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Khalid Al-Maaly
Kein funktionierender Buchmarkt
Von der Schwierigkeit, in Arabien Autor,
Verleger und Leser zu sein
Dem heute lebenden Individuum mag es scheinen,
dass Denken nicht gutgeheißen wird und Nachdenken im
arabischen Kulturleben nichts gilt. Wenn es denn geschähe,
dass ein Teil von ihm denkt, so würde es schnell all seine
Vorsicht wecken, um diesen Teil weit von sich zu stoßen! Diese
Nation nennt sich selbst die Nation des Buches, repräsentiert
aber zur selben Zeit alle Charakteristika des Gegenteils und
gehört tatsächlich zu den Erzfeinden des Buches!
Jedes Reden vom verflossenen Ruhm, dem freien
Denken und der Erneuerung dessen, was einst war, ist bloß
Einbildung und Tagträumerei, mit denen der arme Araber seine
Zeit verbringt, um etwas von der schmählichen Realität zu
vergessen. Der Mensch braucht sich nicht zu bemühen, denn die
Beweise für diesen Niedergang und die Verschlechterung sind
zahlreich! Wie treffend scheint die Aussage von Charles Baudelaire
zu sein, als er in seinen Tagebuchaufzeichnungen schrieb:
"Große Männer entstehen nur wider den Willen der
Nationen, - wie der Familie. Beide tun ihr möglichstes, dass
sie nicht entstehen. Infolgedessen bedarf der große Mann zu
seiner Existenz einer Angriffskraft, die der von Millionen
Einzelner entwickelte Widerstandskraft überlegen
ist."
Wir wollen nicht nur die Augen öffnen.
Wir wollen nur lebendig sein und einander wahrnehmen können.
Der Schriftsteller hat heute keine Bedeutung im öffentlichen
Leben, ganz zu schweigen von seiner Rolle im angeblichen
kulturellen, arabischen Leben. Er hat fast keine Farbe, keinen
Geschmack und keinen Geruch! Wenn es geschähe und er
darüber nachdächte und schriebe, so würde sein Buch
im Verkauf 5.000 Exemplare nicht überschreiten, und das in der
arabischen Welt, die 300 Millionen Einwohner zählt.
Verlorenes Vertrauen
Der arabische Leser bleibt ein Mensch, der
Veränderungen seiner Umwelt ausgesetzt ist. Oft hat er sein
Vertrauen in die Autoren verloren, während der Autor sein
Vertrauen in den Verleger verloren hat. Wenn somit der Autor nicht
die Erwartungen des Lesers zum Ausdruck bringt, dann ruht das
Denken in der Ecke des Hauses und bleibt eine Fata Morgana,
berühmt zu werden und den Lebensunterhalt zu verdienen (in all
seinen Arten). Die Tradition des Denkens und des wirklichen
Schreibens ist aus dem kulturellen, arabischen Leben
verschwunden.
Lesen die Araber? Und was lesen sie? Ein
guter Verleger kann den Verkauf von 1.000 bis 3.000, eher selten
5.000 Exemplaren eines Buches vom Besten in der Welt der Literatur,
der Philosophie, der Soziologie nicht garantieren. Und dies
während einer Zeitspanne, die sich im günstigsten Fall
auf zwei bis drei Jahre beläuft! Das ist ganz unabhängig
vom Niveau, vom Bekanntheitsgrad oder von der Art und Weise, in der
das Buch geschrieben wurde.
Der Verleger von Nagib Mahfus druckte 5.000
Exemplare von dessen Buch "Echos meines Lebens". Diese Auflage war
nach drei Jahren noch nicht abgesetzt! Ein einfacher Vergleich
zwischen dieser Auflage und der Auflage der Memoiren von Gabriel
Garcia Marquez, die in mehreren Ländern gleichzeitig
herausgegeben wurden, mit den ersten Auflagen, die über eine
Million Exemplare hinausgingen und Tantiemen von mehr als zehn
Millionen Dollar abwarfen, sei erwähnt (wenn die Gerüchte
in den Zeitungen uns die Wahrheit sagen), um den großen
Unterschied zwischen diesen beiden Kulturen zu erkennen.
Der arabische Schriftsteller ist das Ergebnis
einer Gesellschaft, in der keine Zivilgesellschaft, keine
individuelle Freiheit existiert und demzufolge es kein
Verantwortungsbewusstsein bei allen anderen Gruppen der
Gesellschaft gibt und somit die einfachsten Dinge vermissen
lässt. Deshalb ist das Ergebnis ein arabischer Schriftsteller,
dessen Produkt zumeist eine Deklamation ist und keine Erfahrung
widerspiegelt - voller Wiederholungen und Phantasiebilder, dagegen
kein Produkt, das Fragen stellt und nachdenkt. Er ist kurz gesagt,
ein Gefangener der Beredsamkeit, die letztendlich die Quintessenz
seiner armen Erfahrung repräsentiert. Hinzu kommt
natürlich die Kontrolle durch die Zensur.
Trotz ständiger Buchmessen in allen
arabischen Ländern ist die Nachfrage nach Büchern sehr
gering. Es gibt wenige öffentliche Bibliotheken, und diese
sind sehr dürftig ausgestattet. Das gleiche gilt für die
Universitätsbibliotheken. Hinzu kommt die allmähliche
völlige Veränderung, die in den vergangenen Jahren die
Buchhandlungen erfasste, die sich zu einem Ort zum Verkauf von
Schreibwaren und für Geschenkartikel wandelten.
