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Peter Dudek
Eine Erfolgsgeschichte
Der Mensch im Blick der Wissenschaft
Vor drei Jahren sorgte der Physiker, Biologe und
Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer mit seinem Buch "Die
andere Bildung" für beachtliche Aufmerksamkeit. Während
er damals jene wissenschaftlichen Disziplinen behandelte, die sich
vor allem mit dem befassen, was Menschen an äußerlich
vorhandenen Dingen sinnlich erfassen und erforschen, etwa den
Weltraum, wendet er sich in seinem neuen Opus der - wie er es nennt
- "inneren Wissenschaft" zu und untersucht sehr anschaulich und
flüssig geschrieben ihren Blick auf den Menschen selbst.
Die Bildung des Menschen kann auf zwei Weisen
beobachtet werden: "als biologische Entwicklung und als Aneignung
von Wissen". Was wissen nun die Naturwissenschaften über den
Menschen, der mit ihrer Hilfe so viel von anderen Dingen weiß?
Das ist die Ausgangsfrage, die Fischer sich stellt, und er
lädt seine Leser dazu ein, ihn auf seinen Streifzügen
durch das komplexe Reich der Naturwissenschaften zu begleiten, um
die Frage schrittweise zu beantworten.
Um das Buch zu verstehen, mag eine
naturwissenschaftliche Vorbildung nützlich sein. Aber sie ist
keine zwingende Voraussetzung, denn Fischer versteht es exzellent,
komplexe Sachverhalte elementar und anschaulich zu thematisieren -
vor allem weil er sie in Erzählungen kleidet. Fischer ist ein
guter Erzähler, der seinen Lesern Wissenschaftsgeschichte in
Form populärer Geschichten nahe bringt. Er will
wissenschaftlich erworbenes Wissen historisch wie systematisch in
möglichst einsichtiger Weise vermitteln.
Wie kommt der Mensch in die Welt, und wie
kommt die Welt in den Menschen? Antworten darauf sucht Fischer bei
den Naturwissenschaften und ihren Fächern, vor allem bei der
Neurobiologie. Für Fischer sind die Menschen "geschaffene und
schaffende Organismen zugleich, was in dem Ausdruck der ?Bildung
des Menschen' zusammengefasst wird, da Bildung beides meint, den
Vorgang des Bildens und sein Ergebnis, das Gebildete".
Im Innern des Menschen
Der Blick in das Innere des menschlichen
Körpers beginnt für Fischer im 16. Jahrhundert mit dem
jugendlichen Autor Andreas Vesalius und seinem Buch "Über den
Bau des menschlichen Körpers". Er endet in unserer Gegenwart
in Form des humanen Genomprojektes, mit dessen Hilfe sich die Reihe
der chemischen Bausteine feststellen lässt, die das Erbgut
einer menschlichen Zelle ausmachen. Tiefere Schichten des Lebens
gibt es nicht. Die Expedition in das Innere des Menschen hat hier,
so Fischer, ihre letzte Grenze und ihr Ende erreicht.
Das Buch erzählt die einzelnen Stationen
dieser Expedition in die Welt der Moleküle, Elektronen und
Zellen und führt zugleich in Grundzügen in die Methodiken
des wissenschaftlichen Denkens ein. Es präsentiert die Anteile
einzelner Wissenschaften an der Erforschung des Inneren des
Menschen. Der Autor unterstützt seine Argumentation durch
zahlreiche Abbildungen und schattierte Grundinformationen. Dabei
kommt es ihm darauf an, dem Leser den doppelten Charakter der Welt
auch im Mikrokosmos vor Augen zu führen: "Die Elektronen
bringen nämlich nicht nur die Welt hervor, sie werden zugleich
von ihr hervorgebracht. Die Atome bilden den Kosmos und werden von
ihm gebildet. Und dazwischen findet die Bildung des Menschen
statt."
Mit dem dritten Kapitel verändert sich
die Erzählperspektive. Der Mensch, bislang nur passiver
Zuschauer, wird zum Akteur der Geschichte, die davon erzählt,
wie die Welt in den Kopf hineinkommt, der von ihr erzählt.
Anders ausgedrückt: Fischer schildert in diesem Kapitel wie
aus "physikalischen Signalen, etwa dem Licht, mit Hilfe von
biochemischen Zwischenstufen - auf der Netzhaut im Auge - das
psychische Erleben, das Sehen eines Menschen werden kann, das nicht
nur innen liegt, sondern ein anderes und eigenes Innen ergibt, das
wir als Bewusstsein kennen". Die Wissenschaften, genauer die
Naturwissenschaften, versuchen nachzuvollziehen, was bei diesen
Prozessen genau passiert.
Fischer vermittelt das Expertenwissen in
didaktisch geschickter Weise. Die biochemischen Prozesse bei der
Entstehung des Menschen gehören dabei ebenso zum Thema, wie
etwa wie die kluge Auflösung des alten Streites um "Nature or
Nurture", für die er die neue Antwort "Nature via Nurture"
bereithält. Die Entstehung des Zahlsinns, des Spracherwerbs
oder des Sehsinns zählen ebenso zum Themenspektrum wie das
Gedächtnis und das Vergessen, die Dauer der Erinnerung und
ihre Formen oder der historische Wandel zwischen Subjekt und
Objekt.
Sehr klar sieht Fischer auch die Dialektik
dessen, was man in der Moderne gemeinhin "wissenschaftlichen
Fortschritt" nennt, ein Fortschritt, der sich in vielen Gebieten in
sein Gegenteil verkehrt hat. Ausgangspunkt der neuzeitlichen
Naturwissenschaften war, so Fischer, das Versprechen, die damals
elenden Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig zu verbessern.
Ihre Geschichte lässt sich durchaus als Erfolgsgeschichte
schreiben. Ohne die Errungenschaften der Naturwissenschaften
wäre ein komfortables Leben in einer digitalisierten Welt
nicht mehr möglich.
Dennoch, so beklagt Fischer gegen Ende des
Bandes, sei es häufig geradezu chic, mit seinem mangelnden
naturwissenschaftlichen Wissen zu prahlen. In der
Öffentlichkeit und in den Medien seien die Naturwissenschaften
nicht präsent. Viele Menschen wollen gar nicht wissen, wie
eine Tablette wirkt, sondern erwarten, dass sie wirkt; es
interessiert sie nicht, wie das Internet funktioniert, sondern nur,
dass es funktioniert.
Gegen diese Art von Gleichgültigkeit
wendet sich das Buch. Man kann natürlich die "Bildung des
Menschen" aus vielen Perspektiven und unter verschiedenen Aspekten
schreiben. Fischer tut dies auf sehr originelle und auch für
naturwissenschaftliche Laien informative und gut lesbare Art und
Weise, die Lust machen kann, dem "Wie" und "Warum"
fachwissenschaftlich wie historisch nachzuspüren.
Ernst Peter Fischer
Die Bildung des Menschen.
Was die Naturwissenschaften über uns
wissen.
Ullstein-Verlag, Berlin 2004; 482 S., 24,-
Euro
Professor Peter Dudek ist
Erziehungswissenschaftler; er lehrt an der Universität
Frankfurt am Main.
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