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Josef-Thomas Göller
Demokratieprojekt Afghanistan als Modell für
den Irak
Das Land am Hindukusch vor den
Präsidentschaftswahlen
Am 9. Oktober haben die Afghanen
zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Gelegenheit zu einer
demokratischen Wahl. Unter 18 Bewerbern sollen sie über ihren
zukünftigen Staatspräsidenten entscheiden. Der derzeitige
Interims-Präsident Hamif Karsai wurde - ebenso wie das
Regierungskabinett - im Juli 2002 von einem von der UNO
einberufenen Stammesrat, afghanisch "Loya Jirga", auf zwei Jahre
gewählt und gilt als aussichtsreicher Kandidat.
Ursprünglich sollten die ersten freien
Wahlen für die Gesamtbevölkerung im Juli 2004
stattfinden, sie wurden aber aus Gründen anhaltender
Feindseligkeiten unter den regionalen Milizführern sowie der
Störangriffe von einsickernden Taliban-Fanatikern und
Al-Qaida-Islamisten verschoben. Die allgemeine Wahl zum
Präsidenten findet nun aber doch im Oktober statt, die
Parlamentswahl soll im April 2005 durchgeführt
werden.
Jahrhundertelang von einem König und
Stammesfürsten regiert, dann von einem 20 Jahre andauernden
Bürgerkrieg und der grausamen Herrschaft der islamistischen
Taliban zerstört, wird Afghanistan nach UN-Angaben am Wahltag
einen Run auf die von Dänemark gespendeten 30.000 Wahlurnen
erleben: Die UNO rechnete ursprünglich mit höchstens 9,5
Millionen Wahlberechtigten; 10,5 Millionen Afghanen aber haben sich
laut UNO trotz Todesdrohungen der im Lande vagabundierenden
Taliban-Milizen als Wähler registrieren lassen, darunter 41,3
Prozent Frauen. Für sie hat die Invasion der Amerikaner im
Oktober 2001, wenige Wochen nach dem Terroranschlag von Islamisten
auf die USA, die größten Vorteile gebracht. Sie brauchen
nicht mehr in der Burka, dem Ganzkörperschleier,
herumzulaufen, zumindest nicht offiziell. Zwar herrschen in den
meisten Landesteilen nach wie vor machistische Männer, deren
Ansicht nach die Frau ein Wesen zweiter Klasse ist, doch die von
der Weltgemeinschaft durchgesetzte politische Gleichberechtigung
von Mann und Frau gilt als historischer Durchbruch nicht nur
für das erzkonservativ-islamische Land am Hindukusch, sondern
auch für die gesamte moslemische Welt, in der es, mit Ausnahme
der Türkei, keinen demokratischen Staat gibt.
Wie wird aber in einem Land gewählt, das
überhaupt keine Erfahrung in Demokratie hat und dessen
Bürger in verstreut liegenden, geographisch schwer
zugänglichen Berggemeinden leben?
Um Betrug zu verhindern, wird jedem
Wähler nach der Stimmabgabe der linke Daumen eingefärbt.
Gewählt wird nicht nur in Afghanistan, sondern auch in den
Flüchtlingslagern der Nachbarländer. Im Iran, wo 800.000
Afghanen Zuflucht gesucht haben, werden 1.000 Wahlurnen zur
Verfügung gestellt. Und in den Flüchtlingslagern
Pakistans wird mit 1,5 Millionen Afghanen gerechnet, die ihre
Stimme abgeben.
Da nur eine Minderheit der Afghanen lesen und
schreiben kann, wurde das Wahlprozedere während der
Registrierung mittels Cartoons und Postern erklärt.
Die in Kanada gedruckten Wahlzettel sind
durchgängig mit Fotos und Symbolen der Kandidaten versehen.
Das Wahlkreuzchen indes muss mittels eines Kugelschreibers neben
dem Kandidaten abgegeben werden; die meisten Afghanen werden also
am 9. Oktober zum ersten Mal in ihrem Leben einen Stift in der Hand
halten. Um der moslemischen Auffassung der Trennung von Mann und
Frau in der Öffentlichkeit gerecht zu werden, sind für
beide Geschlechter getrennte Wahllokale vorgesehen.
Für die Aufstellung und das Einsammeln
der Wahl-urnen wird je nach örtlicher Gegebenheit alles
aufgeboten, was sich bewegen kann: Jeeps, Pick-up Trucks,
Flugzeuge, Hubschrauber, Esel und Pferde. Manche Urnen werden
deshalb erst eine Woche nach der Wahl in den jeweiligen
Sammelzentren der Provinzen eingehen und ausgezählt werden
können - eine noch nicht zu überschauende Imponderabilie.
