Angela Grünert
Trost gefunden in der Beschreibung edler
Reittiere
Eine profunde Einführung in die arabische
Literatur
Rund eineinhalb Jahrtausende arabische Literaturgeschichte von
der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart in nur einen einzigen
Band zu fassen, ist bislang noch niemand gelungen. Wiebke Walthers
Buch ist neben den voluminösen, mehrbändigen
Standardwerken in deutscher Sprache der erste Versuch. Am
großartigsten an diesem Werk ist, dass über
ausgewählte Bespiele intensive und dicht präsentierte
Einblicke gegeben werden, die den Überblick über die
Entwicklung mündlich und schriftlich überlieferter
arabische Texte sehr persönlich und außerordentlich
lebendig gestalten.
Darüber hinaus vermittelt die in Tübingen Arabistik
und Islamkunde lehrende Professorin auf hohem Niveau die
religiösen und politischen Grundlagen, die zum
Verständnis der Literatur des arabischen,
islamisch-geprägten Kulturraumes notwendig sind, wie zum
Beispiel die Zusammensetzung der Arabischen Sprache oder den
Entstehungskontext des Korans, in dem sich für die Muslime
Gottes Wort manifestiert und der deswegen seit Generationen als
maßgebendes grammatikalisches Vorbild arabischer Texte
gilt.
Der interessierte Leser kann sich nicht nur über die
unterschiedlichen Genres der arabischen Literatur, über Werke
und Namen der Kultautoren dieser Zeit informieren, sondern er
erfährt darüber hinaus, was die Autoren im
vorislamischen, mittelalterlichen und modernen islamisch
geprägten Kulturraum bewegte, sich im wohlformuliertem
Arabisch anderen mitzuteilen. Vermittelt wird, unter welchen
Arbeitsbedingungen Dichter und Schriftsteller sich ihrer Berufung
widmeten, wer ihre Zielgruppe, Leser und Förderer waren, wie
sie sich gegenseitig unterstützt und zuweilen auch aufgrund
von Konkurrenz- und Karrierestreben einander das Leben erschwert
haben.
Die am weitesten in die Vergangenheit zurückreichende
Literatur der Tmæhiliya - die Epoche der Unwissenheit -, wie
die vorislamische Zeit von arabischen Historikern bezeichnet wird,
stammt vermutlich aus dem frühen fünften Jahrhundert. Die
altarabische Dichtung und Prosatexte der Beduinen wurden über
Generationen mündlich überliefert und erst im achten und
neunten Jahrhundert schriftlich fixiert. Diese Texte hatte
vorrangig soziale Funktionen, so zum Beispiel die Definition
kollektiver Verhaltensnormen innerhalb eines Stammes.
Sie dienten aber auch als Ausdruckmittel oder Kompensation
unerfüllter Sehnsüchte nach Überschreitung solcher
Grenzen. Diese kommen in den Beschreibungen der ?atlæl', der
menschlichen Spuren, zum Ausdruck, welche die Beduinen auf der
Suche nach Weideplätzen in den Steppen und Wüsten
hinterließen. Mittelpunkt dieser Dichtungen bildeten die Oasen
und Wasserplätze, an denen die verschiedenen Stämme
aufeinander trafen.
Nicht selten scheinen solche zufälligen Begegnungen,
Gelegenheit zu episodenhaften, emotional nachhaltigen Begegnungen
zwischen Frauen und Männern gegeben zu haben, die mit dem
Aufbruch des einen oder anderen Stammes, ihr meist als jäh und
schicksalhaftes empfundenes und derart beschriebenes Ende fanden.
Dass solchen Romanzen selten ein happy end beschieden war,
lässt die Struktur dieser Gedichte vermuten, die so angelegt
sind, dass über die Verehrung der Angebeteten auf die
Beschreibung der Reittiere der nomadischen Dichter
übergeleitet wird.
Aus der detailreichen und poetischen Darstellung der Kamele
(seltener der Pferde), deren Schönheit, Stärke,
Schnelligkeit und Ausdauer mit anderen Tieren der Wüste
verglichen wurde, scheinen die Liebeskranken Ablenkung, Trost und
neuen Lebensmut geschöpft zu haben, so dass die Klagegedichte
in Lobpreisungen der Vorteile des eigenen Stammes gegenüber
anderen schließlich doch eine positive Wendung nahmen.
