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Thilo Castner
Freiheit und Gerechtigkeit überall in der
Welt
Unsere Zukunft hängt von der
amerikanisch-europäischen Kooperation ab
Dem Autor, Historiker für Zeitgeschichte am
St. Anthony's College in Oxford, geht es um nicht weniger als um
die Zukunft der Menschheit, die er durch globale Fehlentwicklungen
ernsthaft bedroht sieht. Nach seinen brillanten Büchern
über den Ost-West-Konflikt und das Ende des Kalten Krieges
weitet er fast zwangsläufig den Blick aus auf die
drängenden Probleme der Welt.
Ash macht auf die bekannten Probleme
aufmerksam: Gegenwärtig wächst die Weltbevölkerung
in 12 bis 13 Jahren um eine Milliarde; werde in diesem Tempo
weitergemacht, könnten es um 2050 fast 13 Milliarden sein.
Jährlich verhungern in den Entwicklungsländern Millionen
oder sterben an vermeidbaren Seuchen und Krankheiten, während
in den reichen westlichen Ländern Millionen an Fettsucht
leiden. Durch den verschwenderischen Umgang mit fossilen
Brennstoffen, vor allem in den Ländern des Westens, kommt es
zu klimatischen Veränderungen, die ähnlich verheerende
Folgen hätten wie Massenvernichtungswaffen.
Extreme Armut, nach Ash die "am weitesten
verbreitete Form fundamentaler Unfreiheit", führt zu
massenweiser Landflucht und begünstigt Terrorismus. Die drei
weltweit reichsten Männer, Bill Gates, Waren Buffett und Paul
Allen, verfügten über ein Vermögen, das das
"jährliche anfallende Bruttosozialprodukt aller
Entwicklungsländer" deutlich übertrifft.
Die Ursache für die globalen Probleme
liegt nach Ash eindeutig im verantwortungslos-egoistischen
Verhalten des Westens. "Die Konsumorgie westlichen Stils ist im
globalen Maßstab untragbar. Die Erde verkraftet auf Dauer
nicht immer mehr Menschen, die immer mehr verlangen." Vor allem
wegen der "gletscherartigen Machtverschiebung", die durch die
"aufstrebenden Kolosse" Indien und China kurz bevorstehe, seien die
westlichen Staaten gefordert, endlich "über seinen Schatten zu
springen und sich selbst zu hinterfragen".
Doch genau das tue er momentan nicht. Ash
analysiert, wie die USA und Europa immer wieder getrennte Wege
gehen, in Umweltfragen, bei der Lösung ethnischer Konflikte,
in Angelegenheiten des internationalen Rechts, obwohl vom
kulturellen Hintergrund mehr Übereinstimmungen als
Gegensätze bestünden. Wenn verhindert werden solle, dass
die sich abzeichnenden Katastrophen irreparabel werden, dann
müsse in Kürze eine gemeinsame, für alle Bewohner
der Erde faire und vernünftige Außen- und
Wirtschaftspolitik entstehen.
Was mahnt Ash im Einzelnen an? Die USA
verfolgten unter Bush eine Strategie der Stärke, die an Hybris
grenze, im Kern fundamentalistisch sei und bestehende Krisenherde
gefährlich verstärke. Zurzeit betreibe man einen
"Vulgär-Huntingtonismus", eine Art nationalistischen
Kulturkrieg. Die Beiträge der USA zur Entwicklungshilfe
lägen bei skandalösen 0,1 Prozent ihres
Bruttoinlandsprodukts. Allein die Ausgaben für den Irakkrieg
betrügen das Achtfache der jährlichen Aufwendungen
für unterentwickelte Länder. Man sei in Washington
meilenweit davon entfernt, andere Völker und Religionen als
gleichwertig zu betrachten.
Europa sei hier zwar weiter, aber längst
nicht weit genug. Die europäische Entwicklungshilfe liege mit
0,22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch erheblich unter den
erforderlichen 0,7 Prozent. Wie in den USA habe man auch seitens
der Europäer keine Skrupel, durch inländische
Agrarsubventionen die Exportmöglichkeiten der armen
Länder zu blockieren. Zum Beispiel lagen im Jahr 2000 die
Milchsubventionen der EU bei 913 Dollar pro Kuh, ein Betrag, der
fast dem doppelten Durchschnittseinkomen im südlichen Afrika
entsprach. Die Entwicklungshilfe für die Menschen dort betrug
dagegen acht Dollar pro Kopf.
Die gewählten Volksvertreter, für
Ash zum erheblichen Teil Ignoranten und Egozentriker, werden den
Durchbruch zu einer verantwortungsvollen Politik, die das Wohl der
ganzen Menschheit im Auge hat, allein nicht schaffen. Deshalb
appelliert er an die Millionen wohlhabender Bürger im Westen,
ein Prozent ihres Jahreseinkommens "für sauberes Trinkwasser
sowie die soziale und medizinische Grundversorgung der
allerärmsten Regionen" zur Verfügung zu stellen die weit
verbreitete politische Lethargie aufzugeben und in Parteien und
Initiativen mitzuarbeiten. Wenn nicht dort, wo Demokratie,
Liberalität und wirtschaftliche Sicherheit
selbstverständlich geworden sind, ein Beitrag für eine
global gerechte und friedvolle Welt geleistet wird, so die
Befürchtung des Autors, kann die Erde eines Tages nicht mehr
bewohnbar sein.
Es lohnt sich, dieses Buch aufmerksam zu
lesen. Es enthält eine Vielzahl brisanter Fakten und mutiger
Vorschläge, die aufzugreifen und umzusetzen unumgänglich
sind, wenn der bittere Weg in die sich anbahnende globale
Ausweglosigkeit noch verhindert werden soll. Frei und friedlich ist
diese Welt erst, wenn alle in Frieden und ohne Mangel leben
können.
Timothy Garton Ash
Freie Welt.
Europa, Amerika und die Chance der
Krise.
Carl Hanser Verlag, München 2004; 368
S., 24,90 Euro
Thilo Castner ist freier Journalist; er lebt
im fränkischen Kalchreuth.
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