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Michael Gehler
Die Umsturzbewegungen 1989 in Mittel- und
Osteuropa
Ursachen - Verlauf - Folgen
Einleitung
Ende der achtziger Jahre gaben die kommunistischen
Herrschaftssysteme in Europa ihre Macht ab und lösten sich in
atemberaubender Geschwindigkeit auf.
Zu diesem Fiasko hatten die
Dauerkrise des Staatssozialismus sowie die Entspannungspolitik des
KSZE-Prozesses beigetragen.
Die Reformbestrebungen unter Michail
Gorbatschow in der Sowjetunion verliehen den Andersdenkenden in den
sozialistischen "Bruderstaaten" politische Motivation und
moralische Legitimation. Das "Umbruchjahr" 1989 war Ergebnis der
"'erfolgreich gescheiterten` Revolution der kommunistischen
Selbstüberwindung".
Die deutschen Ereignisse stehen in der Mitte, aber nicht im
Mittelpunkt dieses Beitrags. Die Deutschen machten bei den
Umsturzbewegungen nicht den Anfang, sondern sie folgten den Polen
und Ungarn. Der Fall der Mauer in Berlin am 9.November 1989
entwickelte Schubkraft für die Umwälzungen in der
Tschechoslowakei und Rumänien.
Polen: lang anhaltende und versandete Revolution
In Polen sollte die erste organisierte Massenopposition ihren
reformpolitischen Anfang nehmen. Die siebziger Jahre standen im Zeichen von
Preiserhöhungen, Versorgungsengpässen und Repressionen.
1976 gründeten Jacek Kuron' und Adam Michnik das "Komitee zum
Schutz der Arbeiter" (KOR) für inhaftierte Dissidenten und
erreichten eine Amnestie. Die Wahl des Krakauer Kardinals Karol Wojtyla zum
Papst Johannes Paul II. 1978 und sein Besuch in Polen im Jahr
darauf stimulierten eine religiöse Erneuerungsbewegung.
Im Zuge einer erneuten Preis- und Inflationswelle seit Sommer
1980 folgten Streiks.
Die Regierung antwortete mit der
Zulassung freier und unabhängiger Gewerkschaften. Am 17.
September 1980 gründete sich Solidarnos'c'.
Unter dem Ministerpräsidenten
(1981 - 1985) und Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten
Arbeiterpartei (PVAP) (1981 - 1989) General Wojciech Jaruzelski
hielten die Krisenerscheinungen an. Wachsender Druck der
Solidarnos'c' mit ihrem populären Führer Lech
Wa|les<,a, fortgesetzte Streiks, die zunehmende Paralyse des
ökonomischen Systems und eine drohende militärische
Intervention der UdSSR führten am 13. Dezember 1981 zur
Ausrufung des Kriegsrechts. Ein "Militärrat der Nationalen
Rettung" unter Vorsitz Jaruzelskis übernahm die Kontrolle.
Streiks wurden untersagt, Tausende interniert, betrieblicher
Widerstand unterdrückt und die Solidarnos'c' am 8. Oktober
1982 aufgelöst. Am 31. Dezember 1982 wurde das Kriegsrecht
ausgesetzt und am 21. Juli 1983 aufgehoben. Zwar wurden alle
Internierten freigelassen, doch blieben Einschränkungen wie
das Solidarnos'c'-Verbot bestehen. Wa|les<,a erhielt den
Friedensnobelpreis, den er aufgrund eines Ausreiseverbots jedoch
nicht annehmen konnte. Die Entführung
und Ermordung des Warschauer Priesters Jerzy Popie|luszko
durch den Staatssicherheitsdienst am
19. Oktober 1984 löste neue Demonstrationen aus.
Ministerpräsident Zbigniew Messner konnte die Krise nicht
überwinden. Seine marktorientierte Reform wurde durch ein
Referendum im November 1987 abgelehnt. Im August 1988 brachen erneut landesweite Streiks
aus, die erst eingestellt wurden, nachdem die Wiederzulassung der
Solidarnos'c' zugesichert worden war.
Von Februar bis April 1989 fanden am "Runden Tisch"
Gespräche zwischen der neuen Regierung Mieczyslaw Rakowski
(1989 - 1990),
Kirche und Opposition statt, an dem
die Kommunisten die Macht teilen und dann abgeben mussten. Die
Kapitulation der PVAP führte zur Legalisierung von Solidarnos'c'
und der Bildung einer zweiten Parlamentskammer. Im Juni 1989 fanden
halbfreie Parlamentswahlen statt. Sie führten zu einem
großen Sieg der Opposition: Das Bürgerkomitee
Solidarnos'c' bildete mit der Vereinigten Bauernpartei und der
Demokratischen Partei eine Koalition.
Am 24. August 1989 wurde der
katholische Publizist Tadeusz Mazowiecki als Nachfolger des
Generals Czes|law Kiszczak erster nichtkommunistischer
Regierungschef in Osteuropa seit vierzig Jahren.
Am 6. November 1989 schlug das ZK der PVAP vor, die Begriffe
"Diktatur des Proletariats" und "proletarischer Internationalismus"
zu eliminieren und die parlamentarische Demokratie als Staatsform
zu etablieren. Parallel konstituierten sich neue Parteien.
Antisowjetische Gewaltakte nahmen zu. Am 29. Dezember wurde die
"führende Rolle" der PVAP bei einer Gegenstimme aus der
Verfassung gestrichen und die Staatsbezeichnung "Republik"
eingeführt. Im Januar 1990 löste sich die PVAP auf. Teile
ihrer Mitglieder gründeten die "Sozialdemokratie der Republik
Polen" (SdRP). Im Mai folgten freie Kommunalwahlen. Am 7. Dezember
1990 wurde Wa|les<,a zum Staatspräsidenten gewählt.
Die Begriffe "links" und "rechts"
blieben unklar,
wodurch die Entstehung eines
bipolaren Parteienspektrums erschwert wurde. Unter Mazowiecki
herrschte noch relative Einmütigkeit: Die Reformen wurden
allseits unterstützt. Der Zusammenhalt schwand, und
Solidarnos'c' spaltete sich.
Dem raschen Systemwechsel 1989 folgte in den neunziger Jahren
ein lang anhaltender Systemwandel ohne durchgreifende Erfolge. Es
blieb das Dauerproblem ökonomischer Reformen.
