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"Die Tageszeitung ist sehr stark in den Alltag
integriert"
Interview mit Helmut Heinen, Bundesverband
Deutscher Zeitungsverleger
Werden Zeitungen in Zukunft durch Online-Dienste
ersetzt? Dieser Frage müssen sich Verleger und Journalisten
stellen. Obwohl eine Veränderung auf dem medialen Markt
eingetreten ist und gerade das Anzeigengeschäft ins Internet
abgewandert ist, sind redaktionelle Inhalte auf Zeitungspapier nach
wie vor nicht zu ersetzen.
Das Parlament
Herr Heinen, was muss sich beim
traditionellsten Massenmedium unserer Gesellschaft verändern,
damit die gedruckte Zeitung Zukunft hat?
Helmut Heinen Die Zeitung ist ein Medium
für alle. Das muss sie auch bleiben. Dabei wird sie
natürlich ihr Gesamtspektrum daraufhin überprüfen
müssen, ob sie bestimmte Teilgruppen ausreichend anspricht,
zum Beispiel die Älteren, die einfach durch ihre Zahl ein
enorm wichtiges Publikum für unsere Zeitungen sind. Ich denke
an die Jüngeren, wobei deren geringere Zeitungsnutzung sicher
auch an nicht produktbezogenen Faktoren liegt. Und ich meine, dass
man die Familien, die Frauen, den Durchschnittsbürger
insgesamt etwas mehr in den Blick nehmen sollte. Dass heißt,
dass die Zugangsschwellen zu unserem Medium hier und da vielleicht
etwas zu hoch sind.
Das Parlament
Der Innovationsdruck auf die
Verlagshäuser hat zu vielen neuen Produkten und
Kommunikationsdienstleistungen geführt. Gibt es das
wegweisende Konzept für die Zukunft?
Helmut Heinen Es sieht nicht danach aus, als
ob das Allheilmittel bekannt sei. Mobile Dienste und andere neue
Produkte haben zumindest zurzeit noch experimentellen Charakter.
Ich glaube, dass schmale mobile Kanäle wie SMS nicht mehr als
eine Teaserfunktion haben können mit den Inhalten, die sie
übermitteln. Auf der anderen Seite kann man heute mit
Sicherheit sagen, dass das Internet nicht nur als Vertriebskanal
der eins-zu-eins umgesetzten, gedruckten Zeitung, sondern als Kanal
für zeitungsaffine Informationen etabliert ist. Das Internet
hat hervorragende Möglichkeiten, um Inhalte, wie sie in
Zeitungsredaktionen erarbeitet werden, in einer nutzerorientierten
Form zur Verfügung zu stellen.
Das Parlament
Aber daraus ein prosperierendes Geschäft
zu machen, bleibt für die Verlagshäuser eine
Herausforderung?
Helmut Heinen Wir können aus heutiger
Sicht noch keinen Zeitpunkt erkennen, in denen nennenswerte
Erlösbestandteile als Ersatz für stagnierende Erlöse
im Printgeschäft oder als Ausgleich für teilweise
Verluste im Anzeigengeschäft realisiert werden können. Es
kann nicht unser Interesse sein, ein Printangebot und irgendein
Onlineangebot nebeneinander zu stellen. Es muss Bezüge
aufeinander geben. Nur dann haben wir im Printgeschäft, aber
insbesondere im Onlinegeschäft eine Chance, uns von anderen
professionellen Anbietern im Netz positiv abzuheben.
Das Parlament
"Newssnap", eine so genannte personalisierte
Zeitung des "Handelsblattes", ist ein vierseitiges Produkt, das mit
ausgewählten Texten nur die individuellen
Informationsbedürfnisse des Lesers befriedigt und über
das Internet heruntergeladen wird. Kann das die Zukunft
sein?