Während persönlich erlebte Ereignisse in
vorislamischer Zeit meist in lyrischen Strukturen verarbeitet sind,
wurden historische Gegebenheiten in Prosa erinnert und von
Generation zu Generation weitergegeben. Insbesondere unter den
Beduinen des nördlichen Innerarabiens wurden die Kämpfe
und Auseinandersetzungen, Raub- und Beutezüge in literarischen
Erzählungen konserviert. Die Dichter, die solche Ereignisse
durch kunstvolle literarische Konstruktionen aufwerteten, galten
sozusagen als Sprecher eines Stammes - als diejenigen, die für
den Zusammenhalt der Stammesgemeinschaft maßgebenden Werte-
und Normvorstellungen auch nach außen vertraten.
Im Mittelpunkt des Buches steht das Genre ?adab'-Literatur. Die
mit Lyrik durchsetzten Prosatexte waren seit dem achten und bis zum
19. Jahrhundert als Bildungskanon und Grundlage der gepflegten
höfischen Unterhaltung konzipiert. Die perfekte und poetisch
gewandte Nutzung des Arabischen war das Bildungsideal dieser Zeit,
an der sich auch die mawæli - arab. Klienten (eines fremden
Stammes) -, also die Bewohner des nach dem Tode des Propheten
Muhammad rasch expandierenden arabischen Reiches orientierten.
Mit der Aneignung arabischer Sprachkenntnisse in Wort und
Schrift waren berufliche Chancen verbunden, welche die mawæli
zum Beispiel als Hofsekretäre oder Mediatoren in offizieller
Funktion der Vermittlung zwischen Herrscher und der persischen,
ägyptischen, westafrikanischen, spanischen und ab dem neunten
Jahrhundert auch der sizilianischen Bevölkerung als Chance
nutzten.
Nach der Arabisierung der höfischen Verwaltung im ersten
Drittel des achten Jahrhunderts begannen persische
Hofsekretäre mit der Übersetzung sozialdidaktischer und
schöngeistiger Werke aus ihren Muttersprachen ins Arabische.
Ihrem Beispiel folgten mawæli anderer Nationalitäten aber
auch Christen, Juden und Manichäer persischer, syrischer und
griechischer Herkunft.
Der Einfluss der mawæli wirkte sich auch auf das
Bildungsideal aus, das neben dem altarabischen Erbe und den zu
dieser Zeit hochmodernen Vorgaben des Korans nun auch alt- und
neutestamentliche Erzähltraditionen sowie persische und
indische Erinnerungskultur in vielseitigen literarischen Formen
propagierte, darüber hinaus auch Philosophie und Ethik der
Griechen, die Wiebke Walther als "die Humanitas des
mittelalterlichen Islam in arabischer Sprache" bezeichnet.
Der Moderne der arabischen Literatur, der Neuentwicklungen im
19. und 20. Jahrhundert, ersten Romanen und der Herausbildung einer
an alte Traditionen orientierten modernen Erzählprosa
räumt die Autorin leider nur noch ein kaum 20 Seiten
umfassendes Kapitel ein. Auch diese kompetente und lebendig
dargestellte Abhandlung ist eher komprimiert als dünn zu
bezeichnen, erreicht aber nicht mehr die Intensität der
Beschreibung vorangehender Epochen.
Die "Kleine Geschichte der arabischen Literatur" ist eindeutig
als ein auf zwei Bände ausgerichteter Überblick angelegt.
Die Autorin kündigt denn auch eine ausschließlich auf die
Moderne ausgerichtete Fortsetzung an. Zwar ist noch ungewiss, wo
und wann dieses Folgewerk erscheinen wird, dennoch tröstet
dieses Versprechen den Leser über das jähe Ende der
bereichernden und emotional nachhaltigen Begegnung mit der
arabischen Literatur.
Wiebke Walter
Kleine Geschichte der arabischen Literatur.
Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart.
Verlag C.H. Beck, München 2004; 336 S., 29,- Euro.
Angela Grünert ist Islamwissenschaftlerin und freie
Journalistin; sie lebt in Berlin.
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