Weil Staats- und
Ministerpräsident mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattet
waren, agierten quasi zwei Regierungen. Das Zweikammersystem mit
Sejm (Volksvertretung) und Senat (Oberhaus) schuf eine
"Institutionenkonkurrenz"
. Aufgrund der Instabilität und
der Unbeweglichkeit des politischen Systems trat eine
wirtschaftliche Besserung nur äußerst schleppend ein.
Der neue Ministerpräsident Jan
Krzysztof Bielecki (1991) hielt zwar am Reformkurs fest, doch
Unbeholfenheit und Untätigkeit der Bürokratie wie die
ökonomische Systemkrise blieben bestehen.
Solidarnos'c' verlor infolge ihrer
Einbindung in die Regierungspolitik an Ansehen und Einfluss.
Die ersten freien und demokratischen Parlamentswahlen am 27.
Oktober 1991 - die letzten in einem ehemaligen
sowjetsozialistischen Staat Europas - brachten bei einer Beteiligung von 43,2 % keine
klare Mehrheit. 29 Parteien und Gruppierungen zogen in den Sejm
ein. Die verspätete Wahl und die komplexe
Parteienkonstellation bremsten das Reformtempo. Demokratische Union
(DU), Solidarnos'c' und die Bürgerallianz Zentrum (POC)
zählten zu den Verlierern, das postkommunistische Bündnis
der Demokratischen Linken (SLD), die nationale Katholische
Wahlaktion (WAK) und die eher antireformerische Konföderation
des Unabhängigen Polens (KPN) zu den Gewinnern. Das Ergebnis
spiegelte die Unentschiedenheit zwischen Systemreform und
Rückkehr zum alten Regime. Ministerpräsident einer
Mehrparteienkoalition wurde Jan Olszewski, der einerseits die
marktwirtschaftlichen Reformen des Finanzministers Leszek
Balcerowicz zu mildern, andererseits die Beseitigung des alten
Staatsapparats einzuleiten versuchte.
Nach Olszewskis Abberufung im Juni
1992 wurde Hanna Suchocka (Demokratische Union) im Juli
Ministerpräsidentin einer Koalition von sieben aus der
Solidarnos'c' hervorgegangenen Parteien.
Ein Regierungsprogramm zur "Allgemeinen Privatisierung" von
circa 600 Staatsbetrieben mit der Ausgabe von Volksaktien wurde im
April 1993 vom Sejm gebilligt. Nach einem Misstrauensantrag der
Solidarnos'c'-Fraktion gegen die Regierung Suchocka erklärte
diese im Mai 1993 ihren Rücktritt. Die Wahlen vom September
gewannen ein Linksbündnis und die Polnische Bauernpartei. Der
neue Ministerpräsident Waldemar Pawlak trat aufgrund von
Differenzen mit Wa|les<,a und infolge eines erneuten
Misstrauensantrags bald zurück. Sein Nachfolger Józef
Oleksy (SRP) gab auf, nachdem gegen ihn der Verdacht der Spionage
für den sowjetischen Geheimdienst aufkam. Der neue
Ministerpräsident W|lodzimierz Cimoszewicz führte ein
Koalitionskabinett aus Linksbündnis und Bauernpartei an. Bei
der Präsidentenwahl im November 1995 setzte sich der Vertreter
der Linksallianz Aleksander Kwas<,niewski gegen Wa|les<,a
durch, sah sich jedoch nach der Parlamentswahl vom 21. September
1997 im Sejm einer konservativ-liberalen Mehrheit
gegenüber.
Außenpolitisch orientierte sich Polen nach Westen. Die im
Osten Deutschlands stationierten 300 000 Sowjetsoldaten erzeugten
Unsicherheit.
Im November 1990 wurde der
Deutsch-Polnische Grenzvertrag unterzeichnet, der die
Oder-Neiße-Linie als definitive Grenze bestimmte. Im Juni 1991
folgte ein Nachbarschaftsvertrag mit der Bundesrepublik.
Eine Aktivierung der
Nachbarschaftspolitik führte zur Beteiligung an der
Viségrad-Gruppe (gemeinsam mit Tschechien, der Slowakei und
Ungarn). 1991 trat Polen dem Europarat bei und schloss ein
EG-Assoziationsabkommen. 1994 stellte es den EU-Beitrittsantrag
und wurde 1999 NATO-Mitglied. Im Mai
2004 folgte der EU-Beitritt.
Ungarn: rasche, stille und paktierte Revolution
Nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 wurde Janos
Kádár, gestützt auf die Rote Armee, Erster
Sekretär des ZK der neu begründeten Ungarischen
Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP). Er leitete zunächst
eine scharfe Verfolgungswelle ein. Ab 1962/63 setzte ein Kurs der
inneren Versöhnung mit dem Ziel der Integration in die
"sozialistische Staatengemeinschaft",
eine Politik der "erfolgreichen
Depolitisierung und der gelegentlichen Zugeständnisse"
ein. Unter Gewährung
wirtschaftlicher Eigeninitiativen verbesserte sich in den siebziger
Jahren die sozioökonomische Lage. Es kam auch zu einer
geistig-kulturellen Liberalisierung mit entpolitisierender
konsumtiver Wirkung und dezentralisiertem und pseudopluralistischem
Profil ("Gulaschkommunismus"). Das reformierte Wirtschaftssystem
avancierte zum erfolgreichsten der Comecon-Länder.
Bereits vor Gorbatschows Amtsantritt existierten in Ungarn
reformkommunistische Bestrebungen. Sie führten zur Anpassung
der Preispolitik an das Weltmarktniveau (1980), zur Aufnahme des
Landes in den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank
(1982), zur Gründung einer ungarisch-dänischen Joint
Venture (1984) und zur Reform des Bankwesens (1987). Unter
Ministerpräsident Károly Grósz kam es zu einer
Steuerreform und zur Öffnung des politischen Systems. Parallel
zur Reformpolitik von oben entwickelte sich die Reformbewegung von
unten.
Aufgrund der schrittweisen Reformen
seit 1987/88 konnte der Transformationsprozess zwischen Regime und
Opposition paktiert, der Systemwechsel friedlich und rasch
durchgeführt, gesetzlich und verfassungsmäßig mit
Menschenrechten, Versammlungs-, Vereinigungs- und Pressefreiheit
abgesichert sowie daraus entstehende wirtschaftliche Probleme
reduziert werden. Der Weg zu einer "gemischten Ökonomie" aus
Plan- und Marktwirtschaft wurde durch Rezsö Nyers, dem
Reformer und Staatsminister der ersten postkadaristischen
Regierung, geebnet. Nach dem erzwungenen Rücktritt
Kádárs als Generalsekretär der USAP am 22. Mai 1988
übernahm Grósz die Parteiführung, musste jedoch
aufgrund seiner mangelnden Reformbereitschaft sein Amt an
Miklós Németh abtreten.