Die größte Herausforderung aber besteht darin,
genügend eingewiesene Wahlhelfer zu finden. Zwar gibt es ein
von der UNO gemanagtes internationales Wahlhelfergremium, auf
lokale afghanische Helfer kann indes schon aus sprachlichen
Gründen nicht verzichtet werden. Auf diesem Gebiet gibt es
laut UN-Angaben noch Defizite. Grundsätzlich sollen die
Wahlurnen nur im gemeinsamen Beisein von internationalen
Beobachtern und Vertretern der Kandidaten geöffnet werden, was
in vielen Fällen reine Utopie sein dürfte.
Afghanistan-Kenner rechnen mit Unruhen nach
der Wahl seitens der Verlierer, die das Ergebnis nicht anerkennen
wollen. Aber auch jetzt im Vorfeld der Präsidentenwahl hat die
Anzahl der Gewalttaten bereits zugenommen. Zwar werden die meisten
Attentate, darunter ein erfolgloser Anschlag auf den amtierenden
Präsidenten Karsai Anfang September, den
Taliban-Splittergruppen zur Last gelegt, aber auch die
rivalisierenden Kandidaten, meist Führer von hochbewaffneten
Milizen, versuchen mittels roher Gewalt, die Wähler ihrer
Provinzen einzuschüchtern.
Zwar wird kein hundertprozentiger Schutz vor
Anschlägen im Umfeld der Wahl möglich sein, doch die
insgesamt 26.000 Soldaten aus 36 Ländern sowie einheimische
Soldaten und Polizisten sind in höchste Alarmbereitschaft
versetzt. Circa 2.000 von ihnen kommen aus Deutschland.
Allein 1.473 Soldaten der Bundeswehr sichern
derzeit die Hauptstadt Kabul, 383 weitere sind in den
nördlichen Provinzstädten Faisabad und Kundus eingesetzt.
Seit Beginn der Vertreibung der Taliban im Spätherbst 2001 ist
die Bundeswehr in aktivem Einsatz im fernen Afghanistan, dessen
Kaiber-Pass einst die Briten das Fürchten lehrte. An der Jagd
nach dem Erz-Terroristen Osama Bin-Laden waren direkt nach der
Landung amerikanischer Einheiten in Afghanistan 100 deutsche
Elitesoldaten - das so genannte Kommando Spezialkräfte (KSK) -
beteiligt. Diese zu Beginn von der Bundesregierung geheimgehaltene
deutsche Schützenhilfe ist es vor allem, die Berlin - trotz
Verstimmung über die militärische Nichtbeteiligung am
Irak-Krieg -- die nachhaltige Achtung des amerikanischen
Präsidenten einbringt. Dies und die freiwillige Ausweitung des
Bundeswehreinsatzes in den Norden Afghanistans hat kritische
Stimmen in Washington gegenüber Berlin kleinlauter werden
lassen. Immerhin trägt die Stationierung von circa 2.000
deutschen Soldaten dazu bei, dass sich die Mehrzahl der 16.000 im
Lande operierenden amerikanischen Soldaten ihrer
ursprünglichen Aufgabe, dem Aufspüren Bin-Ladens, widmen
kann. Bei der Debatte um die Dauer der Stationierung der Bundeswehr
in Afghanistan ist ein Aspekt bisher zumindest öffentlich
nicht gebührend berücksichtigt worden: Je stärker
sich Deutschland in Afghanistan engagiert, um so mehr wird der
Erfolg beziehungsweise Misserfolg der afghanischen Demokratie eine
deutsche Angelegenheit. Deutschland hat nicht nur politisch auf dem
Bonner Petersberg vor drei Jahren, sondern inzwischen auch
militärisch neben den Amerikanern in Afghanistan eine
Führungsrolle übernommen, an der sich andere Staaten
ausrichten. "Wenn wir rausgehen würden, würden die
anderen auch rausgehen", warnte kürzlich Verteidigungsminister
Peter Struck (SPD) und setzte sich nachdrücklich für eine
Verlängerung des Bundeswehreinsatzes ein. Neben der
Stabilitätssicherung des Landes spielt auch der Aufbau von
medizinischer und schulischer Versorgung eine Rolle, der teilweise
vom deutschen Entwicklungshilfeministerium finanziert und
organisiert wird.
Ein wesentlicher Aspekt des steigenden
Engagements Deutschlands in Afghanistan ist aber die Sicherung der
eigenen Heimat. Ausgehend von der Überlegung, dass bis vor
drei Jahren das asiatische Land der Hauptsitz des internationalen
islamistischen Terrorismus war, "darf das Projekt Afghanistan" nach
den Worten von Außenminister Joschka Fischer gar nicht
scheitern. Vielmehr sei es nach Meinung Fischers "Vorbild für
den Irak". Insofern wird Deutschland also gegen islamistischen
Terrorismus am Hindukusch verteidigt.
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