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Khalid Al-Maaly
Die kulturelle Armut im Zweistromland ist noch
längst nicht überwunden
Zur Situation von Literatur und Literaten im
Irak gestern und heute
Als das Regime von Saddam Hussein am 9. April 2004 fiel, hatte
sich der Irak von einem Vorreiter in Sachen arabischer Kultur zu
einem Land gewandelt, in dem kein Verlagshaus mehr existierte. Das
Regime übertrug in einem allmählichen Prozess
sämtliches Publizieren seinen Behörden und ließ
Kulturmagazine, Bücher und alles andere in dieser Kampfarena
antreten. Schriftsteller, die in den Magazinen schrieben oder ihre
Schriften über sie veröffentlichten, waren an das Regime
gebunden.
Die schriftstellerische Tätigkeit bestand darin, anderen
Kollegen gegenüber vom Regime vorgezogen zu werden. Der
Schriftsteller wandelte sich somit von einem Menschen, der
versucht, seine Gesellschaft widerzuspiegeln, zu einem Lobredner
seines Präsidenten, indem er dessen Feinde schmäht.
Drucken und publizieren außerhalb des von der Regierung
gesetzten Rahmens wurde zu einer schwierigen und komplizierten
Angelegenheit. Sogar die Ausstellung einer einfachen Visitenkarte
bedurfte einer Zustimmung des Sicherheitsapparates! Deshalb nahm
die Zahl der einheimischen Verlagshäuser ab, bis sie
schließlich ganz verschwanden.
Der Verband der Schriftsteller und der Journalisten wurde zu
einem Monopol der Trommelschläger der Kultur des Regimes. Der
Sohn des früheren irakischen Präsidenten, Udai, wurde
Vorsitzender der beiden Verbände. Er wurde in einer offenen
Komödie als Journalist des Jahres gewählt, so wie sein
Vater, der Präsident, zum Autor des Jahres gekürt wurde,
nachdem er selbst Schriftsteller geworden war und schauderhafte
Romane verfasst hatte, von denen die Berufsschreiber in den
Zeitungen ihr Auskommen hatten, indem sie leeres Lob darüber
schrieben!
Eines dieser üblen Werke wurde sogar ins Deutsche
übersetzt und publiziert. Diese Arbeit wurde von der
Übersetzerin der Romane von Nagib Mahfus, Doris Kilias, in
einem bedauerswerten Schritt unternommen. Das Werk wurde im
Deutschen publiziert, nachdem alles, was gegenüber den Juden
feindselig war, zurechtgestutzt worden war. Auf diese Tatsache
wurde jedoch nicht hingewiesen.
Minderwertig und bedeutungslos
Die Höhe der Buchauflagen ging von 5.000 Exemplaren auf
1.000 oder 500 zurück. Meist wurde wegen der Minderwertigkeit
und der Bedeutungslosigkeit der Inhalte nichts verkauft! Auch
senkte sich den Lebensstandard in einem Maß, dass die
Schriftsteller zu einem Verkauf ihrer persönlichen Werke
gezwungen waren oder auf den berufsmäßigen Verkauf
antiquarischer Bücher zurückgriffen, weil es keine Arbeit
in den Zeitungen oder Angebote in den Universitäten gab!
So verbreiteten sich auch die Raubdrucke der Bücher durch
das Kopieren, da die aus dem Ausland kommenden Bücher teuer
und teilweise verboten waren. Nach und nach vollzog sich die
Abdrängung aller Intellektuellen, die aus irgendeinem Grund
keinen Eingang in das Spiel des Lobes und der
Trommelschlägerei für Saddam Hussein finden und nicht
emigrieren konnten.