Bereits am 27. September 1987 war das Ungarische Demokratische
Forum (UDF) gegründet worden. Weitere Parteien entstanden: der
Bund der Freien Demokraten (BFD) am 13., die Partei der Kleinen
Landwirte (FKgP) am 18. November 1988 und die
Christlich-Demokratische Volkspartei (KDNP) am 11. Mai 1989. Im
Januar 1989 verzichtete die USAP auf ihre Führungsrolle in
Staat und Gesellschaft. Ihre Machtstellung war vorher bereits
gebrochen. Der Oppositionelle Runde Tisch löste das
Regime ab. Der Nationale Runde Tisch führte Opposition und
Kommunisten zusammen, um am 18. September 1989 die Republik zu
proklamieren sowie die gesetzlichen Grundlagen für ein
Mehrparteiensystem zu schaffen. Der Kompromiss ermöglichte die
Direktwahl eines interimistischen Präsidenten, des
Reformsozialisten Imre Pozsgay.
Neue Institutionen waren Ausdruck der Transition. Am 13. Juni
1989 begannen Verhandlungen am Nationalen Runden Tisch über
Verfassungsänderungen, die ein Verfassungsgericht, einen
Rechnungshof, eine Nationalbank sowie ein Wahlgesetz
hervorbrachten.
Die Legalisierung der Demokratie
erfolgte durch Elitenübereinkünfte.
Der Übergang zum
Verfassungsstaat verlief auf parlamentarischem Wege so
geräuschlos, dass von einer "stillen Revolution" gesprochen
wird. Am 16. Juni 1988 war es zu einer verbotenen Demonstration zum
Gedächtnis des 1958 hingerichteten Imre Nagy gekommen.
Parallel zum politischen Wandel
vollzog sich die offizielle Revision des Geschichtsbildes von 1956.
Das Verhältnis der USAP zur sowjetischen
Intervention stellte sich neu. Sie bekannte sich im Februar 1989 zum
Mehrparteiensystem, verzichtete im April auf den demokratischen
Zentralismus, schaffte im Mai das System der Nomenklatura ab,
rehabilitierte im Juni die 1956er Revolutionäre, gestattete
das Begräbnis von Nagy als Staatsakt und unterzeichnete am 13.
September mit der Opposition eine Vereinbarung über freie
Parlamentswahlen. Die USAP trug damit selbst zu ihrer
Delegitimierung bei.
Vor dem Hintergrund des zerfallenden Ostblocks orientierte sich
Ungarn stärker nach Westen. Ab 2. Mai 1989 setzte der Abbau
der Sperranlagen an der Grenze zu Österreich ein. Am 27. Juni
folgte die symbolische Öffnung des Eisernen Vorhangs durch die
Außenminister Ungarns und Österreichs, Gyula Horn und
Alois Mock, die vor laufenden Kameras den Zaun durchschnitten. Das
Bild wurde zur Ikone des ausklingenden Kalten Kriegs. Die
Vorgänge führten im Sommer und im Frühherbst 1989
zur Fluchtwelle von DDR-Bürgern. Horn ließ am 10./11.
September 1989 offiziell die Grenze zur freien Ausreise
öffnen, was binnen weniger Stunden rund 12 000 Ostdeutschen
die Ausreise ermöglichte und den politischen Zusammenbruch der
DDR einleitete.
Nach der Selbstauflösung der USAP am 7./8. Oktober 1989
entstand die Ungarische Sozialdemokratische Partei (USP) unter
Vorsitz von Nyers. Am 23. Oktober erfolgte die Namensänderung
zur "Republik Ungarn". Am 10. März 1990 wurde der
vollständige Abzug der sowjetischen Truppen vereinbart, der am
17. Juni 1991 beendet war. Die ersten freien Wahlen seit 1947
fanden im März und April 1990 mit 65 bzw. 44 Prozent
Beteiligung statt. Das UDF gewann mit 47,7 Prozent der Stimmen und
erhielt 164 Abgeordnete. Ministerpräsident einer
Koalitionsregierung von UDF, FKgP und KDNP wurde am 23. Mai der
Christdemokrat Joszef Antall (UDF), der am 21. Dezember von
Péter Boross abgelöst wurde. Am 2. März 1990
wählte das Parlament den Liberalen Arpad Göncz (BFD) zu
seinem Präsidenten und am 3. August zum
Staatspräsidenten.
Neben einem Minderheitengesetz vom 7. Juli 1993 wurde ab 1994
auf gemeindepolitischer und gesamtstaatlicher Ebene ein
Selbstverwaltungssystem für nationale und ethnische
Minoritäten eingerichtet.
Bei der Parlamentswahl im Mai 1994
gewann die oppositionelle USP die absolute Mehrheit, gefolgt vom
BFD, während das UDF auf den dritten Platz abrutschte. Eine
Koalition aus sozialistischen und liberalen Politikern (USP und
BFD) machte Horn (USP) am 15. Juli 1994 zum
Ministerpräsidenten, der eine Phase der innenpolitischen
Beruhigung und der wirtschaftlichen Stabilisierung einleitete. Die
Gesellschaft teilte sich in bürgerliche und postkommunistische
Kräfte, Menschen mit zwei Vergangenheiten, zwei Wertesystemen
und zwei Zukunftsbildern. Die Wirtschaftsleistung erfuhr im
Vergleich zu den Vorwendezeiten eine erhebliche Steigerung.
Obwohl die Marktwirtschaft
funktionierte, verschlechterten sich die Lebensverhältnisse
für viele.
Parallel zur innenpolitischen Entwicklung erfolgte eine
institutionelle West- und Europaorientierung.
