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Christian Hacke
Viele Falken und wenige Tauben im Weißen
Haus
Wie die Bush-Administration den Krieg gegen den
Irak vorbereitete
Seit Bob Woodwards erstem Buch von 1973, als er
mit seinen Enthüllungen über die Watergate-Affäre
zum Sturz von Präsident Nixon beitrug, hat sich sein Leben und
sein Status verändert: War er damals als kritischer
Außenseiter dem republikanischen Establishment in Washington
verhasst, so ist er seit seinem Buch "Bush at War - Amerika im
Krieg" von 2003 bei der Regierung Bush ein gern gesehener Mann.
Warum? Der kritische Biss ist ihm abhanden gekommen. Der Status als
Teil des Establishments machte es ihm deshalb möglich, mit
mehr als 75 Personen, darunter Mitgliedern des Kriegskabinetts, des
Stabes des Weißen Hauses sowie Beamten aus unterschiedlichen
Ministerien und des CIA und mit Präsident Bush persönlich
Hintergrundgespräche zu führen.
Dieser Wandel verweist für die einen auf
den zunehmenden unkritischen Charakter seiner Bücher, für
andere auf sein Geschick, den Protagonisten Äußerungen zu
entlocken, die Zustimmendes und Kritisches gleichermaßen
freisetzen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Leistung.
Somit ist "Der Angriff" die erste detaillierte, auf
Hintergrundmaterial gestützte Darstellung über den
Entscheidungsprozess der Regierung Bush, der zum Irak-Krieg
führte.
Woodward beginnt mit der Schilderung des
Treffens zwischen Präsident Bush und Verteidigungsminister
Rumsfeld am 21. November 2001, also 72 Tage nach dem dramatischen
Terrorangriff: "Ich möchte, dass Sie", begann der
Präsident und fing dann, was er häufig tut, den Satz
wieder von vorn an. "Was für einen Kriegsplan haben Sie
für den Irak? Was halten Sie von ihm?" Bush,
außenpolitisch unerfahren, wurde nach dem 11. September 2001
in die kalte, aufgewühlte See der Internationalen Politik
geworfen und musste schnell lernen, nicht nur zu überleben,
sondern selbst zu führen. Woodward schildert diese Entwicklung
des Präsidenten nicht ohne Respekt.
Ein ungleiches Paar
Bush und Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld werden in dem Buch als ein ungleiches Paar geschildert:
auf der einen Seite der 69-jährige Rumsfeld, seit 40 Jahren
ein außenpolitischer Profi, der vorsichtig agiert, alle
Optionen abwägt, selbstbewusst das Ministerium führt und
gleichzeitig geradezu akribisch zu erkunden sucht, was den
Präsidenten antreibt und wohin dessen Irakbesessenheit
führen soll. Rumsfeld folgt vorsichtig im Unterschied zu den
neokonservativen Schrittmachern in der Regierung. Dabei entwickelt
sich allmählich eine tragfähige Achse zwischen Rumsfeld
und Cheney.
Woodward zeigt, dass Bush sich zunächst
alle Optionen offenhielt: "Bush teilte nicht Cheneys zynische
Ansicht, dass Waffeninspektionen nutzlos seien. Ebenso wenig stand
er Powells Position nahe, der für den Weg der Vereinten
Nationen plädierte. Bush sagte, er wolle Resultate - den Sturz
Saddams und die Zerstörung der
Massenvernichtungswaffen."
Wie immer man nach der Lektüre Bushs
Irakpolitik und die Entscheidung zum Krieg bewerten mag, die
protokollarisch detaillierte Darlegung von Woodward zeigt einen
Präsidenten, der zu führen vermag und sein Team fest im
Griff hatte. Auf diesem Hintergrund geht Woodward der zentralen
Frage nach: Wer hat zu welchem Zeitpunkt mit Blick auf Irak mit
welchen Argumenten für oder gegen den Krieg gestimmt? Er
schildert detailliert und mit Gefühl für Dramatik, wie
die einzelnen Protagonisten in der Regierung Bush Position
beziehen:
Colin Powell war von Anfang an kritisch
eingestellt, musste aber zunehmend ohnmächtig die sogartige
Entwicklung zur Entscheidung für den Krieg verfolgen und
entsprechend Dienst leisten. Powell blieb jedoch selbst
außerhalb des vertraulichen Zirkels um Bush. Intern
äußerte er Kritik, auch gegenüber dem
Präsidenten, doch im entscheidenden Moment blieb er loyal.