Um die Einzelheiten dieses tödlichen Spiels kennen zu
lernen, genügt ein Blick zurück. Im Jahr 1968 hatte die
Baath-Partei die Macht übernommen. Saddam Hussein stellte den
zweiten Mann oder die graue Eminenz. Er gründete einen
Geheimdienst der Partei, dessen Aufgabe es war, die Partei selbst,
die Institutionen des Staates, die befreundeten und die
gegnerischen Parteien zu beobachten. Er hieß: Hunain. Ihm
schloss sich eine Anzahl irakischer und arabischer Intellektueller
an. Sie gehörten natürlich zu den Anhängern oder
Mitgliedern der Baath-Partei. Öffentlich schlug er eine extrem
nationalistische Politik ein, die in ihrem Stolz auf den arabischen
Panarabismus mit sozialistischem, imaginärem Gepräge nach
der Befreiung Palästinas strebte und die Sympathie des
sozialistischen Lagers gewann. Die irakische kommunistische Partei
wurde unter diesem Aspekt aufgenommen und ihr wurde erlaubt, eine
Zeitung zur Glorifizierung dieser Front herauszugeben und eine
zaghafte, sehr naive Kritik anzubringen. Sie erhielt zwei
Ministerämter, eines ohne ministeriellen
Geschäftsbereich.
Der Geheimdienst ermordete jeden, der ein Hindernis bildete oder
bei dem der Verdacht bestand, er könne ein Hindernis auf dem
Weg Saddams nach oben werden, im Irak und außerhalb des Iraks,
auch in anderen irakischen Parteien, darunter auch die Parteien der
Nationale Front. Auf öffentlicher Ebene schien er einen
geeigneten Rahmen für die gegenseitige Befruchtung der linken
Gedanken und des fortschrittlichen Panarabismus abzugeben, denn die
Universitäten öffneten sich für die arabischen
Studenten mit Stipendien, um sie im Lauf der Zeit durch Zuckerbrot
und Peitsche zu gewinnen, damit sie Baathisten würden.
Als Saddam Hussein die Nationale Front auflöste, da keine
Notwenigkeit mehr für sie bestand, und er 1978 Tausende von
irakischen Schriftstellern verjagte, fanden diese niemanden, der
sie unterstützte. Nur einige palästinensische
Organisationen nahmen sie für einige Zeit im Libanon und in
Syrien auf. Wer Beziehungen zur irakischen KP hatte, konnte sich in
einigen sozialistischen Ländern aufhalten. Alle anderen
Türen blieben verschlossen, weil die Schlüsselpositionen
bei Zeitungen in der arabischen Welt und in Europa von gekauften
Journalisten besetzt waren. Dieses kulturelle arabische
"Bündnis", das auf Kosten der irakischen Intellektuellen ging,
verlor erst nach dem Überfall des Iraks auf Kuwait im Jahr
1990 an Bedeutung.
Die folgende Beschreibung kann ein annäherndes Bild der
Situation der irakischen Intellektuellen im Irak - sei es im Irak
oder im Ausland - vermitteln. Der Besucher von Damaskus heute
findet Hunderte von Irakern auf dem Friedhof Sayyida Zeinab (dem
Fremdenfriedhof) bestattet. Dort finden wir das Grab des
Wissenschaftlers Hadi al-Allawi und in der Nähe davon das Grab
des berühmten klassischen Dichters Muhammad Mahdi al-Jawahiri.
Auch fällt am Eingang die unvollendet gebliebene Gebetsnische
des Dichters Mustafa Jamal-ad-Din auf, wohingegen der Dichter Abd
al-Wahhab al-Bayyati bestimmte, dass sein Grab von ihnen weit
entfernt sein sollte, jedoch nur weil er sein Grab nahe dem des
Mystikers Ibn Arabi, haben wollte, am Fuß des Berges Qasyun.
Dagegen fanden die beiden Dichter Buland al-Haidari und Sharif
al-Ruba'i, ihre Ruhe auf den Friedhöfen Londons.