1990 wurde Ungarn in den Europarat
aufgenommen, 1991 schloss es Assoziierungsabkommen mit der EG und
1992 den ungarisch-deutschen Vertrag über Freundschaft und
Zusammenarbeit. Außenpolitisch war Ungarn bestrebt, die
aufgrund von Minderheitenproblemen belasteten Beziehungen zu den
Nachbarstaaten zu verbessern, was durch einen Grundlagenvertrag mit
der Ukraine 1992, mit der Slowakischen Republik und Kroatien 1995
gelang. 1994 trat Ungarn dem Partnerschaftsprogramm (PfP) der NATO
bei, und 1997 wurde das Beitrittsprotokoll für den
NATO-Beitritt 1999 unterzeichnet. Nach dem Antrag auf
Vollmitgliedschaft 1994 begannen 1998 Beitrittsverhandlungen, die
am 1. Mai 2004 zur Aufnahme Ungarns in die EU führten.
DDR: Revolution nach Dienstschluss mit gesamtstaatlicher
Einheit
Ab Mitte der achtziger Jahre sah sich das SED-Regime im Zuge des
KSZE-Nachfolgeprozesses und internationalen und inneren Drucks zu
Zugeständnissen an Regimekritiker gezwungen. Durch Beschluss
des Staatsrats wurde 1987 die Todesstrafe abgeschafft. Ein Gesetz
ermöglichte 1988 die gerichtliche Nachprüfung von
bestimmten Verwaltungsentscheidungen. Diese Konzessionen reichten
jedoch nicht mehr aus. Der "Gorbi-Effekt" und die Verweigerung
durchgreifender Reformen stimulierten den Widerstand.
Systemdefizite wurden immer deutlicher.
Die gesellschaftlichen Spannungen verstärkten sich. Im Mai
1989 wiesen Bürgerrechtler massive Fälschungen bei der
Kommunalwahl nach.
Die Unzufriedenheit mit dem
sozialistischen Alltag, der wirtschaftliche Niedergang und der
Unmut gegen zusätzliche Beschränkungen der Reisefreiheit
zählten zu den Auslösern des Protests, der sich zu einer
breiten und gewaltlosen Bewegung auswuchs. Neue Parteien und
demokratische Organisationen bildeten sich: Demokratie Jetzt am
12., das Neue Forum am 19. September, der Demokratische Aufbruch am
2. und die Sozialdemokratische Partei der DDR am 7. Oktober 1989.
Bestärkt durch die Veränderungen in den sozialistischen
Nachbarstaaten führten Massendemonstrationen zur Demontage der
SED.
Vorentscheidend war die Öffnung der
ungarisch-österreichischen Grenze für DDR-Bürger
sowie der Exodus zehntausender DDR-Flüchtlinge über
Ungarn und die CSSR, die ihre Ausreise in die Bundesrepublik
erzwangen. Flankiert wurden diese Vorgänge durch den
disziplinierten Massenprotest bei den Montagsdemonstrationen in
Leipzig und anderen Städten. Die "Urlaubsrevolution"
außerhalb war begleitet von der "Feierabendrevolution"
innerhalb der DDR.
Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag
der Staatsgründung in Berlin am 8. und 9. Oktober 1989 waren
gekennzeichnet von vehementen Protestaktionen und brutalem
Polizeieinsatz. Erich Honecker trat am 18. Oktober zurück.
Sein Nachfolger Egon Krenz kündigte eine "Wende" an; es gelang
jedoch keine Stabilisierung der Verhältnisse. Am 23. Oktober
demonstrierten in Leipzig 250000, am 4. November auf dem
Alexanderplatz in Berlin 500 000 Menschen. Die Staatssicherheit war
nicht mehr in der Lage, die Proteste einzudämmen. Am 7.
November trat die Regierung Stoph zurück.
Die Maueröffnung am 9. November bedeutete die
"unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates".
Sie führte zwar zu einer
Entlastung des massiv unter Druck geratenen Regimes, nahm aber
gleichzeitig die staatliche Einheit mit der Bundesrepublik vorweg.
Der Ruf nach Bürgerrechten und freien Wahlen sowie die
Forderung nach Auflösung des SED-Regimes ("Wir sind das Volk")
wurden nach dem 9. November von den Leitsprüchen "Deutschland
einig Vaterland" und "Wir sind ein Volk" abgelöst. Die
politischen Forderungen wurden zunehmend von nationalen Motiven
überlagert - eine Parallele zum 17. Juni 1953. Weder die seit
dem 13. November amtierende Übergangsregierung unter Hans
Modrow noch die vorsichtig agierende Regierung in Bonn konnten sich
der nationalen Sogwirkung entziehen. Bundeskanzler Helmut Kohl
schlug am 28. November in einem "Zehn-Punkte-Plan" eine
Konföderation vor, die in zehn bis 15 Jahren die
Wiedervereinigung ermöglichen sollte.
Doch die Initiative zur deutschen
Einheit ging von den Menschen im Osten aus, die Umsetzung erfolgte
durch die Politik der Bundesrepublik.
Am 3. Dezember 1989 trat das ZK der SED geschlossen zurück.
Zwölf Mitglieder (u.a. Honecker und Stoph) wurden aus der
Partei ausgeschlossen, vier wegen Amtsmissbrauchs verhaftet. Drei
Tage später erklärte Krenz seinen Rücktritt als
Staatsratsvorsitzender. Die Blockparteien beendeten ihre Mitarbeit
in der Nationalen Front. Auf einem Sonderparteitag der Ost-CDU
sprach sich ihr Vorsitzender Lothar de Maizière gegen den
Sozialismus und für die deutsche Einheit aus. Zur selben Zeit
benannte sich die SED unter ihrem neuen Vorsitzenden Gregor Gysi
zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) um. Der seit
Dezember tagende Zentrale Runde Tisch in Berlin förderte unter
Moderation der Evangelischen und Katholischen Kirche den
friedlichen Übergang.
Die führende Rolle der SED wurde
aus der Verfassung gestrichen, das Verbot von Privateigentum an
ausgewählten Produktionsmitteln aufgehoben sowie ein
Bündel von Gesetzen zur Demokratisierung und Einführung
freier Wahlen erlassen, die zur ersten frei gewählten
Volkskammer führten und den raschen Beitritt zur
Bundesrepublik und zum Grundgesetz gestatteten. Die Wahl vom 18.
März 1990 brachte einen überraschend klaren Sieg der
konservativen Allianz für Deutschland aus CDU, DSU und
Demokratischem Aufbruch (48,1 Prozent), während die SPD nur
21,8 Prozent und die PDS 16,3 Prozent erzielten. Die
Koalitionsregierung unter Ministerpräsident de Maizière
verfolgte das Ziel eines föderativen Staatsaufbaus und der
raschen deutschen Einheit auf der Basis von Artikel 23 des
Grundgesetzes.
