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Imke Rosebrock
In den Clubs findet die Industrie die
Impulse
Nach der Clubkultur kommt der Pop: Deutschlands
größte Musikmesse, die Popkomm, zieht nach
Berlin
Manche Hits sind unvergänglich: "Schubi
dubi du wop, New York, London, Paris, Munich - everybody talk about
pop music..." Das ist die Textzeile eines Songs, der schon 1979
weltweit die Hitparaden stürmte und noch heute in zumindest
einem Punkt höchst aktuell ist: Alle reden über Popmusik.
Dass Berlin auf der Liste der Städte, in denen über Pop
verhandelt wird, inzwischen ganz weit oben steht, konnte der
Songwriter damals nicht ahnen. Einen Mauerfall, mehrere Krisenjahre
der Musikindustrie, diverse legale und illegale
Download-Plattformen im Internet und unzählige
Klingeltöne fürs Mobiltelefon später - ist Berlin
heute für viele große und kleine Labels und Clubs die
Heimat. Und Gastgeber der Popkomm, eine der größten
internationalen Musikmessen.
Die Popkomm war in Köln 15 Jahre lang zu
Hause. Doch der Messe blieben zuletzt die Fachleute weg, Aussteller
und Besucherzahlen schrumpften. In Berlin soll alles anders werden.
Größer wird es in jedem Fall: Über 800 Aussteller
wollen zwischen dem 29. September und 1. Oktober in den Hallen am
Funkturm dabei sein. Das ist Rekord. Auf drei Säulen steht das
Konzept: Messe, Kongress und Festival.
In Köln gab es parallel zur Popkomm das
Ring-Fest. Buden- und Bühnenzauber, fässerweise
Kölsch und unbekannte Popsternchen, die hier vor den
Zuschauern ihre Feuertaufe bestehen mussten. Das wird es in Berlin
nicht geben: Man wolle keine Open Air Bühnen vor dem KaDeWe
aufstellen und die Leute beim Einkaufen beschallen. Dirk Schade,
zuständig für das Popkomm-Festival, betont: "Wir wollen
die Musik und das Festival dort etablieren, wo es hingehört:
In die Clubs, die traditionelle Keimzelle der Musik."
Berlin ist bekannt für seinen
Underground, aus dem Trends werden. Die besondere Situation nach
dem Mauerfall hatte gerade im Berliner Osten für einen Boom
gesorgt. Clubs, Bars und kleine Klitschen machten sich in leer
stehenden Gebäuden, Kohlenkellern und Hinterhofgaragen breit.
"Berlin war ein unbeschriebenes Blatt", beschreibt Olaf Kretschmar
diese Zeit. Er ist selbst Clubbetreiber und zudem Sprecher der
Club-Commission Berlin, einem Zusammenschluss von über 50
Clubs, Bars und Veranstaltern. Kurz nach Mitternacht an einem
Freitagabend sitzt Olaf Kretschmar in seinem Laden, dem "Oxymoron"
in Berlin-Mitte. Neben der Bühne, auf der ein DJ alte Soul-
und House-Klassiker auflegt, erzählt er von der Zeit nach der
Wende: Die Stadt war offen, geistig wie räumlich, Leute aus
aller Welt kamen her. Jemand, der unter anderen Umständen
vielleicht Physiker oder irgendetwas anderes "seriöses"
geworden wäre, hat sich damals in die umtriebige Szene
eingebracht. Quereinsteiger und schräge Vögel: sie haben
der Clubkultur ihren Stempel aufgedrückt.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Die
Clubszene sei etablierter und kommerzieller geworden, räumt
Olaf Kretschmar ein. Aber ein Club ist noch immer keine Disco. Ein
Club ist kleiner, musikalisch anspruchsvoller,
persönlicher.
Die Impulse aus dem Underground locken nicht
nur das Partyvolk an, sondern auch die Musikindustrie. Für die
geht es zur Zeit aber weniger um den Spirit als um ziemlich viel
Geld: Seit Jahren sinken die Umsätze. Um fast 20 Prozent im
vergangenen Jahr, rechnet der Bundesverband der Phonographischen
Wirtschaft vor. Die wirtschaftliche Lage ist insgesamt schlecht,
aber es gibt einen weiteren Grund für die Rekordverluste:
Immer mehr Musik wird illegal aus dem Internet runtergeladen. 600
Millionen Musikstücke allein im vergangen Jahr. Die Industrie
reagiert vor allem mit Kampagnen, die das Raubkopieren stärker
kriminalisieren. Gleichzeitig bringt man legale Downloadportale ins
Netz, wo einzelne Songs für wenig Geld heruntergeladen werden
können. Apples iTunes, Sony-Connect oder Popfile vom
Major-Label Universal gehören dazu. Major-Label, das ist die
Bezeichnung für eine große Plattenfirma. Die fünf
Großen im Geschäft sind Universal Music, Bertelsmann
Music Group (BMG), Sony Music, EMI und schließlich Warner
Music. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben sie Laut "Financial
Times Deutschland" gut 85 Prozent des Musikmarktes
ausgemacht.