Der Romancier Ghaib Tu'ma Ferman ist als einziger irakischer
Künstler auf einem Friedhof in Moskau begraben. Sein Freund,
der Maler Ahmed Amir, liegt als einziger irakischer Maler auf einem
Friedhof in Berlin! Im Irak aber wurden viele der Standhaften und
Schweigenden über kurz oder lang ermordet, wie der Dichter
Mahmud al-Brikan, der im Jahr 2002 in seinem Haus einem
undurchsichtigen Verbrechen zum Opfer fiel, der Novellist Mahmud
Jindari, oder die hervorragende Universitätsprofessorin Hayat
Sharara, die bei einem rätselhaften Autounfall starb. Sie
hinterließ einen Roman, der außerhalb des Iraks
publiziert wurde, in dem die Entwicklung des
Universitätslebens im Irak beschrieben wird und der eine
lebendige Aufzeichnung der Daten seines völligen Verfalls
darstellt.
Ebenso traf es den Loyalsten der Männer Saddam Husseins in
der angeblich kulturellen Mitte. So starb der Vorsitzende des
Verbands der irakischen Schriftsteller und des Verbands der
arabischen Schriftsteller, der frühere Minister, Dichter und
langjährige, größte Lobredner für Saddam
Hussein, Shafiq al-Kamali, unter mysteriösen Umständen.
Das Schicksal des früheren kommunistischen Schriftstellers
Aziz as-Sayyid Jasim, eines Beobachters des Aufstiegs Saddam
Husseins (man sagt, er sei einer der Verfasser einiger seiner Reden
und seiner Schriften) betrifft, ist nun schon seit Jahren ungewiss
...
Nach dem Ende des zweiten Golfkrieges, als der Sicherheitsgriff
und die wirtschaftliche Stärke des Regimes schwächer
wurden, konnten zahlreiche Schriftsteller den Irak verlassen. Sie
verstreuten sich in alle Welt; der Standhafte mischte sich mit dem
Mitläufer im angeblichen kulturellen arabischen Leben im
Ausland. "Das ist es, dass diejenigen, die unter diesem Regime
geboren wurden, nichts außer seinem Erfahrungsspektrum
besitzen. Sogar ihre Erinnerung lässt ihnen keine Wahl. Sie
fanden die Welt so vor; die Korruption, das
Süßholz-Raspeln, die Entwürdigung, die
Aufgeblasenheit und die Heuchelei sind für sie nichts als
übliche Bräuche", wie es Abbas Beydoun treffend
beschreibt. Daher führte ihr Weg sie in die kulturellen
irakischen und nicht-irakischen Kreise im Ausland.
Eine leichte Erschütterung genügt, um die Sprache
Saddams aufzudecken, die im Land Wurzeln schlug. Als die Studie
"Die Kultur der Gewalt im Irak" von Salam Abbud im Jahr 2000
Aufsehen erregte - mit einer Objektivität und Methodik, die
die irakische Kultur bislang nicht kannte und in der er die Kultur
in zwei Gruppen, die Kultur der Herrschaft und die Kultur der
Opposition einteilte -, fletschten einige von ihnen die Zähne
und wandten dabei genau die Sprache der früheren irakischen
Regierungsmedien an. Eine dieser Stimmen beschreibt das Buch von
Abbud:
"Die irakische Kultur mit ihren neuen, wirkungsvollen Symbolen
wird sich diesem scharfen Angriff, der keinen Bestand haben und
dessen Saat nicht aufgehen wird, mit seinen demagogischen, faulen,
hasserfüllten Sammlungen, die nicht zum Irak gehören,
entgegenstellen ... Sie sind wie Holzwürmer oder wie ein
Krebsgeschwür, verschimmelter Abfall, von Hass und Groll
erfüllt, streunende Hunde, Müllcontainer ...
störende Fledermäuse."
Hier fragt sich der neutrale Beobachter, warum genau dasselbe
Kauderwelsch verwendet wird, das die Regierungsmedien einst
angewendet haben, obwohl diese Schriftsteller seit Jahren
außerhalb der Kontrolle des Regimes leben! Es macht die
Ausbreitung der Parteigenossen deutlich, die sich heute im Leben
der irakischen Kultur breit machen, ob im In- oder Ausland.