Die am 1. Juli 1990 in Kraft getretene Währungs-,
Wirtschafts- und Sozialunion laut Staatsvertrag vom 18. Mai war der
erste Schritt zur Implementierung der Marktwirtschaft und der
politischen Einigung. Die Gründung der Treuhandanstalt wurde
von den Ostdeutschen jedoch rasch als Inbegriff des Kapitalismus
erfahren,
begünstigte sie doch den
Ausverkauf der DDR-Wirtschaft und führte ihren raschen
Zusammenbruch herbei. Die Volkskammer erklärte am 23. August
den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, was im
Einigungsvertrag vom 31. August besiegelt wurde. Am 3. Oktober 1990
vollzog sich die staatliche Einheit.
Die Ablehnung der Staats- und Regierungschefs der EG wich
allmählicher Akzeptanz, die ihren Ausdruck im
Zwei-plus-Vier-Vertrag über die abschließende Regelung in
Bezug auf Deutschland am 12. September 1990 fand. Die UdSSR, die
noch im Frühjahr die Neutralität Deutschlands angestrebt
hatte, gab ihren Widerstand gegen eine Einbeziehung des ehemaligen
DDR-Territoriums in den NATO-Geltungsbereich auf.
Es folgte die
Suspendierungserklärung der Alliierten bezüglich Berlins
und Deutschlands als Ganzes vom 1. Oktober 1990 und der
Deutsch-Polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990. Der
äußeren Einigung im Kontext der europäischen
Integration stand der weit beschwerlichere Weg zur inneren Einheit
gegenüber. Erst in den Folgejahren sollte deutlich werden,
welche Verwerfungen die Jahrzehnte der Teilung angerichtet hatten.
In der öffentlichen Debatte überwogen die "Kosten der
Einheit" ihre Vorteile.
CSSR: sanfte Revolution mit staatlicher Sezession
Im Zuge der KSZE-Schlussakte entwickelte sich in der CSSR die
insbesondere von Tschechen getragene Bürgerrechtsbewegung
Charta 77. In der Slowakei blieb sie ohne größeren
Widerhall. Ihre Sprecher waren Jiri Hájek und Václav
Havel. Das Regime unter Gustav Husák reagierte mit
Verhaftungen. Den Reformkurs von Gorbatschow lehnte die KPC unter
Generalsekretär Milos Jakes ab. Im Oktober 1988 trat
Ministerpräsident Lubomir Strougal zurück. Reformversuche
von oben blieben wirkungslos.
Seit Ende Oktober 1989 kam es in Prag und Brünn zu
Demonstrationen. Höhepunkt war die Kundgebung am 17. November
1989 zum Gedenken des 50. Jahrestages der Ermordung des Prager
Studenten Jan Opletal durch die Nationalsozialisten, bei der die
Freilassung politischer Gefangener, die Entlassung Jakes' und ein
Ende der kommunistischen Herrschaft gefordert wurden. Die Polizei
knüppelte die Kundgebung nieder. Dies steigerte die
Studentendemonstration zum Massenprotest, was zum Generalstreik und
schließlich zum Einlenken der Regierung führte. Am 19.
November sprach sich das ZK der KPC für den "Dialog" aus. Die
"sanfte" oder "samtene Revolution" bewirkte die rasche Umgestaltung
des politischen Systems.
Die Revolution in der CSSR, so manche
Beobachter, sei eine Art Volksfest und dann ein "Umsturz als Beginn
einer langfristigen, komplizierten, sogar schmerzhaften
Transformationsperiode" gewesen.
Das am 19. November 1989 gegründete Bürgerforum (OF)
mit Vertretern der Charta 77 um Havel und die slowakische
Partnervereinigung "Öffentlichkeit gegen Gewalt" (VPN) wurden
zu Plattformen der demokratischen Protestbewegung. Am 20. November
trat das Politbüro, am 24. November das gesamte ZK mit Jakes
zurück. Das OF begann mit dem als "Reformer" geltenden
Ladislaw Adamec (KPC), dem Ministerpräsidenten der
Föderalregierung, zu verhandeln, der versprach, weder Gewalt
anzuwenden noch den Ausnahmezustand zu verhängen. Sein
Vorschlag vom 3. Dezember einer Regierungszusammensetzung von
Kommunisten und Vertretern der Opposition im Verhältnis von
15:5 wurde abgelehnt. OF und VPN forderten Neuwahlen bis Juli 1990.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit trat Adamec am 7. Dezember
zurück. Die Machtbasis der KPC zerfiel. Der Reformkommunist
Márián Calfa formte am 10. Dezember als
Ministerpräsident erstmals eine nichtkommunistisch dominierte
Koalitionsregierung der "nationalen Verständigung". Nach der
Reorganisation der nationalen Regierungen ging die Verantwortung
auf das OF über. Während die Legislative unangetastet
blieb, kam es im Bereich der Exekutive zu Veränderungen.
Kompromittierten Abgeordneten wurden ihre Mandate entzogen,
führende KPCler wie Jakes, Jan Fojtík oder Vasil
Bilák von ihren Funktionen entbunden. Am 29. Dezember strich
das Parlament den Führungsanspruch der KPC aus der Verfassung.
OF-Sprecher Havel wurde nach dem Rücktritt von
Staatspräsident Husák am gleichen Tag vom Parlament
einstimmig zu dessen Nachfolger gewählt.
Alexander Dubcek war am 28. November
1989 zum Parlamentspräsidenten gewählt worden.
Der Prager Runde Tisch beschloss Wahlen noch vor dem Juli 1990.
Am 20. April folgte die Umwandlung der CSSR in einen
föderativen Staat und die Umbenennung in Tschechische und
Slowakische Föderative Republik (CSFR), um die
Gleichberechtigung beider Volksgruppen zu betonen. Nach den freien
Wahlen zum Bundesparlament (der Volks- und Nationenkammer) im Juni
1990 formten OF und VPN unter Vladimir Meciar (Austritt am 6.
März 1991) eine Koalition mit der slowakischen
Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH) aus dem
tschechoslowakischen Wahlbündnis Christdemokratische Union
(KDU). Die neue Regierung unter Calfa (seit 1990 VPN) legte den
Schwerpunkt auf Wirtschaftsreformen, Föderalisierung und
kommunaler Selbstverwaltung. Wie in Polen kam es zur Zersplitterung
der Oppositionsbewegung. Im März und April 1991 spalteten sich
OF und VPN in verschiedene Parteien, darunter die Bewegung für
die demokratische Slowakei (HZDS) unter Meciar und die
rechtsliberale Demokratische Bürgerunion.
