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Hans-Jochen Luhmann
Nicht immer auf andere warten
Umweltpolitik in Amerika und
Deutschland
Der Autor ist Historiker aus der Bielefelder
Schule, sein Doktorvater ist Joachim Radkau. Er stellt eine
politische Grundfrage: "Wie entstehen in einer Gesellschaft
Handlungsstrategien, mit Emissionen und ihren Konsequenzen
umzugehen?" Diese Frage will er mit den Mitteln seiner Profession,
der Hinwendung zur Geschichte und dem Gang in die Archive
beantworten. Als Material nimmt er sich vor, was sich zwischen 1880
und 1970 in zwei Ländern, in den USA und in Deutschland,
umweltpolitisch abgespielt hat.
Zu den Rahmenbedingungen dieser Jahre habe es
gehört, "dass beide Länder eine industriekapitalistische
Wirtschaftsverfassung besaßen und es damit oft genug kein
ökonomisches Motiv gab, Emissionen zu reduzieren". Das
führe zu dem, was die Umweltgeschichte auf den Beobachter
leicht so depressiv wirken lässt, in Uekötters Worten
"die kolossale Macht des Trägheitsgesetzes". Die zu
dokumentieren fühlt der Verfasser sich verpflichtet, das
zählt er zu den Kärrner-Aufgaben seiner Profession -
möglicherweise meinte er deshalb, sein Buch so abschreckend
voluminös anlegen zu dürfen. Aber das gibt nur den
düsteren Hintergrund, den des Zwangs der Notwendigkeit
ab.
Entscheidend scheint mir zu sein, wie
einzelne Personen neue Wege des Umgangs mit drängenden
Problemen eröffneten, - "im Regelfall dadurch, dass sie den
Status quo schonungslos analysierten und nüchtern den Rahmen
ihrer Handlungsmöglichkeiten taxierten". Das heißt: Der
Depression, der Hoffnungslosigkeit entgeht nicht der, dessen
Geschichtsbild darin besteht, auf den allgemeinen Trend der Zeit zu
achten, und der daraufhin auf das in der Tat Unwahrscheinliche
seines Ziels schließt. Ihr entgeht nur, so die Lehre aus der
Geschichte, wer sich auf die Abgründe der scheinbaren
Chancenlosigkeit, die in Wahrheit nur eine Chancenarmut ist,
einlässt und der deshalb - und nur deshalb! - Chancen
erfolgreichen Handelns zu Gesicht bekommt. Allerdings, Sicherheit
gibt es nicht.
In dem meistversprechenden Teil des Buches,
mit "Beispiel Autoabgase" (nur in den USA) übertitelt, findet
sich leider kein sprechendes Beispiel. Da gibt es einen
heldenhaften Einzelgänger, Kenneth Hahn, ein
Vollblutpolitiker, der eine Art Landrat in Kalifornien war - doch
der scheiterte. In diesem Buchteil (5 von 18 Kapiteln) wird
gefragt, wie es geschehen konnte, dass jahrzehntelang nichts gegen
die durch automobile Abgase aufgebauten Umweltprobleme unternommen
wurde. Dies ist deswegen eine vielversprechende Problemwahl, weil
die USA das Pionierland der Automobilisierung im Exzess sind. Sie
haben, gerade an der Westküste, ihre Siedlungsstruktur so
eingerichtet, dass das eigene Auto zur Lebensnotwendigkeit gemacht
wurde. Sie haben mit Los Angeles prototypisch die europäische
Stadt in großräumige Agglomerationen so aufgelöst,
dass das Problem der Autoabgase entstand und es zugleich kaum einen
Weg zurück gab. Mit den speziellen atmosphärischen
Bedingungen in Kalifornien verfügte der Staat über eine
eigenartige Verletzlichkeit und Betroffenheit der eigenen
Bevölkerung. Man hätte erwarten können, dass aus
dieser Gemengelage heraus ein politischer Impuls zu entscheidender
Veränderung entsteht.
