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Sten Martenson
Voller Zuversicht und Optimismus
Zuckmayers "Deutschlandbericht"
Der Blick zurück ist zum Glück nicht nur Historikern
vorbehalten. In einer Zeit, da die Zeitzeugen der Jahre um 1945
immer weniger werden, gewinnen Aufzeichnungen, die mehr als nur ein
persönliches Schicksal beschreiben, zweifellos an Wert. Vor
zwei Jahren wurde Carl Zuckmayers "Geheimreport"
veröffentlicht. Der Schriftsteller, der 1939 aus
Nazi-Deutschland emigriert war, hatte in den Jahren 1943 und 1944
Schauspieler und Schriftsteller, Regisseure und Publizisten, die
sich - aus welchen Gründen auch immer - mit dem NS-System
arrangiert hatten, charakterisiert. Es war eine Auftragsarbeit
für den US-Geheimdienst. Klaus Harpprecht kommentierte diese
einfühlsame Arbeit Zuckmayers mit den Worten, niemals habe ein
Geheimdienst sein Geld sinnvoller unter die Leute gebracht.
Zuckmayers "Deutschlandbericht" war auch ein Auftragswerk. Das
Kriegsministerium wollte von Zuckmayer, dem im Januar 1946 die
amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden war, mehr
über die innere Verfassung des am Boden liegenden
Nachkriegsdeutschlands erfahren. Harpprechts Urteil ließe sich
variieren: Nie zuvor hat ein Kriegsministerium sinnvoller Geld
ausgegeben.
Zuckmayer war von November 1946 bis zum März 1947 in
Deutschland und Österreich unterwegs: "Ich war ein
Neuankömmling, der seinen Weg durch einen unbekannten
Dschungel finden musste. Und ich war ein Heimkehrer in den Augen
einer unerwartet großen Zahl von Menschen, die sich an meine
Stücke erinnerten, als ob sie nicht zwölf Jahre verboten
gewesen wären." Seinen Bericht haben die Herausgeber mit
Beiträgen Zuckmayers über die vermeintlich "verlorene
Jugend" Deutschlands, mit seiner Einschätzung des wieder
erwachenden Kulturlebens in Deutschland, mit der Schilderung eines
Jugendtreffens und mit Leserbriefen ergänzt, dazu akribisch
genaue Anmerkungen, die gut ein Viertel des Buches füllen.
Alles zusammen vermittelt ein Bild Nachkriegsdeutschlands, das
lebendiger und griffiger als jede historische Untersuchung oder so
manches autobiografische Erinnern ist. Denn Zuckmayer verfügte
über die Gabe des genauen Beobachtens, über das Interesse
an den vielfältigen Schicksalen der Nachkriegsdeutschen und
das Sensorium für geschichtlich-politische Zusammenhänge.
Er erlebt das zerstörte Land, in dem er geboren wurde, nicht
als Richter, sondern als Helfer. In einem der beigegebenen
Leserbriefe heißt es: "Carl Zuckmayer ist einer der
wärmsten, ehrlichsten Anwälte für unser armes
Deutschland. Wir alle wissen um die Schwere der deutschen Schuld -
auch Carl Zuckmayer. Dennoch erhebt er seine Stimme für
Deutschland, wo er es immer nur vermag."
Wie viele andere Emigranten auch hatte sich Zuckmayer seiner
neuen Heimat als kundiger, aber eben auch verständnisvoller
Helfer zur Verfügung gestellt. Unter den Mit-Emigranten, aber
auch in Deutschland trug ihm dieser Einsatz nicht nur Beifall ein.
Seine Aufgabe, von amerikanischen Insitutionen initiiert und
formuliert, war es, Erziehungsarbeit zu leisten, Reorientierung zu
geben und den kulturellen Wiederaufbau mit Rat und Tat zu
begleiten. Faszinierend sind die Schlüsse, die der Autor aus
den vielen Beobachtungen zieht und die Weitsicht derselben.
Da beschreibt er, was die Deutschen von den Amerikanern halten.
Drei Einstellungen hält Zuckmayer fest: etwas Hass, etwas
Enttäuschung und etwas vernünftige, dankbare Anerkennung.
Unterscheidet sich dieses Spektrum fundamental von der
gegenwärtigen Situation? Wobei vor allem die angeführten
Motive für die Enttäuschung geradezu brandaktuell
erscheinen: die Deutschen wären nach Kriegsende überzeugt
gewesen, "dass die Alliierten, besonders die Amerikaner,
Deutschland nicht erobern würden, ohne einem gut vorbereiteten
Plan zu folgen, um den Frieden nach dem Krieg zu gewinnen". Wem
fiele da nicht der gerade von den USA eroberte Irak ein? Den
Herausgebern jedenfalls ist diese Parallele sofort in den Sinn
gekommen. Aber auch Zuckmayers Zweifel an der Art der so genannten
Entnazifizierung haben sich im Nachhinein als bemerkenswert
zutreffend erwiesen.
Durch sämtliche Texte Zuckmayers ziehen sich dennoch als
Leitfaden soviel Zuversicht und Optimismus, dass der Leser des
Jahres 2004 angesichts des Lamentierens und Jammerns im heutigen
Deutschland tief beschämt sein müsste. Und noch etwas,
was den heutigen Leser nachdenklich stimmen sollte. Zuckmayers
Blick in die ferne Zukunft, die nun unsere Gegenwart ist, richtete
sich schon 1949 auf das "Leitwort" Europa. Seine Worte klingen
vielleicht zu pathetisch, aber dennoch belegen sie, dass Visionen
nicht Visionen bleiben müssen: "Europäische Verschmelzung
allein kann die geistigen und biologischen Kräfte der
Völker, in deren Traditionen nicht nur ihre alten Wurzeln,
sondern auch ihre neuen Treibsäfte beschlossen sind, aus der
Lähmung befreien."
Carl Zuckmayer
Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der
Vereinigten Staaten von Amerika.
Herausgegeben von Gunther Nickel, Johanna Schrön und Hans
Wagener.
Wallstein-Verlag, Göttingen 2004; 312 S., 28,- Euro
Nach langen Journalistenjahren in Bonn lebt der Autor heute im
Ruhestand in Bad Honnef.
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