Mit der Selbstauflösung des Warschauer Pakts und des RGW
(1991) orientierte sich die CSFR nach Westeuropa.
Der Nachbarschaftsvertrag mit der
Bundesrepublik am 27. Februar 1992 leitete die Normalisierung der
Beziehungen ein. Es blieb bei der ethnischen Asymmetrie von neun
Millionen Tschechen und vier Millionen Slowaken, während die
400 000 Ungarn, 500 000 Roma und Sinti sowie die polnischen,
rumänischen und deutschen Minoritäten vergessen blieben.
Der Kompetenzstreit zwischen Tschechen und Slowaken blockierte die
rasche Lösung von Fragen der Wirtschaftsgesetzgebung. Durch
Restitutionsforderungen wurde der Übergang von der Plan- zur
Marktwirtschaft belastet.
Seit 1991 formierten sich in der Slowakei separatistische und
nationalistische Gruppierungen. Bei den Wahlen im Juni 1992 siegte
die HZDS. Meciar wurde Ministerpräsident und forcierte die
Unabhängigkeit. Mit dem neuen tschechischen
Ministerpräsidenten Václav Klaus konnte er sich nicht auf
die Weiterexistenz der CSFR einigen. Die Slowakei, die bereits seit
1969 als sozialistische Republik "Autonomie" besessen hatte,
proklamierte am 17. Juli 1992 ihre Selbständigkeit. Daraufhin
trat Havel als Staatspräsident der CSFR am 20. Juli 1992
zurück. Ohne Volksabstimmung trat die Auflösung der
Konföderation am 1. Januar 1993 in Kraft.
Obwohl die Slowakei bemüht war,
Anschluss an die westliche Staatengemeinschaft zu finden,
war ihr Ansehen durch innenpolitische
Turbulenzen, die populistische Politik Meciars und die schlechte
Lage der ungarischen Minderheit beeinträchtigt. Im Zuge
veränderter Konstellationen traten Tschechien und die Slowakei
am 1. Mai 2004 der EU bei.
Rumänien: verspätete und gewaltsame
Revolution
Das rumänische Regime unter Nicolae Ceaus<,escu lehnte
Gorbatschows Reformen kategorisch ab.
Gestützt auf den Geheimdienst
Securitate hatte er seit den siebziger Jahren eine Diktatur mit
Nepotismus und Personenkult aufgebaut. Außenpolitisch
stilisierte sich Ceaus<,escu als Rebell im sozialistischen Lager
und praktizierte einen Kurs der "Öffnung nach allen Seiten".
Die miserable ökonomische Lage, die neostalinistische
Herrschaftspraxis und Menschenrechtsverletzungen steigerten den
Unmut. Die Einebnung von ca. 7 000 Dörfern und die Umsiedlung
von Rumäniendeutschen und -ungarn zur besseren Kontrolle,
Landgewinnung und zum Aufbau von "Agrozentren" führten zu
internationaler Kritik. Regimekritiker formierten eine
oppositionelle Bürgerbewegung.
Studenten und Arbeiter protestierten am 15. November 1987 in
Kronstadt. Das Regime schlug die Unruhen mit eiserner Faust nieder.
Im Zuge der Umsturzbewegungen in Mittel- und Osteuropa lösten
die von der ungarischen Minderheit getragenen und blutig erstickten
Aufstände in Temesvar und Arad am 16./17. Dezember 1989 eine
Massenerhebung aus. Ceaus<,escu wurde bei einer Kundgebung
ausgepfiffen und mit offenem Aufruhr bedroht. Große Teile der
Armee stellten sich auf die Seite der Protestierenden. Am 21.
Dezember kam es in Bukarest zu Straßenkämpfen mit der
Securitate. Tags darauf wurde Ceaus<,escu von einer
parteiinternen Gegenelite im Zuge einer Palastrevolte
gestürzt, mit seiner Frau Elena am 23. Dezember auf der Flucht
verhaftet und am 25. Dezember in Târgovis<,te von einem
Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Als neue Regierung
fungierte die Front der Nationalen Rettung (FSN), die am 26.
Dezember den Putschistenführer und Reformkommunisten Ion
Iliescu zum provisorischen Staatspräsidenten ernannte. Die
Opfer der Aufstände beliefen sich auf über 1000 Personen.
Iliescu hob die Umsiedlungsgesetze auf und kündigte freie
Wahlen an. Der Staat hieß fortan "Republik". Ende 1989 wurde
die Nationale Bauernpartei-Christdemokraten (PNTCD) neu
begründet. Massenproteste und eine Resolution des Runden
Tisches führten zur Einsetzung eines Provisorischen Rats der
Nationalen Einheit mit 30 Parteien und Gruppierungen. Doch
Kämpfe in Siebenbürgen zwischen Rumänen und
Rumänenungarn im März sowie zwischen antikommunistischen
Demonstranten und Sicherheitskräften im Juni 1990
verdeutlichten die explosive Lage. Im Mai wurde Iliescu als
Kandidat der FSN zum Staatspräsidenten gewählt; die FSN
wurde stärkste Fraktion im Parlament. Die neue Verfassung von
1991 bedeutete zwar die formelle Beseitigung der Diktatur; Politik
und Ökonomie blieben aber weiter in Händen
ex-kommunistischer Eliten, während die im Bündnis
Demokratische Konvention zusammengeschlossene Bürgeropposition
unterdrückt wurde. Der Wechsel von Ministerpräsident
Petre Roman zu Theodor Stolojan verdeutlichte die instabile
Situation, die von ökonomischer Misere, politischen
Gegensätzen und ethnischen Konflikten gekennzeichnet war.
Am 24. Juni 1991 verurteilte das Parlament einstimmig die
Annexion Bessarabiens durch die UdSSR (1940) und erkannte die
Unabhängigkeit Moldawiens an (27. August). Im April 1992
spaltete sich die FSN. Die Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen vom Herbst 1992 gewann Iliescu. Die Regierung
Nicolae Vacaroiu war mit einer rasanten Inflation konfrontiert, die
1993 ihren Höhepunkt erreichte. Von April bis Sommer 1995
folgten Streiks und Massendemonstrationen. Bei der
Präsidentschaftswahl im November 1996 gewann der Kandidat der
Demokratischen Konvention, Constantinescu, der erstmals nach 1989
demokratisch legitimierte Macht ausübte. Insgesamt entsteht
das Bild einer "unvollendeten Revolution zwischen Diktatur und
Demokratie".