Die schicken Zentralen von Universal und des
Musiksenders MTV an der Spree sind gleich um die Ecke von dem
kleinen Büro in Kreuzberg, in dem der Verband
unabhängiger Tonträgerunternehmen (VuT) sitzt. Was
für die Großen gilt, gilt auch für die kleinen
Musiklabels: Wollen sie überleben, müssen sie sich was
einfallen lassen. Mit einem eigenen Kongress will der VuT die
Independents über den Vertrieb per Internet informieren und
mit dem technischen und juristischen Know-How ausrüsten.
"Kleine Labels haben auch in dieser Krise eine Chance, wenn sie
ihre Nischen finden, die die Majors nicht mehr besetzen wollen oder
können", sagt Eva Kiltz, Geschäftsführerin des VuT,
der an die 900 Mitglieder in Deutschland hat. "Manche haben nur
vier oder fünf Künstler im Repertoire, sind dafür
aber breiter aufgestellt und kümmern sich um alles, um ihre
Künstler richtig auf dem Markt zu positionieren."
Die Musikwirtschaft ist im Umbruch. Seit
Universal, MTV und nun die Popkomm hergezogen sind, sprechen viele
Medien schon von der Musikhauptstadt Berlin. Bei etwa 60 Prozent
lag im letzten Jahr der Anteil der Berliner Musikwirtschaft am
gesamtdeutschen Umsatz, so die Zahlen des Wirtschaftssenats. Gerade
auf dem internationalen Parkett kommt Berlin gut an. Eine
vielfältige Szene, vergleichsweise geringe Mieten und
Förderprogramme der Politik lock-ten in den letzten Jahren
auch deutsche Musiker und Firmen nach Berlin.
Aber der große Umzugsboom lässt
langsam nach, glauben viele aus der Branche. Auch Andrea Rothaug,
Geschäftsführerin von RockCity Hamburg, beobachtet:
"Berlin ist eine sehr spannende Stadt, aber einige kommen wieder
zurück." RockCity ist ein Verein, der seit 15 Jahren Musiker
unterstützt und die Vernetzung vorantreibt. Hier holt man sich
Rat, wenn es um Verträge oder Steuern geht, oder leiht
günstig einen Tourbus. An die 600 Bands sind dabei, nicht nur
aus Hamburg. Andrea Rothaug sieht keine Konkurrenz zwischen den
Städten, sondern die jeweilige individuelle Note, die eine
Stadt auszeichnet. So hat Hamburg eben einen Kiez, Berlin viele.
"Das hat alles Vor- und Nachteile, man muss das jeweils
mögen", sagt sie. In Hamburg könne man zum Beispiel sehr
konzentriert arbeiten, so ihre Erfahrung. Und jemanden
zufällig treffen. Der Berliner dagegen weiß: In seiner
Stadt geht ohne Verabredung meist gar nichts.
Städte und Regionen haben eine eigene,
gewachsene kreative Struktur. Die persönlichen Verbindungen,
die Netzwerke sind wichtig für die Künstler und das
Business drumherum. So hip Berlin in vielerlei Hinsicht auch sein
mag, Städte wie München, Köln, Mannheim, Frankfurt
entwickeln ihren eigenen Stil. Berlin macht vor allem mit Techno
und elektronischer Musik von sich reden, Hamburg ist bekannt
für deutschen HipHop oder auch die "Hamburger Schule", also
den so genannten intelligenten Gitarrenpop. Und in ein paar Jahren
kann das alles schon wieder ganz anders aussehen.
Ende September aber dreht sich vor allem in
Berlin alles um die Musik. Und das nicht nur in den Clubs und
Messehallen, sondern auch im Bundestag. Am Eröffnungstag der
Popkomm findet hier eine Anhörung zum Thema "deutsche Quote"
im Radio statt. Obwohl nach Angaben der Phonografischen Wirtschaft
deutsche Künstler noch nie so erfolgreich waren wie im letzten
Jahr, fühlen diese sich im Programm der Radiosender
unterrepräsentiert. Dabei waren im Jahr 2003 über 50
Prozent der Singles in den deutschen Charts Produktionen aus dem
Inland. Die Quote sei dringend nötig, sagen die einen.
Bloß keine Jägerzäune mehr, sagen die anderen, Pop
ist nun einmal international.
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