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Bernd Schüler
Liebe Politiker: Baut mehr
Spielzeugfabriken!
Kinder auf "Staatsbesuch" bei Familienministerin
Renate Schmidt
Mehr Spielzeugfabriken bauen!" "Tarifverhandlungen für
Taschengeld einführen!" "Schulpflicht abschaffen!" Für
kurze Zeit haben Kinder im Familienministerium das Kommando
übernommen. Sie sind am vorletzten Augustwochenende der
alljährlichen "Einladung zum Staatsbesuch" gefolgt, in dessen
Rahmen die Türen der Bundesministerien in Berlin für alle
Bürger offen stehen. Am Alexanderplatz, im ehemaligen
Gebäude der Treuhandanstalt, tummeln sich ein gutes Dutzend
Jungen und Mädchen im erst vor kurzem bezogenen, schlichten
Büro der Ministerin. Vom Chefsessel aus sollen die
"Nachwuchspolitiker" jetzt verkünden, was sie als Erstes tun
würden, wenn sie denn das Sagen im Staate hätten.
Die Kameras blitzen, die Eltern schmunzeln, der Mitarbeitertross
lächelt etwas verkrampft und Familienministerin Renate Schmidt
(SPD) hat sichtlich Spaß daran, die kindlichen Wünsche in
die komplizierte Welt des politischen Tagesgeschäfts zu
übertragen. Das bedeutet vor allem: möglichst geschickt
die vielen großen Erwartungen zurechtzustutzen.
Schließlich stößt man überall auf die Grenzen
des Machbaren.
An den Grenzen des Machbaren
Tarifverhandlungen, kommentiert sie fröhlich, die seien
nicht Sache der Regierung. "Da müsst Ihr schon eine
Gewerkschaft gründen und auf die Organisation der Eltern
zugehen." Keine Schulpflicht? Nun, das regeln die Länder.
Außerdem ein chancenloses Unterfangen, denn Lernen ist doch
wichtig! Siehe die Kinder in Afrika, die nicht mehr so arm
wären, wenn sie in die Schule gehen könnten. Mehr
Straßen? Die schaden doch der Umwelt. Stimmt, pflichtet ein
Junge der Frau Ministerin vorlaut bei: "Wo sollen die auch alle
hinführen?"
Übertönt von den Lachern der Großen, läuft
so manche Hoffnung der kleinen Leute unerwartet und rasch ins
Leere. "Schweinerei", beklagt etwa der achtjährige Emanuel aus
Eiche, einem Dorf im östlichen Speckgürtel Berlins, dass
sich viele Eltern wegen Kleinigkeiten trennen: "Die Kinder leiden
doch darunter." "Aber was soll die Regierung da machen?", kontert
Ministerin Renate Schmidt. Vieles lasse sich eben nicht
ändern, meint, fügt aber hinzu: Und wenn's so sei, dann
sollten die Erwachsenen wenigstens anständig
auseinandergehen.
Am besten nehme man aber die eigenen Anliegen selber in die
Hand. "Bloß nicht immer erst auf die anderen warten", lautet
die Direktive der Ministerin an den Nachwuchs. Bei 15 Millionen
Kindern in Deutschland könne sie sich im Übrigen nicht um
jedes einzelne kümmern. Inzwischen sitzt, wie
selbstverständlich, ein kleines Mädchen auf dem
Schoß der vierfachen Oma. Hinter ihnen, auf einem Portrait an
der Wand, lächelt milde Alt-Bundeskanzler Willy Brandt.
Dann gibt es da für Frau Ministerin Sachen, von denen man
bloß die Finger lassen soll. Etwa, wenn es um Kriege geht,
"wenn sich also Könige streiten", wie ein Mädchen sagt,
"oder Präsidenten oder Kaiser". Emanuel wiederum fordert
dennoch beharrlich von Deutschland ein stärkeres Engagement im
Irak. Aber nicht, solange sich die da die Köpfe einschlagen,
verwahrt sich die Ministerin, auch wenn die Außenpolitik nicht
direkt in ihren Arbeitsbereich fällt. Immerhin verleitet sie
der Einspruch zu einem außergewöhnlichen Vorhaben: "Ich
schicke mal den Herrn Bush bei dir vorbei."
Emanuels Glaube ist indes ungebrochen. "Es könnte viel
erreicht werden, wenn die Ministerin mehr Reden hält",
diktiert der Drittklässler später nassforsch. Zum
Beispiel bei ihnen in der Nachbarschaft, in den
Großsiedlungen, wo Kinder wegen eines kleinen Streits den Papa
verlieren würden. Die Mama nickt, und Sohnemann fügt noch
hinzu: "Toll, dass Frau Schmidt so offen gesagt hat, dass sie
jemanden lieb hat." Ihren Mann nämlich und ihre Enkelkinder,
für die sie am Wochenende Zeit haben will.
Unter der Woche muss sich die Ministerin allerdings Gedanken
machen, an ihrem Schreibtisch mit lauter Papier. Dem Jungen, der
auf dem Chefsessel stumm bleibt, sagt sie: "Also wenn dir nichts
einfällt, dann musst du gehen."
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