Thomas Röhr
Das Rückgrat der Republik
IfM Bonn: 99,7 Prozent aller Unternehmen
gehören zum Mittelstand
Bloß nicht alle über einen Kamm
scheren. Denn: "Mittelständler ist nicht gleich
Mittelständler. Und Mittelstand ist auf gar keinen Fall immer
gleich Handwerk. Freie Berufe, Handel, Dienstleistungen und das
produzierende Gewerbe gehören genauso dazu. Der Mittelstand
hat viele Facetten", sagt Professor Frank Wallau. Und er muss es
wissen: Beim Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn
kümmert sich der Wissenschaftler ausschließlich um "den
Mittelstand" in Deutschland. Wallau warnt davor,
mittelständische Betriebe "in einen Topf zu werfen". "Alle
reden darüber, aber keiner weiß, was Mittelstand genau
ist."
Wallau klärt auf: "Wer weniger als 500
Beschäftigte hat oder unter 50 Millionen Euro Jahresumsatz
liegt, gehört zum Mittelstand." So die Definition des Bonner
IfM. Damit sind 99,7 Prozent aller Unternehmer in Deutschland
Mittelständler - insgesamt rund 3,3 Millionen Unternehmen.
"Das Handwerk macht dabei nur einen Teil aus. Nicht einmal jeder
Fünfte Mittelständler ist Handwerker. Dienstleister wie
die Fußpflege-Praxis um die Ecke gehören genauso zum
Mittelstand wie das exportierende Maschinenbau-Unternehmen mit 350
Beschäftigten", sagt Frank Wallau. Er rückt auch die
Größenordnungen zurecht: "Fast 90 Prozent der
mittelständischen Unternehmen haben einen Jahresumsatz von
unter einer Million Euro." Ein riesiger Pool.
Das dickste Stück vom Mittelstandskuchen
gehört den Freiberuflern: Rund 820.000 davon gibt es in
Deutschland - vom Arzt über den Architekten bis zum
Rechtsanwalt. Damit ist knapp jeder vierte Mittelständler als
Freiberufler aktiv - viele davon im Dienstleistungssektor.
Überhaupt ist der Mittelstand in Sachen Dienstleistung stark:
Rund 800.000 Unternehmen gehören zu dieser Branche - darunter
auch etliche Handwerker wie Fensterputzer und Starfrisör Udo
Walz. Mit weitem Abstand folgen der Einzelhandel (420.000
Betriebe), das Baugewerbe (300.000 Firmen) und mit 285.000
Unternehmen das verarbeitende Gewerbe. Und noch etwas: Der
Mittelstand in Deutschland ist überwiegend männlich. Nur
jeder sechste Betrieb ist in Frauenhand. Lediglich in knapp 600.000
Unternehmen hat eine Chefin das Sagen.
Die Statistik in Ehren. Doch Mittelstand ist
mehr als nur nüchternes Zahlenmaterial. Frank Wallau: "Typisch
für den Mittelstand ist, dass eine Person den Ton angibt. Da
ist immer einer, der leitet, plant und kontrolliert. Er ist mit dem
Betrieb so eng verwachsen, dass man von einer Identität
zwischen dem Unternehmer und dem Unternehmen sprechen kann."
Hierfür gibt's einen gängigen Mittelstandsspruch, der
genau das auf den Punkt bringt - nur etwas platter:
"Selbstständig arbeiten, kommt vom ständigen selbst
arbeiten."
Der mittelständische Chef hält
für alles den Kopf hin. Die wirtschaftliche Existenz des
Inhabers hängt vom Unternehmen ab. Wallau: "Beim Mittelstand
haben wir eine Einheit von Unternehmen und Inhaber." Überhaupt
ist die Selbstständigkeit in Deutschland etwas sehr Privates.
"Knapp 95 Prozent aller deutschen Unternehmen sind familieneigene
mittelständische Betriebe", sagte Wallau. Dies gehe aus einer
IfM-Untersuchung hervor.
Wichtigster Arbeitgeber
Nicht jeder Mittelstandsboss ist ein
Dagobert. Aber ohne Euro- oder - beim internationalen Handel auch -
Dollar-Zeichen im Auge geht's eben auch nicht. So machten alle
deutschen Unternehmen im vorvergangenen Jahr einen Umsatz von 4,25
Billiarden Euro. Als Zahl ausgeschrieben sieht diese Summe noch
eindrucksvoller aus: 4.250.000.000.000.000 Euro. Knapp 60 Prozent
davon gingen auf das Konto von Großunternehmen. Die Kleinst-,
Klein- und mittleren Unternehmen (bis zu 50 Millionen Euro
Jahresumsatz) erzielten gut zwei Fünftel der Summe.