Für Woodward entwickelte Powell sich zum tragischen Helden der
Irakpolitik.
Das Portrait von Powells Gegenspieler,
Vizepräsident Cheney, zeichnet Woodward mit kräftigen
Zügen: "Cheney erschien Powell wie vom Fieber erfasst. Er war
nicht der ruhige emotionslose Fels des Ersten Golfkriegs, (sondern)
völlig fixiert auf ein militärisches Vorgehen gegen
Saddam, fast so, als gäbe es keinerlei Alternative." Kommt es
zum Gespräch zwischen den beiden, liegt Explosion in der Luft,
Powell gibt in den entscheidenden Fragen Cheney gegenüber
nach.
Für die einen mag Cheney als der
Kriegstreiber par excellence erscheinen, der mit der Forderung nach
Demokratisierung des Irak als Vorbild für den Nahen Osten
Kopfschütteln hervorruft, für andere gilt er als
konsequentester und entscheidungsfreudigster Protagonist im
Kriegskabinett Bush.
Die dritte Schlüsselpersönlichkeit,
Verteidigungsminister Rumsfeld, wird als erfahrener, humorvoller,
eleganter und ausgekochter Machtpolitiker geschildert, der
vorsichtig das letzte Wort, die letzte Entscheidung vermeidet, aber
im Grunde die Entwicklung zum Kriege eher befördert als
verhindert. Rumsfelds Stellvertreter Paul Wolfowitz erscheint neben
Vizepräsident Cheney als zweiter Kriegstreiber, der sich aber,
genauso wie Cheney, erst nach der diplomatischen Schlappe in der
UNO durchsetzen kann. Zunächst hatte Präsident Bush gegen
den Rat des Vizepräsidenten und stellvertretenden
Verteidigungsministers die Kooperation mit den Vereinten Nationen
gesucht. Erst danach setzt Bush voll auf die Falken im Kabinett und
Powell wurde konsequenterweise isoliert.
Woodward zeichnet auch, wie die kompetente,
kühle und souveräne Condoleezza Rice in der Regierung
Bush ihre Schlüsselposition wahrzunehmen weiß. Doch wird
nicht immer klar, ob sie in entscheidenden Phasen mit eigener Kraft
Positionen und Einstellungen beförderte oder vielmehr
großes Geschick entwickelte, im rechten Moment zu erahnen, auf
welche Entscheidung Präsident Bush hinaus wollte: "Für
Condoleezza Rice stellte es ein großes Dilemma dar, dass man
auf zwei Schienen agierte und sie beide Ansätze
gleichermaßen überzeugend vertreten musste. Diplomatie,
die mit Zwang und Gewaltandrohung arbeitete, bedeutete, dass man
mit Dissonanzen und Widersprüchen leben musste."
"Was denken Sie?"
Doch auch sie bekräftigte
schließlich den Präsidenten in seiner Entschlossenheit:
"Was denken Sie?", fragte der Präsident seine
Sicherheitsberaterin. "Sollen wir das machen?" Er meinte: Krieg.
Nie zuvor hatte er sie dazu um ihre Meinung gebeten. "Ja",
antwortete sie, "weil nicht nur die Glaubwürdigkeit Amerikas
auf dem Spiel steht, sondern die Glaubwürdigkeit der ganzen
Welt. Wenn wir zulassen, dass diese Bedrohung aus diesem Teil der
Welt weiterhin die internationale Gemeinschaft so in Unruhe
versetzt, wird uns das eines Tages einholen. Deshalb sollten wir es
machen." Bush erwiderte nichts darauf.
In Bushs Umgebung spielte noch eine zweite
Frau in diesem Entscheidungsprozess eine nicht zu
unterschätzende Rolle: Die Kommunikationsdirektorin Karen
Hughes, die Bush explizit um ihre Meinung befragte, was er
gegenüber Powell nicht tat: "Ich habe Karen gefragt",
erinnerte sich der Präsident. "Sie sagte, wenn Sie in den
Krieg ziehen wollen, schöpfen Sie zuerst alle
Möglichkeiten aus, auf friedliche Weise einen Regimewechsel zu
erreichen. Und sie hatte Recht. Sie hat meine Gefühle genau
erfasst."