Helmut Heinen Wenn es Möglichkeiten
gibt, aus der Fülle unserer Inhalte dem Leser eine
Vorstrukturierung anzubieten, dann ist das sicherlich positiv. Das
kann nur digital erfolgen, nicht auf traditionellem Weg mit
individueller Auslieferung. In einem elektronischem Prozess kann
laufend aktualisiert werden. Ich könnte auch vorgeben, bitte
schicken Sie mir 90 Prozent des Sportangebotes, Schwerpunkte
Sportarten A und B, von der Wirtschaft brauche ich 60 Prozent, vom
Lokalen möchte ich 80, von der Kultur nur 30 Prozent. Und
stellt mir das so zusammen, dass bis 7.00 Uhr morgens aktualisiert
wird. Ich brauche die Zeitung um 7.30 Uhr. Das ist der Traum des
Zeitungsmannes. Der scheitert heute in der breiten Durchsetzung nur
an banalen Dingen, zum Beispiel daran, dass sich Leute nicht zu
vernünftigen Kosten leistungsfähige Drucker zuhause
aufstellen können, die eine Zeitung farbig, DIN A3 mit einer
vernünftigen Faltung ausgeben. Das stellt eine zu hohe
Schwelle dar. Das ist das individuelle Thema. Wir haben noch ein
gewisses Zusatzproblem. Für uns treten natürlich
Kostensenkungen, die eine Subventionierung eines solchen Druckers
beispielsweise ermöglichen würden, analog der
Durchsetzung des Handys, erst ein, wenn wir Druckmaschinen ganz
stilllegen können, wenn wir in bestimmten Bereichen gar nicht
mehr zustellen müssen. Das wäre ein ganz großartiger
Systemwechsel. Denkbar ist: Wer aus dem Urlaub zurückkommt,
könnte sich eine Kurzzusammenfassung der letzten zwei Wochen
zusammenstellen lassen.
Das Parlament
Das Tabloid, das Halbformat, soll die Zeitung
handlicher machen. Hat es Zukunft?
Helmut Heinen Es wird in Deutschland zurzeit
damit experimentiert. In Berlin oder jetzt in Frankfurt und
München erscheint die "Welt Kompakt". Man darf aber nicht
vergessen, dass die Länder, in denen Erfolge mit
halbformatigen Zeitungen erzielt werden, traditionell mit sehr
großen Zeitungsformaten zu tun haben. Das ist bei uns anders.
Wenn Sie unser Berliner Format nehmen, dann ist das, wenn sie es
aufschlagen, gar nicht wesentlich größer als das Tabloid.
Halbformate sind übersichtlich und handlicher, aber sie haben
auch einen Nachteil, die Zeitung kann nicht mehr in mehrere
Teilprodukte strukturiert werden. Es gibt sicherlich Argumente, die
dafür sprechen, dass kleinere Formate insbesondere in
Großstädten bei einer mobilen Leserschaft, die nicht mehr
am Tisch liest, Vorteile bieten.
Das Parlament
Ist die Tabloid-Zeitung aber nicht der
Schritt zur Verflachung der Tageszeitung?
Helmut Heinen Ich glaube nicht, dass die
Gefahr besteht, dass durch Tabloid-Formate Qualitätstitel
gefährdet werden. Gleichwohl kann es zu Entwicklungen kommen,
dass sich das Spektrum des Zeitungsabsatzes zu Lasten der
umfassenderen, etwas höher angesiedelten Publikationen
verändert. Das ist dann auch Spiegelbild der
Lesefähigkeit und -willigkeit.
Das Parlament
Wann lesen wir vom Display ab?
Helmut Heinen Was da an rollbaren und
faltbaren Displays geplant ist, veranlasst, dass wir da nur noch
über den Träger sprechen, nicht über Inhalte.
Drucken wir auf Papier oder schicken wir es auf die Folie. Das ist
eine Geschmacks- und Glaubensfrage. Uns geht es ja darum, ob wir
unsere Inhalte, unser Produkt, bis zu jeder ökonomisch
sinnvollen Schnittstelle so aufbereiten können, dass das
für den Leser akzeptabel ist, unabhängig davon, ob er
sich das auf sein mobiles Display lädt, oder ob er sich das zu
Hause ausdruckt. Ich bin skeptisch, und das ist die Frage, die wir
beantworten müssen, ob diese Displays in Qualität, in
Anmutung und im Preis sich so viel schneller entwickeln werden,
dass sie wirklich eine Alternative zum Papier werde Die
Tageszeitung ist sehr stark in den Alltag integriert, wird
überwiegend privat genutzt, so dass wir sie in dieser
unkomplizierten Papierform noch eine ganze Weile gebrauchen
können.
Das Interview führte Ines
Gollnick
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