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Klaus Dreher
Wehe den Besiegten
Berichte aus Nachkriegsdeutschland
Die Fülle an Fernsehdokumentationen,
Filmen, Hörspielen und Büchern über das NS-Regime
und die Kriegs- und Nachkriegszeit zeigt, dass das Interesse an
diesem Abschnitt deutscher Geschichte ungebrochen ist. Dabei machen
Leser und Betrachter häufig die Erfahrung, dass sie glauben,
vieles zu wissen, dass es aber immer noch eine Menge Dinge gibt,
von denen sie nichts erfuhren.
So ist weithin unbekannt geblieben, dass das
amerikanische Kriegsministerium nach dem Zweiten Weltkrieg Dutzende
von "Kulturbeauftragten" in die amerikanische Besatzungszone
schickte, die nach der Methode des Meinungsforschers Gallup die
Stimmung des besiegten Volkes ergründen sollten. Der
Schriftsteller, Übersetzer und Journalist James Stern, der in
England geboren wurde, vor der Nazizeit in Deutschland lebte und
nach Amerika emigrierte, war einer dieser Beauftragten, die in
US-Uniformen gesteckt und nach Deutschland geschickt
wurden.
Hier genossen sie alle Privilegien der
Besatzungsmacht, wurden aber zugleich direkt mit dem
unbeschreiblichen Elend der Besiegten konfrontiert. Stern sah
dieser Reise in ein bekanntes und doch unbekanntes Land mit einer
Mischung aus "Grauen und Faszination" entgegen, in die sich
Neugierde und Ratlosigkeit mischten. Er und seine Gruppe wurden in
Bad Homburg ausgesetzt und begaben sich, begleitet von einem
amerikanischen Offizier, auf die Reise quer durch die amerikanische
Zone. Anhand von Fragebögen hatten sie willkürlich Leute
auf der Straße oder im Cafe anzusprechen und deren Antworten
zu notieren. Stern suchte zudem nach Leuten, mit denen er vor der
NS-Zeit Kontakt hatte.
Der Einfachheit halber druckt der Verlag in
einem Manuskript, das eine Mischung zwischen Erfahrungsbericht,
Reiseschilderung und Dokumentation darstellt, einige
Fragebögen ab. Das verleiht dem Buch etwas
Authentisches.
Der Autor schildert in dem Bericht, der zum
ersten Mal 1947 in Amerika gedruckt wurde, das Misstrauen, das
zwischen Besatzern und Besetzten herrschte. Die Deutschen hatten
sich die Befreiung angenehmer vorgestellt, als sie war, und die
Amerikaner betrachteten die Deutschen keineswegs allesamt als
Nazigegner, wie sie sich gern darstellten.
Aus damaliger Sicht, auch das schildert
Stern, waren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ein
Reinfall. Die Mehrheit der Deutschen sah in ihnen nicht einen
fairen demokratischen Prozess; in ihren Augen war es ein
Militärtribunal, das Naziverbrecher nach einem vorab gefassten
Urteil abstrafte.
Abrupte Bauchlandung
Diesen Eindruck bestätigt das andere
Buch über die "Stunde Null" mit Berichten der Journalisten
Richard Tüngel und Hans Rudolf Berndorff aus den
Nachkriegsjahren. Der 1893 geborene Tüngel war bis 1933
Oberbaudirektor beim Hamburger Senat und wurde dann von den
Nationalsozialisten entlassen. Als die Engländer in Hamburg
einzogen, glaubte er, als Betroffener das Recht in Anspruch nehmen
zu können, von den Besatzungsmächten gleichberechtigt am
Wiederaufbau der Demokratie beteiligt zu werden.
Seine erste Erfahrung mit einem
Engländer war, dass der ihm die Armbanduhr abnahm. Die zweite
war nicht viel besser, da wollte ihn ein britischer Offizier als
Hilfskraft bei der Filmzensur anstellen. Die dritte war vollends
deprimierend: Auf eine Denkschrift, wie frühere Nazis
behandelt und bestraft werden sollten, die er mit anderen
Verfolgten ausgearbeitet hatte, erhielt er drei Jahre später,
als die Entnazifizierung abgeschlossen war, eine amtliche
Bestätigung darüber, dass das Schreiben eingegangen
war.
Was sich anfangs für Tüngel als
Hindernis darstellte, erwies sich auf lange Sicht als Vorteil. Er
war frei, um mit einigen Freunden und Journalisten sowie mit Gerd
Bucerius die "Zeit" zu gründen. Die Engländer waren nicht
gerade hilfreich - sie wollten eine eigene Zeitung herausbringen -,
aber sie hinderten die Zeitungsmacher auch nicht, und so erschien
bereits Anfang 1946 die "Zeit", bei der Tüngel zuerst Chef des
Feuilletons und später Chefredakteur wurde.
An ausgewiesenen Autoren, die für das
Blatt schrieben, hatte er keinen Mangel: Ivo Hauptmann, Peter Bamm,
Jürgen Schüddekopf und Ernst Schnabel - von denen einige
später den damaligen NWDR, den Sender für die britische
Zone in Hamburg - aus der Taufe hoben - arbeiteten für
ihn.
Über die Gründung des Blattes
erzählt Tüngel folgende Anekdote: Als er zur ersten
Redaktionssitzung ging, standen die Menschen in Viererreihen
mehrere Häuserblocks weit vor dem Pressehaus Schlange. Bei
Nachfragen stellte sich heraus, dass sich vor allem
Geschäftsleute angestellt hatten, die Einwickelpapier
brauchten. Es gab kein Papier, und die Lizenznehmer der "Zeit"
bekamen von den Engländern eine Sonderration. Tüngel
verfügte, dass Abonnements der "Zeit" schriftlich beantragt
werden mussten.
Wie ein Supplement dazu lesen sich die
Beiträge des gleichaltrigen Hans Rudolf Berndorff. Die
Reportagen der beiden Journalisten, ein Nachdruck aus dem Jahr
1958, werden in jeweils kurzen Texten abwechselnd dargestellt.
Berndorff beschreibt die großen KZ-Prozesse, vor allem den
Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Wer bisher nur die
Protokolle dieser Prozesse gelesen hat, in denen die Schandtaten
der NS-Schergen innerhalb und außerhalb der
Konzentrationslager geschildert werden, der erfährt von
Berndorff viel über das, was hinter den Kulissen
geschah.
Die Alliierten waren über das weitere
Vorgehen gespalten, Winston Churchill war gegen diesen Prozess, und
Stalin wurde von der Sorge umgetrieben, auch die russischen
Kriegsverbrechen könnten zur Sprache gebracht werden. Dennoch
waren die Alliierten wieder in einem Punkt einig, und das war, den
deutschen Anwälten und Journalisten die Verteidigung und die
Berichterstattung so schwer wie möglich zu machen. Dass sie
sich dennoch durchsetzten, verdankten sie ihrem ungeheuren
Selbstbehauptungstrieb.
James Stern
Die unsichtbaren Trümmer, Reise im
besetzten Deutschland.
Eichborn-Verlag Frankfurt/M. 2004; 400 S.,
24,- Euro
Richard Tüngel und Hans Rudolf
Berndorff
Stunde Null.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2004; 437
S., 24,90 Euro
Klaus Dreher war viele Jahre Bonner
Büroleiter der "Süddeutschen Zeitung".
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