Ein einfacher Vergleich mit
Auflagenhöhen im Iran oder in der Türkei, die beide
benachbarte und muslimische Länder sind und daher gemeinsame
Charakteristika mit den arabischen Ländern haben sollten,
macht die riesige Kluft zwischen der Situation des Buches und der
Schriftsteller dort und hier deutlich. Die arabischen
Schriftsteller haben fast keine Bedeutung, und wenn, nur durch die
Herrschaftssysteme, oder sie sind an den Rand gedrängt. Es ist
nicht übertrieben zu sagen, dass ihr kulturelles Produkt
schwach ist. Sie berühren in ihren Texten wegen der eigenen,
inneren Zensur und der religiösen und nationalistischen Tabus
selten die Realität, weil sich ihr Hauptinteresse auf die
Anpassung an die herrschenden Zustände richtet. Deshalb trifft
die Aussage durchaus zu, der arabische Schriftsteller sei ein
kastrierter Schriftsteller. Die wenigen Ausnahmen können
nichts bewirken.
Meist werden hier oder dort Namen wiederholt
in der Erwägung, sie hätten etwas zu sagen. Doch dem ist
nicht so. Jeder Schriftsteller, Verleger oder Journalist hat einen
eigenen, inneren Zensor, der subtil arbeitet. Und über jedem
Zensor gibt es einen anderen Zensor. Die Mehrzahl der publizierten
Bücher ist im allgemeinen Bücher von schlechter
Qualität. Die wirklich guten und durchdachten Bücher
können fast gar nicht in den arabischen Ländern
veröffentlicht werden. Auch behandeln die Zeitungen und
Kulturprogramme sie nicht, und sie werden nicht erwähnt. Sie
sind aus dem arabischen kulturellen Leben
verstoßen.
Allerdings kommt es vor, dass die
Behörden eines Landes dieses Buch verbieten, dagegen die
Behörden eines anderen Landes es erlauben, manchmal diesem zum
Trotz und manchmal aus Unkenntnis! Aber dann kommt das Problem des
Absatzes und des Vertriebs. Es gibt keinen funktionierenden
arabischen Buchmarkt. Es gibt keine Absatzvereinbarungen zwischen
den arabischen Ländern. Dazu kommt die Existenz lokaler
Zensuren, die dazu beitragen, die Verbreitung der Bücher zu
erschweren.
In einer Welt wie dieser steht der arme Autor
und hofft, dass er entdeckt und gesehen wird, dass über ihn
und sein Werk geschrieben wird. Er strengt sich gewaltig an, damit
sein Buch veröffentlicht wird. Er braucht eine Kostendeckung
für die Publikation seines Buches. Die meisten arabischen
Verleger heutzutage publizieren nicht ohne Zuschuss zu den
Druckkosten. Das heißt, sie sind nur Vertreter der
Druckereien.
Heute sind der Libanon an erster Stelle,
gefolgt von Ägypten die wichtigsten Verlagsorte. Auch in
Syrien nahm in letzter Zeit die Bedeutung der privaten
Verlagshäuser zu. Jordanische Verlagshäuser
interessierten sich besonders für Lehrbücher. Dazu gibt
es Staaten, die staatliche Verlage unterhalten, wie Kuwait oder wie
der Irak, der es monopolisierte, und wo private Verlage bis zum 9.
April 2003 völlig verschwunden waren.
Verbote und Zensur
Zu den Arten der erwähnten Zensur tritt
die Volkszensur, die durch einen Besucher der Buchmesse
hervorgerufen werden kann oder durch einen Beschäftigten in
einer Druckerei, so wie es in Ägypten geschah. Die Zensur hat
verschiedene Gesichter, etwa in Saudi-Arabien. Die Zensur betrifft
die Bücher, die Gott (Bücher des Sufismus im Besonderen)
und andere, die den König (und die sich um das Leben der
königlichen Familie drehen) behandeln. Die bedeutendsten Werke
saudi-arabischer Autoren sind verboten, von den Werken des
bekannten, rebellischen Autoren Abdullah al-Qasimi bis hin zu den
Erzählungen von jungen Schriftstellerinnen und
Schriftstellern. Es gibt eine rigorose, orthodoxe islamische Zensur
in Ägypten. Sie ist neben der Zensur in Kuwait die rigoroseste
in den arabischen Ländern. Dazu kommt, dass der arabische
Verleger selbst eine strenge Zensur ausübt. Er kürzt und
verändert Formulierungen, die Anstoß erregen
könnten, um keine Probleme mit den Behörden in ihren
verschiedenen Arten zu bekommen, ohne dass er es wirklich schafft,
von ihr frei sein zu können. Auf jeder arabischen Buchmesse
gibt es Dutzende von verbotenen Büchern.
Einige Messeleitungen begnügten sich
nicht mit dem Verbot, sie vernichteten die beschlagnahmten
Bücher und fügten den Verlegern riesige Verluste zu. Das
geschieht jedes Jahr in Ägypten. Der arabische Verlegerverband
schweigt dazu. Er arbeitet wie alle anderen arabischen
Verbände in völliger Übereinstimmung mit der
machthabenden Behörde.
Aus dem Arabischen von Claudia
Knieps.
Khalid Al-Maaly ist Journalist und Verleger
arabischer Literatur; er lebt in Köln.
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