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Gottfried Niedhart
Zum Mythos geworden
Lothar Galls große Biographie über den
Bankier Hermann Josef Abs / Von Gottfried Niedhart
Im Geflecht der Beziehungen zwischen Staat,
Wirtschaft und Politik gibt es auf Seiten der Hochfinanz in
Deutschland im 20. Jahrhundert nur wenige Persönlichkeiten,
die wie Hermann Josef Abs sowohl über Einfluss hinter den
Kulissen als auch über Ausstrahlung in der breiteren
Öffentlichkeit verfügten. Weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus galt Abs geradezu als eine der Symbolfiguren
des Finanzwesens. Ihr hat Lothar Gall auf breiter Aktenbasis,
darunter der umfangreiche Nachlass von Abs, eine Biografie
gewidmet,
Galls Biografie leistet beides: die
Charakterisierung der Person und ihrer beruflichen Leistung sowie
die Einbettung dieser Individualität in politische und
wirtschaftliche Tendenzen, die dieses lange Lebens zwischen 1901
und 1994 ausfüllten. Kaiserreich und Weimarer Republik bilden
den Auftakt. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der NS-Zeit
und der Bundesrepublik in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer
Existenz.
Der biografische Zugriff lässt besonders
gut erkennen, dass über alle Brüche der Entwicklung
hinweg ein beträchtliches Element der Kontinuität nicht
zu übersehen ist. Nur für kurze Zeit war Abs, der 1937 in
den Vorstand der Deutschen Bank berufen worden war, nach 1945 zur
Untätigkeit verurteilt; vor allem die Amerikaner waren ihm
ablehnend begegnet. Sie sahen ihn ihm "nicht ganz zu Unrecht" einen
der "Hauptverantwortlichen für die Raubzüge der Deutschen
Bank im von den Nazis besetzten Europa".
Abs war kein Parteigänger der
Nationalsozialisten, wie er überhaupt nie einer Partei
angehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er die Weimarer
Republik und insbesondere die Position Stresemanns bejaht, der
einen Ausgleich mit den Westmächten suchte und eher auf
wirtschaftliche, denn auf militärische Macht setzte. Aber als
führender Repräsentant der Deutschen Bank war Abs eng mit
dem NS-System verbunden und hat ihm "zumindest indirekt gedient".
Gall vermeidet strikt jeglichen moralisierenden Ton, lässt
aber keinen Zweifel an der "Nähe der Deutschen Bank zum
Regime" aufkommen. Im Zuge seiner Expansion nahm sie beständig
zu. "Am Ende stand in vielen Bereichen eine zwar nicht
intentionale, aber faktische Zusammenarbeit mit dem
NS-System."
Im Westdeutschland der Nachkriegszeit und der
frühen Bundesrepublik verkörperte Abs in geradezu
idealtypischer Weise sowohl Kontinuität als auch Neubeginn.
Über den individuellen Fall weit hinausweisend leistet Gall
einen anschaulichen Beitrag zu der immer wieder geführten
Debatte um die sogenannte Stunde Null des Jahres 1945. Sie hat es
einerseits nicht gegeben, "gerade auf dem für die weitere
Entwicklung so entscheidenden Feld der Wirtschaft". Andererseits
stand Abs dafür, dass die Nachkriegsrekonstruktion nur in
einem "neuen Geist" der Öffnung nach Westen erfolgen
könne.
Als politischer Anknüpfungspunkt diente
das im Wilhelminismus nicht zum Zuge gekommene und auch in der
Weimarer Republik unterlegene liberale Bürgertum.
Wirtschaftlich war in den Augen von Abs die Zeit vor 1914
richtungsweisend, als ein lange nicht wieder erreichter Grad an
Internationalisierung mit weltweitem Handel und festen
Wechselkursen, gewissermaßen eine Globalisierung lange vor der
Globalisierung zu konstatieren gewesen war.
An der Spitze der Kreditanstalt für
Wiederaufbau und als Verhandlungsführer im Vorfeld des
Londoner Schuldenabkommens spielte Abs bis 1953 national und
international eine zentrale Rolle im öffentlichen Dienst und
in staatlichen Funktionen. Danach kehrte er zur
Bankierstätigkeit zurück. Als die Deutsche Bank, nachdem
sie zuvor in drei Teilbanken zerlegt worden war, 1957
wiederhergestellt wurde, trat Abs wie selbstverständlich an
ihre Spitze. Darüber hinaus bekleidete er zahlreiche Posten in
Vorständen und Aufsichtsräten. Als "Mittler zwischen
Kapital, Wirtschaft und Politik" stand er in engem Kontakt zu
führenden Politikern, nicht zuletzt zu Adenauer. Wie Adenauer
Rat suchte, aber auch - was am Beispiel des Vertrags mit Israel
über Wiedergutmachung deutlich wird - seine berühmten
einsamen Entschlüsse fasste oder im Interesse von
Einflussnahme und Machtsicherung auch vor persönlicher
Verunglimpfung nicht zurückschreckte - all das lässt Gall
deutlich werden. In Teilen liest sich der Text wie eine Geschichte
der jungen Bundesrepublik, die den Typus des Handelsstaats mit
weltweiten außenwirtschaftlichen Interessen darstellte und
deren politische Kultur "stark autoritäre Elemente"
enthielt.
Abs trat im Rahmen seiner
marktwirtschaftlichen Grundüberzeugung für einen
sachorientierten Pragmatismus ein. Er hatte, was Gall wiederholt
zitiert, "das Bedürfnis, Dinge, die der Ordnung bedürfen,
in Ordnung zu halten oder zu bringen". Die ordnende Hand sollte
allerdings nicht "unsichtbar" bleiben wie bei Adam Smith, sondern
Abs als dem "Steuermann der deutschen Finanzwelt und der deutschen
Wirtschaft" gehören. Als die "Deutschland AG", für die
Abs gern als Sprecher auftreten wollte, im Übergang von den
60er- zu den 70er-Jahren in ihre zweite Gründungsphase
eintrat, ging der Einfluss von Abs merklich zurück. Gleichwohl
blieb seine markante Gestalt im öffentlichen Bewusstsein
präsent. Noch ein Jahr vor seinem Tod bezeichnete ihn eine
amerikanische Zeitschrift als den mit Abstand mächtigsten Mann
in Deutschland. Ein Mythos war geboren.
Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine
Biografie.
Verlag C.H.Beck, München 2004; 526 S.,
29.90 Euro
Der Autor ist Professor für Neuere
Geschichte an der Universität Mannheim.
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