1993 unterzeichnete Rumänien ein EG-Assoziationsabkommen
(in Kraft 1995). Es wurde Mitglied des PfP-Programms der NATO
(1994) und des Europarats (1995). Am 15. Januar 2000 begannen
EU-Beitrittsverhandlungen. 2004 wurde es Mitglied der NATO, 2007
soll die Aufnahme in die EU erfolgen.
1989 - eine Bilanz
Hintergründe und Folgen der Umsturzbewegungen in Mittel-
und Osteuropa waren komplex; Gemeinsamkeiten in den Ursachen
mischen sich mit Unterschieden der Merkmale, des Verlaufs und der
Ergebnisse. Die sich abzeichnende Niederlage der UdSSR in
Afghanistan, die Entlassung der alten Garde Breschnews, der
ideologische Erosionsprozess, das Entstehen von
Schattenwirtschaften, die verstärkte Integration Mittel- und
Osteuropas in das westlich-kapitalistische Wirtschaftssystem mit
Zunahme des Handels und der Auslandsschulden, die
Unmöglichkeit, die von der "dritten industriellen Revolution"
ausgehenden Innovationen der Mikroelektronik nachzuvollziehen sowie
das Anwachsen einer Zivilgesellschaft führten zu einem
Problemstau, der sich in politischen Umstürzen
äußerte.
Eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden fallen auf.
Ohne Gorbatschows Politik, die mit der Breschnew-Doktrin der
eingeschränkten Souveränität gebrochen hatte,
wären die Umsturzbewegungen nicht möglich gewesen.
Gorbatschow war Motor des Wandels, wenngleich er diesen weder
steuern konnte noch dessen Resultate beabsichtigt hatte. Die
deutsche Einigung, das Ende der Sowjetunion und die
NATO-Mitgliedschaft der ehemaligen Verbündeten in Mittel- und
Osteuropa sind Beispiele für die unbeabsichtigten Wirkungen
seiner Politik. Angesichts notwendiger Reformen stellte sich
für die Sowjetunion und ihre Satelliten die Frage ihrer
Existenzfähigkeit und Überlebensmöglichkeit. 1989
zeigte sich die Wettbewerbsunfähigkeit der gestürzten
Regime und der Unabhängigkeitswille der beherrschten
Völker.
Die Ereignisse von 1989 sind im historischen Zusammenhang mit
dem 17. Juni 1953 in der DDR, dem polnischen Oktober und dem
Ungarn-Aufstand 1956, dem Prager Frühling 1968 und der
polnischen Gewerkschaftsbewegung seit 1981 zu sehen. Die
unterschiedliche vorrevolutionäre Erfahrung und das gemeinsame
kollektive Erlebnis der Niederwerfung der Volksbewegungen durch den
sowjetischen Totalitarismus prägten in den geschilderten
Umbruchszeiten sowohl das Handeln der Opposition als auch das
Reagieren der Regime. In Rumänien vollzog sich die Preisgabe
der kommunistischen Staatsmacht nicht gewaltfrei. Eine echte Chance
auf Regeneration der sozialistischen Einparteiensysteme und
Kommandowirtschaften gab es nicht. Die kommunistischen Diktaturen
waren von "Selbsterneuerungsunfähigkeit" gekennzeichnet: Mit
den permanenten Systemdefiziten waren mittelfristig Systemkrisen
und langfristig Systemzerfall verbunden.
Timothy Garton Ash hat auf Polen und Ungarn bezogen von
"Refolutionen" gesprochen, einem Mischungsverhältnis von
"Revolutionen" als Druck der Straße ("von unten") und
"Reformen" der Systeme ("von oben"). Pointierter nannte er den
Zusammenbruch der DDR eine Kombination "aus gesundem
Menschenverstand und Schlamperei der neuen Parteiführung"
. Daneben agierte das Fernsehen als
Produzent und Multiplikator. Ben Fowkes hat die "so genannten
Revolutionen" als "Kettenreaktion" bezeichnet. Die Gewerkschaftsbewegung in Polen und die
sozioökonomische Liberalisierung in Ungarn bildeten
Vorläufer und Pioniere der Umsturzbewegungen; die Opposition
in der DDR und der CSSR profitierte davon. Rumänien eilte der
Entwicklung gewaltsam hinterher. Die DDR und CSSR erlebten
demokratische Revolutionen mit einer starken nationalen Dimension:
In der DDR hatte sie die Vereinigung mit der Bundesrepublik, in der
CSFR den Zerfall der Föderation zur Folge.
Die Forderung nach Freiheit und Volkssouveränität war
ein zentrales Anliegen der Protestbewegungen. Sie manifestierte
sich durch Runde Tische, kommunistische pseudo- oder
semidemokratisch legitimierte Parlamente. Über die
transitorischen Artikulationsforen führte der Prozess
unaufhaltsam zu pluralistischen Erscheinungen
westlich-demokratischer Ausprägung. Die Erringung der Freiheit
bedeutete allerdings nicht automatisch die Sicherung von Demokratie
und Rechtsstaat. So ergaben sich neue Spannungsfelder: einerseits
die Diskrepanz zwischen politischer Veränderung und
wirtschaftlicher Neugestaltung, andererseits das Dilemma zwischen
rascher institutioneller Reform im staatlichen Bereich und
zäher Demokratisierung des politischen Lebens.
Die Anciens Régimes gaben - mit Ausnahme des
rumänischen - ohne größeren Widerstand auf und
teilten die Macht mit der Opposition. Im Wandel von
postkommunistischen zu neudemokratischen
Herrschaftsverhältnissen mischte sich Altes mit Neuem. Fast
überall zeigten sich alsbald Spannungen und Rivalitäten
innerhalb der Opposition. Ihre starke Pluralisierung war nicht
immer förderlich für die Demokratisierung der politischen
Systeme. Wie Polen befreite sich Ungarn selbst, ohne dass durch die
Machtverschiebungen schon demokratiepolitische Stabilität
erzielt worden wäre. Im Vergleich zu
Polen (Wa|les<,a) und der CSSR (Havel) gab es in der DDR keine
herausragende Führungspersönlichkeit des Widerstands.