Präsident Bush erscheint in dem Buch als
zwiespältige Führungsgestalt: entscheidungsfreudig, in
Kontrolle seines Kabinetts und erfolgreich in seinem Bemühen,
ein möglichst geschlossenes Bild seiner Außenpolitik,
insbesondere seiner Irak-Kriegspolitik, zu vermitteln, aber auch
nicht immer voll informiert und mit Unsicherheiten. Es gab
unterschiedliche Auffassungen in der Regierung, aber im Vergleich
beispielsweise zur Außenpolitik von Präsident Reagan, wo
Kabinettsmitglieder und Sicherheitsberater unabgestimmte und
widersprüchliche Positionen bezogen, wirkt die
Bush-Außenpolitik relativ geschlossen.
Doch zeichnet Woodward in diesem Buch nicht
nur glänzende Portraits, sondern schildert auch subtil die
Beziehungen der Schlüsselpersonen untereinander: Wie sah es im
Bush-Team aus? Woodward hält nicht hinter dem Berg: Powell und
Cheney sprachen kaum miteinander; Rice bemühte sich mit
Geschick, die Horde martialischer Befürworter des Krieges zu
bändigen und den Präsidenten kompetent zu beraten.
Wolfowitz erscheint als Einzelkämpfer, wobei seine politischen
Beziehungen zu seinem Chef Rumsfeld im Dunkeln bleiben.
Erstaunlicherweise erfährt der Leser
wenig über die Stimmung in den USA außerhalb der
Hauptstadt. Es fehlen vor allem die kritischen Stimmen. Scheute
sich Woodward, den Bedenken von Präsident Bush senior
nachzugehen? Hatte er um ein Gespräch mit dem Vater des
Präsidenten nachgesucht? Auch was Woodward nicht beschreibt,
hat eminente Bedeutung. Die Bedenken von Sicherheitsberater Brent
Scowcroft werden marginalisiert. Woodward negiert die tiefe
Zerrissenheit innerhalb der Republikanischen Partei und teilweise
innerhalb der Regierung, indem er Außenminister Powell als
isolierte kritische Einzelstimme dargestellt und logischerweise die
anderen kritischen Stimmen und Komponenten in Politik und
Gesellschaft der USA ausblendet.
Auch erfährt der Leser wenig über
Verbündete und Freunde der Regierung Bush. Der britische
Premierminister Tony Blair bleibt in der Darstellung blass - weil
er von Woodward nicht interviewt wurde? Der spanische
Premierminister Aznar spielt in dem Buch noch weniger als eine
Statistenrolle. Auch über die Gegner und Kritiker erfährt
der Leser fast nichts.
Das "alte Europa" kommt so gut wie gar nicht
vor, Kritik gegenüber Frankreich wird meist emotionalisiert,
die Sachargumentation kommt zu kurz. Der deutsche Bundeskanzler
wird nur am Rande mit der Bemerkung erwähnt: "Man liest nur
über Deutschland und diesen Typen, der mich zum Buhmann
gemacht und so eine Wahl gewonnen hat." Gemeint war Bundeskanzler
Gerhard Schröders Antikriegsrhetorik während seiner
Bundestagswahlkampagne.
Hingegen wird der Begriff der besonderen
Beziehungen mit Blick auf ein Land angewandt, das einem
zunächst nicht in den Sinn kommt - Saudi Arabien. Riads
Botschafter in Washington, Prinz Bandar, personifiziert den bisher
übersehenen koalitionspolitischen Clou der Regierung Bush,
nämlich die Einbeziehung Saudi Arabiens in den
Entscheidungsprozess. Bandar hat nicht nur permanenten Zugang zum
Oval Office, sondern tritt ganz im Unterschied zu den meisten
Kabinettsmitgliedern dem Präsidenten mit Witz und Courage
gegenüber:
"Mr. Präsident", sagte Bandar, "ich habe
mir geschworen, mich nicht zu rasieren, bis der Krieg beginnt."
"Nun, dann werden Sie sich sehr bald wieder rasieren können."
"Das hoffe ich", antwortete Bandar. "Allerdings fürchte ich,
dass ich aussehen werde wie bin Laden, bis der Krieg beginnt",
fügte er hinzu und deutete mit seinen Händen einen Bart
von einem halben Meter Länge an. Bush funkelte ihn an. Er
mochte es gar nicht, aufgezogen zu werden, und fand die Anspielung
alles andere als witzig. Bandar wusste, dass Bush jeden Hinweis auf
Unentschlossenheit hasste."