Uekötter schildert die fragliche Zeit
aber als eine Geschichte dauernden Scheiterns. Vor 1945 sei eine
Diskussion über Autoabgase so gut wie gar nicht in Gang
gekommen, da mit dem Vorsorgeprinzip ein Kristallisationspunkt
einer solchen Debatte gefehlt habe. Nach 1945 war es zunächst
nur Los Angeles, welches Smog als Problem kommunizierte, aber die
Autoindustrie habe sich ausgesprochen dickfellig gezeigt. Kenneth
Hahn habe es nicht geschafft, mit seinen Briefen irgend etwas in
Bewegung zu bringen. Der Grund habe also darin gelegen, dass
"Detroit" sich von den Klagen aus Kalifornien nicht habe erweichen
lassen. Der Umgang mit dem Eigenbeitrag der kalifornischen Politik,
die problemschaffende Siedlungsstruktur, wird vom Autor nicht
thematisiert. Erst die Stimmung des Jahres 1970, die
Fundamentalmobilisierung einer breiten Öffentlichkeit für
ökologische Ziele, habe den Durchbruch geschafft; das sei
conditio sine qua non für eine Lösung des Problems
gewesen.
Soweit das Ergebnis aus den USA. Ich bin
nicht wirklich überzeugt - ich vermute, dass auch hier gilt:
Wer den Änderungsimpuls allein bei anderen festmacht und seine
eigenen Handlungsoptionen ausblendet, erreicht auch nicht, dass die
anderen sich ändern. In Deutschland, in den 50er-Jahren, wird
der Autor denn auch im Sinne seiner These fündig. Seine Frage
lautet: Was ist es, was den Beginn einer ernstlichen
Luftreinhaltepolitik in Deutschland - und diese Anfänge liegen
im Ruhrgebiet - ausgelöst hat?
Politisch wirklich entscheidend war
letztendlich das nordrhein-westfälische Ministerium für
Arbeit und Soziales, das die Reformierung der Luftreinhaltung im
Nachkriegsdeutschland vorantrieb. Angetrieben wurde es, so betont
der Autor, weniger von idealistischen Motiven als vielmehr (auch)
von der Konkurrenz, den das Genossenschaftskonzept Sturm Kegels
für sie bedeutete.
Sturm Kegel war in den 50er-Jahren Direktor
des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk, dem die Luft- und
Wasserprobleme des Ruhrgebiets qua Mandat am Herzen lagen. Kegel
ging 1952 in die Offensive: Er stellte ein eigenes
Luftreinhaltekonzept öffentlich vor, um Druck zu machen - also
das gesuchte Individuum als Akteur, "welches neue Wege des Umgangs
mit drängenden Problemen eröffnete".
Anders als Kenneth Hahn mit seinen Briefen
bestand Kegels Konzept nicht allein aus schönen Worten,
sondern hatte die Form eines ausgearbeiteten Gersetzentwurfs: Die
Minderung der Emissionen sollte durch Maßnahmen nach dem Stand
der Technik vorgenommenen werden. Deren Verteilung sollte nach den
Grenzkosten der Minderung optimiert werden: Wo viel Dreck mit wenig
Geld unterbunden werden konnte, dort sollte es geschehen. Die
Finanzierung sollte, deswegen ein "Genossenschafts-Konzept", von
allen, die zur Luftbelastung beitrugen, nach Maßgabe ihres
jeweiligen Beitrags geleistet werden - ein Konzept also, welches in
heutiger Sprechweise wie eine Kombination von Lizenz- und
Steuerkonzept erscheint.
Das Arbeitsministerium konnte sich seinerzeit
für diesen speziellen Vorschlag nicht begeistern. Aber mit der
Vorlage einer Handlungsoption seitens des Ruhrkohleverbands bestand
der (Konkurrenz-)Zwang, ein eigenes Konzept zu entwickeln und auch
zu implementieren. So, das ist die Botschaft Uekötters,
vermochte ein Einzelner die Entwicklung voranzutreiben, dass der
Weg zur kooperativen Luftreinhaltung, mit Beteiligung der
VDI-Kommission Reinhaltung der Luft, tatsächlich beschritten
wurde. Der wird bis heute durchgehalten.
Frank Uekötter
Von der Rauchplage zur ökologischen
Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland
und den USA 1880 - 1970.
Klartext Verlag, Essen 2003; 637 S., 74,90
Euro
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