Perspektiven nach Saddam Hussein
Was ist die Perspektive der irakischen Kultur in der Welt nach
Saddam Hussein? Alles erscheint, ebenso wie das Schicksal des Irak
überhaupt, verdüstert - trotz der Existenz bedeutender
kultureller oder politischer Persönlichkeiten im In- und
Ausland. Das kulturelle Interesse geht bei irakischen Institutionen
nicht sehr weit und ist kein Anlass zur Hoffnung. Ernsthafte Leser
finden in den neuen Publikationen, seien es Bücher oder
Magazine, nur kulturelle Armut. Der auf einer Totenbahre liegende
Körper der irakischen Kultur wurde nicht wieder lebendig,
nachdem die Welle des Mordens und der Vernichtung nachgelassen hat.
Viele Intellektuelle befürchten den Wiederaufstieg der alten
Macht, die heute im In- und Ausland wächst, vor allem jener
Schergen, die die kommunistischen Partei adoptiert hat und die so
ihre Rehabilitation in der ungewissen irakischen Zukunft
durchsetzen will.
Diese Menschen gehören meist zu denen, auf die folgende
Charakterisierung zutrifft: Er war verantwortlich in der
politischen Lenkung, war Vorsitzender eines Klubs nationalistischer
Kultur oder ein fleißiger Organisator von poetischen
Feierlichkeiten zum Geburtstagsfest von Saddam Hussein. Seine
Bücher wurden auf Kosten des Herrn Udai Saddam Hussein
gedruckt. Er war ein Kulturpolizist mit Privilegien.
Heute sind in der irakischen Presse Ausdrücke verbreitet
wie "Intellektuelle aus dem Ausland" oder "einheimische
Intellektuelle". Die Frage stellt sich: Wie soll sich die
Zusammenarbeit mit den irakischen "Schriftstellern", die ein Teil
des totalitären Systems waren, gestalten? Die Antwort ist
meiner Meinung nach: Da der Irak, wie wir hoffen, ein Land für
alle Iraker werden muss, und da wir danach streben, dass er ein
Rechtsstaat, eine Zivilgesellschaft wird, wird es die Aufgabe der
Iraker sein, das zu entscheiden.
Das einzige Kriterium
Das grundlegende Kriterium ist die künstlerische
Qualität. Die Leser und die Kritiker sind es, die in dieser
Frage als urteilende Instanz aufgerufen sind. Wir haben die
Erfahrung der Schriftsteller in der ehemaligen DDR; die
künstlerische Qualität ist der alleinige Maßstab
geblieben.
Nach meinem Eindruck sind die kulturellen Produktionen der
Iraker im Exil sehr begrenzt. Die meisten von ihnen blieben im
Ausland Gefangene ihrer parteilichen Ansichten. Sie sind in der
Mehrzahl von Parteien der Linken gekommen oder von religiösen
Parteien abgesprungen. Hinzu kommen die Abtrünnigen der
Baath-Partei nach dem Kuwait-Krieg. Sie haben keine freie Presse
und keine tatsächlichen demokratischen Gruppierungen
kennengelernt, obwohl häufig ein demokratischer Begriff in den
Namen ihrer Parteien oder Organisationen vorkommt.
Ist das gezeichnete Bild zu pessimistisch? Einige mögen in
ihm ein hartes Urteil gegenüber dieser Kultur sehen. Aber
manchmal, wenn ich mir die kulturelle Szene im Irak genau ansehe,
scheint es mir, als ob es eine zerbrochene und zerschmetterte
Szene, ein Waisenkind sei. Sie gibt die tatsächlichen
Verhältnisse im Irak wieder. Hierzu zählt dann auch der
unfähige irakische Intellektuelle im Ausland, so als wäre
er trotz der mageren Jahre des Exils mit einem geheimen Seil an
sein Herkunftsland gebunden Die Bedeutung des Gesprächs
über die Kultur des Inlands und des Auslands wird dann
sinnlos.
Aus dem Arabischen von Claudia Knieps.
Der Autor lebt in Köln als Journalist und Verleger
arabischer Literatur.
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