|
|
Hermann Glaser
Arthur Koestler
Ein bewegtes Leben
Die Gründe für meinen Entschluss, meinem Leben ein
Ende zu setzen, sind so einfach wie zwingend: die Parkinsonsche
Krankheit und eine langsam tötende Form von Leukämie." So
Arthur Koestler in einem Abschiedsbrief, den er schon ein Jahr vor
seinem Tod, zu dem er sich 1983 entschloss, verfasst hatte. Seine
Frau Cynthia folgte ihm; ihre Angst vor einem Leben und Sterben
ohne ihn war offensichtlich stärker als die vor dem
gemeinsamen Selbstmord.
Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist hatte
ein Leben geführt, dem man die "energiegeladene Spannung von
mindestens fünf gewöhnlichen Menschen" bescheinigte.
Seinem Biographen ist es gelungen, diese widersprüchliche
Existenz, auch auf der Grundlage unveröffentlichter Dokumente,
vergessener früherer Arbeiten und vieler Gespräche mit
Zeitzeugen, auf äußerst anschauliche Weise zu
vergegenwärtigen.
Zwei fundamental unterschiedliche Perioden hätten sein
Leben bestimmt, so Koestler selbst im Vorwort einer von ihm
herausgegebenen Auswahl eigener, seit 1938 verfassten Texte: Die
erste, konzentriert auf Politik, sei eine "Suche nach Utopia", die
zweite eine "Suche nach Synthese" mit Hilfe von Wissenschaft und
Philosophie gewesen.
Der Name des am 5. September 1905 in Budapest geborenen
Koestlers ging auf den von Geheimissen umwitterten Großvater
zurück, den dieser nach seiner Flucht aus Russland in Ungarn
angenommen hatte. Zum Großvater und Vater hatte der Junge ein
sehr gutes Verhältnis; das zur Mutter war ambivalent, ja
geradezu von Hassliebe bestimmt. Einer der ältesten
jüdischen Familien Prags entstammend, war sie offensichtlich
eine vom Leben in der "ungarischen Verbannung" sowie von
gesellschaftlicher Deklassierung und Isolation frustrierte Frau.
Ihre Mutterliebe sei "maßlos, fordernd und launisch" gewesen,
so Koestler in seiner Autobiographie "Der Pfeil ins Blaue". Sein
exzentrisches Wesen, gerade auch was seine Beziehungen zu Frauen
betraf (mit vielen Eskapaden und drei Ehen), war wohl stark von
seinen teilweise "kafkaesken" Kindheitserfahrungen
geprägt.
Der Titel seiner Lebensbeschreibung geht auf eine Vision
zurück, die er schon 1919 hatte und dann in einem Gedicht 1924
in Worte fasste. Die Rede ist von "Sphärenmusik und
Weltenkälte", von "kosmischer Ekstase" und "unfassbaren
Dissonanzen", "zähneknirschender Ohnmacht" und "keimendem
Sinn" ("Ich bin"). Das Gedicht habe er nach einem Erlebnis im
Wiener Volksgarten geschrieben: Beim Lesen eines zionistischen
Pamphlets über blutige antisemitische Ausschreitungen ergriff
ihn ein körperlich spürbarer Anfall von Zorn.
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte und davon träumte,
wie er die Verfolgten der Erde "als Kämpfer und Buchautor"
verteidigen könne, begann er nebenbei in einer Broschüre
über Einstein zu blättern. Ein Satz erregte seine
besondere Aufmerksamkeit: Die Relativitätstheorie führe
die menschliche Phantasie über Gletschergipfel hinweg, die
noch nie erkundet worden seien. Ein solches Gefühl des
Höhenflugs verband sich bei ihm zugleich mit dem von "Ruhe und
Frieden". Einerseits träumte Koestler weiterhin davon, die
Rätsel des Universums zu ergründen, andererseits
engagierte er sich für einen sehr irdischen Traum: die
Errichtung eines jüdischen Staates."
Der meditative Yogi war stets auch ein Mann der Tat, der die
Deckung des Schreibtischs verließ, um die Welt zu
verändern: "In den zwanziger Jahren prügelte er sich als
Wiener Student mit Antisemiten, lebte als Kibbutznik,
Limonadenverkäufer und Reporter in Palästina. Anfang der
dreißiger Jahre pilgerte er… durch Stalins Sowjetunion,
spürte arabische Terroristen in Beirut auf, fuhr Ambulanzwagen
durch das London des Blitz und berichtete aus dem israelischen
Unabhängigkeitskrieg. Koestler saß als kommunistischer
Spion in Francos Todeszelle, die französische
Vorkriegs-Regierung internierte und die Gestapo jagte ihn, von
Moskau wurde er als 'nervenkranker' Kalter Krieger beschimpft."
Das Leben Arthur Koestlers, das nun einen hervorragenden
Biographen gefunden hat, gleicht einer Odyssee durch das 20.
Jahrhundert. "Es ist die Geschichte eines Extremisten im
Jahrhundert der Extreme."
Christian Buckard
Arthur Koestler. Ein extremes Leben. 1905-1983.
Verlag C.H.Beck, München 2004. 424 S., 24.90 Euro
Hermann Glaser, langjähriger Kulturreferent der Stadt
Nürnberg, hat zahlreiche Arbeiten zur Kulturgeschichte der
europäischen Nachkriegszeit vorgelegt.
Zurück zur
Übersicht
|