So war es kein Zufall, dass noch vor
Außenminister Powell oder Premierminister Blair der
saudiarabische Botschafter die genaue Uhrzeit des Beginns der
Kriegshandlungen erfuhr. Woodwards Erklärung ist einsichtig:
Die Saudis werden von Bush besonders gut behandelt und informiert,
denn im Herbst 2004 sollen sie durch ihre Ölpreispolitik Bushs
Wahlchancen vergrößern. Die fatale Rolle des Exilirakers
Tschalabi wird erwähnt, aber zu knapp: "Das
Außenministerium und die CIA betrachteten Tschalabi mit
Skepsis - er sei zu undurchsichtig, trage zur Spaltung des
Widerstands bei und kenne die Schrecken des Alltagslebens unter
Saddam nicht. Außerdem war er in Jordanien in Abwesenheit
wegen Unterschlagung verurteilt worden."
Wenn dann Woodward schildert, dass dessen
Mitteilungen genutzt wurden, dann vermittelt er zu unkritisch, dass
Tschalabi es verstand, den militanten Protagonisten und
Befürworter des Krieges subtil das zu vermitteln, was diese
hören wollten. Auch hier fehlt ein kritischer Filter in der
Darstellung, wenngleich Woodward darauf verweist, dass Powell, aber
auch der Präsident selbst, Tschalabis Informationen und dessen
Rolle für den Nachkriegsirak mit Skepsis betrachteten.
Hingegen sogen Cheney, Wolfowitz und vielleicht auch Rumsfeld
Tschalabis Nachrichten begierig auf, die sie in ihrer Kriegsabsicht
bestätigten.
So gesehen schildert Woodward die Dinge in
Washington mit einem doppelten Tunnelblick: Der eigene, analytische
verengt die Problematik auf die Regierungszirkel, blendet die
Stimmung im Land weitgehend aus und vernachlässigt völlig
die weltpolitischen Zusammenhänge. Der zweite Tunnelblick
bezieht sich auf die Mehrheit in der Regierung Bush, denn die
Neokonservativen setzen dank ihrer Scheuklappen bedenken-, ja
rücksichtslos auf Krieg: Wolfowitz als geistiger Wegbereiter
für Regimechange, Cheney als Protagonist für
Demokratisierung des Irak als Vorbild für einen
zukünftigen Nahen Osten und Tschalabi als unkritischer
Einflüsterer und Materialbeschaffer, um diese beiden in ihrem
Ansinnen zu unterstützen, - hier liegt ein Kern der
Dramatik.
Aber welche Rolle spielte Präsident
Bush? Hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ob die
Neokonservativen einmal als finstere Gesellen oder als kühne
Visionäre für einen prosperierenden Irak und Nahen Osten
gelten werden, das wird erst die Zukunft zeigen. Aber Woodward
schärft bei vielen Fragen den Blick und den Sinn für
Ambivalenzen und für ein breites Spektrum der möglichen
Wertungen und Interpretationen dieses beispiellosen
Kriegsabenteuers, als die USA zu ersten Mal in der Geschichte ohne
unmittelbare Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit, ohne
überzeugende politische Legitimation und ohne
Unterstützung der Mehrheit der Verbündeten einen
Angriffskrieg vom Zaun brachen und einen Sturm der Entrüstung
in der Welt erzeugten.
Nach der Lektüre des Buches stellt sich
beim Leser ein Geschmack von fataler Normalität ein. Ist das
beabsichtigt? Soll dem Leser Seite für Seite das Entsetzen
genommen werden?
So bleibt als Fazit festzuhalten: Woodward
schildert mit großer Akribie und Detailversessenheit den
Entscheidungsprozess in Washington. Die kritischen Stimmen in den
USA werden zu sehr ausgeblendet, die weltweite Reaktion, die
Argumentation der Verbündeten und der Gegner kommen zu kurz.
Dies ist nicht das definitive Buch über die Entscheidung zum
Irakkrieg, aber ein unverzichtbarer Baustein für die
zeitgeschichtliche Erforschung dieses dramatischen Abschnitts
amerikanischer Außenpolitik, der noch längst nicht an
seinem definitiven Ende angelangt ist.
Bob Woodward
Der Angriff. Plan of Attack.
Deutsche Verlags-Anstalt, München
2004;
510 S., 24,90 Euro
Professor Christian Hacke lehrt
Politikwissenschaft an der Universität Bonn.
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