Spenden. Dazu kamen noch 10,9 Millionen Euro aus der
katholischen Kirchensteuer, die die 27 Diözesen ihrem
Hilfswerk zur Verfügung stellten. Und eben 81 Millionen Euro
von der KZE, insgesamt also 150 Millionen Euro.
Addiert man übrigens die finanziellen
Mittel, die "Misereor" von 1959 bis 2003 für seine Arbeit in
der Dritten Welt zur Verfügung standen, dann ergibt sich eine
Summe von knapp fünf Milliarden Euro: 2,14 Milliarden Euro
Spenden, 0,4 Milliarden Euro Kirchensteuermittel und 2,368
Milliarden Euro öffentliche Mittel
(Entwicklungshilfeministerium, EU-Kommission, Bundesländer).
Diese Gelder ermöglichten insgesamt 88.396
Projekte.
Von den 1.439 im vergangenen Jahr bewilligen
Projekte entfallen beispielsweise 267 auf den Sektor Bildung,
Ausbildung, Kultur (mit 21,4 Millionen Euro), 186 auf Gesundheit (
17,7 Millionen Euro), 318 auf Arbeit, Wirtschaft und Soziales (33,8
Millionen Euro), 470 auf Rahmenbedingungen und Gesellschaft (34,9
Millionen Euro) und 30 auf Nothilfe (2,4 Millionen
Euro).
Beispiel Liberia: Seit 27 Jahren fördert
"Misereor" eine ganze Bandbreite von Projekten in dem
westafrikanischen Land. Von Anbeginn des Bürgerkrieges in den
90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die kirchlichen
Projektpartner vor Ort dabei unterstützt, sich für die
Versöhnung der kriegsführenden Parteien einsetzen und
Liberia auf lange Sicht eine Zukunft in Frieden und Demokratie
ermöglichen zu können. Seit dem Abdanken von
Staatspräsident Robert Taylor, dem Friedensabkommen von Accra
und nicht zuletzt durch den Einsatz der UN-Friedensmission besteht
nach Hauptgeschäftsführer Sayer die begründete
Hoffnung, dass diese Bemühungen Früchte
tragen.
Für "Misereor" ist jetzt die
Reintegration der ehemaligen Kämpfer in die Gesellschaft ein
dringend notwendiger Schritt. Ein besonders gravierendes Problem
sind dabei die rund 20.000 ehemaligen Kindersoldaten. "Misereor"
fördert deren Integration beispielsweise durch berufliche
Ausbildung und Traumaarbeit. Seit Jahren wird zugleich mit
zahlreichen Projekten die Demokratieförderung und
Menschenrechtsarbeit gefördert. Sayer: "Gute Erfolge sind zu
verzeichnen."
"Brot für die Welt"
Die wie "Misereor" 1959 gegründete
evangelische Spendenaktion "Brot für die Welt" ist inzwischen
ausschließlich auf Spenden und Kollekten angewiesen - wobei
die Kollekte in den Weihnachtsgottesdiensten der evangelischen
Kirche zentrale Rolle spielt. Insgesamt 55,5 Millionen Euro wurden
der Aktion im vergangenen Jahr gespendet, das entspricht einem
Zuwachs von elf Prozent gegenüber 2002. Für Direktorin
Cornelia Füllkrug-Weitzel verständlicherweise eine
große Freude: "Und unsere Arbeit kann viele Erfolgsgeschichten
aufweisen - von Bäuerinnen und Bauern in Sri Lanka, die mit
angepassten Anbautechniken ihre Erträge steigern und ihre
Äcker schützen; von Frauen in einem brasilianischen
Großstadt-Slum, die gemeinsam Wege finden, nicht nur ihre
Familie zu versorgen, sondern ihr Leben in Würde zu leben und
ihre Rechte durchzusetzen oder von Gesundheitshelferinnen in
Kamerun, die seit Jahren erfolgreich AIDS-Aufklärung betreiben
und dadurch Hunderte von Menschen vor einer Ansteckung
bewahren."
Für Frau Füllkrug-Weizel stellt
AIDS eine besondere Herausforderung dar. Gerade an ein kirchliches
Hilfswerk. Außerdem stelle es die Entwicklungszusammenarbeit
vor ihre bislang größte Herausforderung. Hinter den
nackten statistischen Zahlen verbergen sich Millionen tragischer
Einzelschicksale von Ausgestoßenen, "die unter Brücken
sterben müssen, von Waisenkindern, die sich alleine durchs
Leben schlagen, von Alten, die von niemanden mehr versorgt werden
können." Dahinter würden sich aber auch "Tausende
heroischer Geschichten von Hilfsbereitschaft und Solidarität"
verbergen. "Brot für die Welt" gibt gegenwärtig 11,2
Millionen Euro für Projekte zur Bekämpfung von HIV/AIDS
aus.
145 Millionen Euro für EED
Der Evangelische Entwicklungsdienst kann 2004
über rund 145 Millionen Euro verfügen. Die
größten Einnahmen stammen aus der Kirchensteuer und aus
dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Große Sorge bereitet dem EED
freilich, dass die Kirchensteuermittel (in diesem Jahr rund 45,1
Millionen Euro) auf Grund der schlechten Finanzlage der 23
evangelischen Landeskirchen ständig
zurückgehen.