Der Mittelstand ist der wichtigste
Arbeitgeber in Deutschland. Das IfM Bonn schätzt, dass rund 70
Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei
mittelständischen Unternehmen in Lohn und Brot stehen.
"Zusätzlich bilden mittelständische Betriebe rund 80
Prozent aller Auszubildenden aus", sagt Frank Wallau. Damit bietet
der Mittelstand derzeit gut zwanzig Millionen Beschäftigten
einen Job.
Mittelstand steht oft für
Bodenständigkeit. "Da ist sicher etwas dran. Und dennoch sind
es gerade die Mittelständler, die ihre Fühler weit in den
internationalen Markt ausstrecken. 98 Prozent der Exporteure in
Deutschland sind Mittelständler", so Frank Wallau. Diese seien
in Sachen Export sehr aktiv. Dennoch wandert lediglich jeder
fünfte Euro, der in Deutschland am Export verdient wird, auf
das Konto der kleinen und mittleren Betriebe. Beim Exportumsatz
dominieren die Großunternehmen.
Frank Wallau unterstreicht: "Der Typus des
selbstständigen Unternehmers bildet nach wie vor das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft". Und das allen
vermeintlichen Konzentrationstendenzen - wie Firmenübernahmen
und Konzernfusionen - zum Trotz. Ein Hohelied auf den deutschen
Mittelstand - wissenschaftlich fundiert. Und das Lob des
Wirtschaftsprofessors zielt insbesondere auf die kleinen und
mittleren Unternehmen: "Indizien für eine abnehmende Bedeutung
des Mittelstandes liegen nicht vor. Daran hat sich in den
vergangenen Jahren nichts geändert. Auch wenn sich etliche
wirtschaftliche, soziale und technologische Rahmenbedingungen sehr
wohl verändert haben . . ."
Und noch ein positiver Aspekt, der auf das
Konto des Mittelstands geht - auf das Sozialkonto:
Mittelständler sind gesellschaftlich aktiv. "Bundesweit
engagieren sich rund vier von fünf Unternehmen für
wohltätige Zwecke", sagt Frank Wallau. Zwar wachse mit
steigender Unternehmensgröße die Bereitschaft zur
Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. "Aber selbst unter
den Kleinstunternehmen engagieren sich vier von fünf für
die gute Sache", so der IfM-Wirtschaftswissenschaftler. -
"Corporate Citizenship heißt das Stichwort auf Neudeutsch. "Im
Schnitt liegt der Anteil, der hierfür ausgegeben wird, bei
0,07 Prozent des Jahresumsatzes. Meistens sind es direkte
finanzielle Zuwendungen", so Wallau.
Geld für gesellschaftliche
Projekte
Ordnet man die Unternehmen nach der
Größe, so zeigen sich beim gesellschaftlichen Engagement
deutliche Unterschiede: Kleine und mittlere Unternehmen mit einer
Mitarbeiterzahl von maximal 99 Beschäftigten sind aktiver als
größere Firmen. "Dieser Teil des Mittelstands ist bereit,
in Relation zum Umsatz rund drei mal mehr für Corporate
Citizenship auszugeben als die größeren Unternehmen",
sagt Frank Wallau. In das Kapitel Corporate Citizenship gehört
auch die Mitarbeiterfreistellung für ehrenamtliche Aufgaben.
In jedem zweiten mittelständischen Unternehmen ist dies nach
Angaben des IfM gängige Praxis.
Und der Wirtschaftsexperte macht deutlich,
dass es nicht in erster Linie der Mutter-Theresa-Gedanke ist, der
Firmen dazu bringt, Geld für gesellschaftliche Projekte locker
zu machen: "Die von uns befragten Unternehmen sehen wohltätige
Aktivitäten ganz klar als Investition in ihr Umfeld - und
damit auch als Sicherung ihrer eigenen Existenz."
Hinzu kommt der PR-Gedanke: "Corporate
Citizenship gibt den Unternehmen die Möglichkeit, sich in der
Öffentlichkeit bekannt zu machen und sich als Organisation mit
Sinn für die Belange der Gemeinschaft zu profilieren. Damit
stiftet bürgerschaftliches Engagement nicht nur
gesellschaftlichen Nutzen. Es trägt auch zur Umsetzung
unternehmenspolitischer Ziele bei. Corporate Citizenship ist somit
weder als bloße Großzügigkeit noch als ein rein
wirtschaftlicher Akt aufzufassen", so Frank Wallau.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in
Berlin.
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