Personen, die sich dafür geeignet
hätten, verweilten entweder in innerer Emigration oder
befanden sich bereits in der Bundesrepublik. In der DDR gab es
weder eine gewachsene organisierte Massenopposition wie die
polnische Gewerkschaftsbewegung noch eine Plattform der
Intellektuellen wie die tschechische Charta 77. Es waren vor allem
Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen unter dem Dach der
Evangelischen Kirche, die zu den Akteuren des Herbstes 1989 wurden.
Im Unterschied zu Ungarn hatte die KPC-Führung unter
Husák weder einen Kurs der nationalen Versöhnung
eingeschlagen, noch sich von der Politik der Rache gegenüber
den Exponenten des Prager Frühlings lösen können.
Ohne Integration führte dies zu ihrer internen wie
internationalen Isolation. Die Neubewertung des sowjetischen
Einmarsches 1968 markierte den Klimasturz. Der Versuch einer
Achsenbildung Berlin-Prag-Bukarest konnte nicht mehr gelingen. Im
Unterschied zu anderen Ländern war die Kommunistische Partei
der CSSR gleich am Anfang des Transformationsprozesses als
politischer Faktor ausgeschaltet und kam als Verhandlungspartner
mit der Opposition nicht mehr in Frage.
Ein Prinzip traf auf alle Umsturzbewegungen zu: Die "Refolution"
fraß in Polen, der CSSR und der DDR ihre Kinder. Solidarnos'c'
zerbrach in Einzelparteien, das Bürgerforum zerfiel noch vor
der Sezession der Slowaken von den Tschechen, und das Neue Forum
war im Frühjahr 1990 nur mehr eine Marginalie. Die Macht der
Aufbegehrenden 1989 bestand demnach in der Beseitigung alter, nicht
aber in der Herstellung neuer Machtverhältnisse: In der
Delegitimierung des alten Regimes bestand ihre Stärke, in der
ausgebliebenen Konstituierung neuer Ordnungen ihre
Schwäche.
Aus der "Augenblicks-" und "Freiheitsrevolution", einer
Ereignisverdichtung mit "Folgen einer unerhörten Begebenheit"
, wurde ein Transitorium mit
unkalkulierbaren Folgen. Verbindlich war nur das Ende der
russischen Hegemonie über Mittel- und Osteuropa. Insofern
wurde ein "Jahrhundert abgewählt".
Der Kalte Krieg ging zu Ende, der
Friede brach aber nicht aus: An Stelle des Kommunismus trat ein
neuer Nationalismus, der scheinbar vom sozialistischen
Sowjetuniversalismus befriedet worden war. Nach dem Ausbleiben rascher Freiheitserfolge
mündete vieles in die ebenfalls nicht schnell einlösbare
Gleichheitsforderung. Diese doppelte Enttäuschung führte
viele Menschen in den postkommunistischen Gesellschaften zu neuer
politischer Gleichgültigkeit und Agonie sowie zur
Wiederentdeckung der Nische des Privaten oder sozialistischer
Nostalgie. 1989 bedeutete eine scheinbare Wiederkehr der
Ereignisgeschichte. Tatsächlich fanden in den Folgen der
Geschehnisse unterschiedliche Strukturen ihren Ausdruck. Die rasche
Demokratisierung der postkommunistischen Gesellschaften reichte
nicht aus, um im real existierenden Sozialismus entstandene
Gewohnheiten und Mentalitäten zu überwinden, die
Legitimation neuer Institutionen zu gewährleisten und die
konstitutionelle Balance zu halten. Daraus resultierten
Stabilisierungs-, Konsolidierungs- und Identitätskrisen.
Vor einer Mythologisierung der "Revolutionen" von 1989 ist daher
zu warnen: Es waren weder gewaltsame Umwälzungen, noch gab es
substanziellen Widerstand der kommunistischen Regime. Dem
Systemwechsel folgte nicht zwingend ein Elitenwechsel. Es gab aber
auch keinen "weißen Terror": Eine Rückkehr des alten
Regimes fand nirgendwo statt. Es waren Umsturzbewegungen, die
Übergänge ermöglichten, die über Jahre andauern
sollten. In sehr kurzer Zeit waren die neuen Staatsformen
gezwungen, Jahrzehnte zurückreichende Entwicklungen der
westlichen Demokratien nachzuvollziehen. Die Umorganisation des
ökonomischen Systems von einer Kommandowirtschaft zum kruden
Kapitalismus legte ideologische und mentalitätsspezifische
Probleme auf beiden Seiten, in Ost wie West, offen.
Zwar wurde der Wandel 1989/90 durch
Repräsentation bewirkt, doch "Repräsentation" als
unbestrittenes Prinzip war noch nicht gesichert, wie der
demokratiepolitische Problemfall Slowakei und rechtspopulistische
Strömungen in Polen, Tschechien und Ungarn zeigten. Das
einmalige Experiment eines Transformationsprozesses der
europäischen Geschichte verlief weitgehend friedvoll, ist aber
noch nicht abgeschlossen.
"1989" war gleichzeitig die Wiederentdeckung Mitteleuropas,
"Rückkehr nach Europa" und "Beginn einer
gesamteuropäischen Neufindung".
Westeuropa reagierte neben dem
Integrationsprogramm der Vertiefung der EU (durch Binnenmarkt und
Wirtschafts- und Währungsunion) vor einer Erweiterung
desorientiert, distanziert und hilflos. Der zweifache Ratschlag zur
Einführung der Demokratie und zum Aufbau der Marktwirtschaft
sollte sich als vordergründig und problematisch erweisen. Der
Transformationsprozess war von einem schwerwiegenden
ökonomischen Niedergang begleitet. Dem annus mirabilis 1989
folgten anni miserabiles. Demokratie und Marktwirtschaft liefen Gefahr, zur
realitätsfernen Empfehlung zu gerinnen und damit das Ende der
Machbarkeitsideologien zu signalisieren. Daher ist im Jahr 1989
auch die Entzauberung der demokratischen Fortschrittsidee zu sehen.
Die Grenzen desParteien- und Sozialstaates sind deutlicher denn je.
Eine systematisch angelegte bilanzierende
Untersuchung der Gewinner und Verlierer der Umsturzbewegungen und
die Beantwortung damit zusammenhängender Fragen des Schutzes
und der Entschädigung der Verlierer stehen noch aus.
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