Großen Wert legt der EED auf den Zivilen
Friedensdienst (ZFD), einer Aktion von
Nichtregierungsorganisationen, die auch vom
Entwicklungshilfeministerium intensiv gefördert wird. Dabei
geht es um die Entsendung von kompetenten Fachkräften in
Gebiete, wo Krieg oder Konflikt, Bedrohung oder Unsicherheit den
Alltag der Menschen bestimmen. Hier ein beispielhafter Bericht
über die Friedensarbeit auf Midanao, im Süden der
Philippinen gelegen und zweitgrößte Insel des Landes.
Ihre wirtschaftliche und politische Entwicklung hängt stark
davon ab, ob der ethnisch-religiöse Konflikt zwischen
muslimischen Moros, den Minderheiten der Lumad und der christlichen
Mehrheit gelöst werden kann. Starker bewaffneter Widerstand
der Moros und eine Militarisierung des Lebens destabilisieren die
gesamte Gesellschaft der Insel.
Die Auseinandersetzungen machen sich fest am
Zugang zum Land. Moros und ethnische Minderheiten wurden von
christlichen Bevölkerungsgruppen verdrängt, die zum
großen Teil aus anderen Landesteilen zuwanderten. Politisch
verhärteten sich in den vergangenen Jahren die Fronten
zwischen den Moros einerseits und der philippinischen Regierung,
dem Militär und den christlichen Siedlern andererseits. Erst
sei kurzem werden die Lumads und ihre Interessen in der
Öffentlichkeit wahrgenommen. Dies ist auch der
Unterstützung durch christliche Aktionsgruppen zu verdanken.
Sie organisieren regelmäßige Gespräche - zum Teil im
Radio und Lokalfernsehen - zwischen Christen, Muslimen und
Angehörigen der ethnischen Minderheiten, um das gegenseitige
Verständnis und das friedliche Zusammenleben zu
fördern.
Durch die Unterstützung des EED kann die
promovierte Ethnologin Edvilla Talaroc nun am Institut zur
Erforschung der Kultur Mindanaos die Wert- und
Glaubensvorstellungen ethnischer Minderheiten untersuchen - und die
Frage, wie sich Entwicklungsprozesse auf ihr soziokulturelles
Umfeld auswirken. Die Forschungsergebnisse der in Europa
ausgebildeten Philippinin fördern den Dialog zwischen den
Bevölkerungsgruppen auf dieser Insel.
Der 1999 gegründete EED beteiligt sich
in weltweiter Partnerschaft am Aufbau einer gerechten Gesellschaft.
Er wendet sich gegen Diskriminierung aufgrund von Herkunft,
Geschlecht und Religionszugehörigkeit. Zugleich steht der EED
damit Menschen bei, die in Not und Armut leben, deren Würde
verletzt wird oder die von Kriegen oder anderen Katastrophen
bedroht sind.
Der EED ergreift und fördert
Maßnahmen, die in Kirche, Öffentlichkeit und Politik das
Bewusstsein und die Bereitschaft wecken und stärken, sich
für die Überwindung von Not, Armut, Verfolgung und
Unfrieden in der Welt einzusetzen und die dazu beitragen
können, dass sich die politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen für eine menschliche Entwicklung verbessern.
Ständig wird die Vernetzung mit anderen europäischen
kirchlichen Hilfswerken verbessert.
Viele Werke, Vereine und
Initiativen
Die kirchliche Entwicklungsarbeit wird nicht
nur von diesen großen Werken bestimmt, sondern von einer
Vielzahl weiterer Einrichtungen ergänzt, die durch private
Spenden große entwicklungspolitische Leistungen erbringen.
Inzwischen werden seitens des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch Staaten der
ehemaligen Sowjetunion gefördert. Für diesen Bereich
haben die Kirchen auf katholischer Seite das Hilfswerk "Renovabis"
und auf evangelischer Seite das Hilfswerk "Hoffnung für
Osteuropa" gegründet.
Von großer Bedeutung ist das wie
"Misereor" in Aachen beheimatete Hilfswerk der Kinder, das die
jährlichen Spenden im Rahmen der Sternsinger-Aktion in
zweistelliger Millionenhöhe verwaltet. Inzwischen handelt es
sich dabei um das größte Hilfswerk von Kindern und
Jugendlichen für Gleichaltrige in aller Welt. Obwohl das
Bischöfliche Hilfswerk "Adveniat" (Essen) in erster Linie
innerkirchliche Arbeit in Lateinamerika fördert, leistet es
doch auch viel Entwicklungshilfe. Der jährlich stattfindende
und ökumenische "Weltgebetstag der Frauen" stellt seine
Kollekten in Millionenhöhe ebenfalls für Frauenprojekte
in aller Welt zur Verfügung. Viele Orden, Diözesen,
Landeskirchen, Kirchengemeinden oder christliche Initiativen
fördern einzelne Projekte in aller Welt.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in
Berlin.
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