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Hartmut Hausmann
Kommissare auf dem Prüfstand
Befragung durch die Fachausschüsse des
EU-Parlaments
Zwei Wochen lang verwandelt sich das
Europäische Parlament in Brüssel fast in ein Tribunal,
vor dem weniger über vergangene Fehltritte gerichtet als
über zukünftige Absichten geurteilt wird. Dabei sollen
die 24 neuen EU-Kommissare des von dem Portugiesen Durao Barroso
präsidierten Kollegiums vor den jeweiligen
Fachausschüssen des Parlaments über ihre Person, ihre
finanzielle und politische Unabhängigkeit und ihren
künftigen Aufgabenbereich Auskunft geben.
Dennoch muss kein Kandidat befürchten,
an dieser parlamentarischen Hürde zu scheitern; denn einzelne
Kommissare kann das Parlament nicht ablehnen, da es nur die
Möglichkeit hat, entweder die ganze Kommission abzulehnen oder
ihm das Vertrauen auszusprechen. Erst nach dieser Abstimmung Mitte
Oktober kann die Nachfolgerin der Prodikommission ihre Arbeit am 1.
November aufnehmen.
Den mit Spannung erwarteten Auftritt der
designierten EU-Kommissarin für die europäische
Wettbewerbspolitik, Neelie Kroes, absolvierte die
Niederländerin mit Bravour. Sie beantwortete gut vorbereitet
mit großem Fachwissen die Fragen der Europaparlamentarier und
stellte sich überzeugend als konsequente Verfechterin eines
möglichst uneingeschränkten Wettbewerbs im
Europäischen Binnenmarkt dar. Mit den Worten "Ich bin
unabhängig und unparteiisch" kündigte sie an, in ihrer
Amtszeit für eine weitere Deregulierung der Wirtschaft zu
sorgen, wobei sie die Wirtschaft aber keinesfalls als Feind
betrachte. Vor allem im Bereich der Telekommunikation müssten
noch viele Praktiken beseitigt werden, die den Wettbewerb
behinderten. Zugleich will die künftige Kommissarin für
größtmögliche Transparenz in ihrer Amtsführung
sorgen, damit die Menschen in Europa mehr Informationen über
die Bedeutung der Wettbewerbspolitik erhielten.
Unmittelbar nach ihrer Nominierung durch die
niederländische Regierung war die Holländerin wegen ihrer
Nähe zur Wirtschaft erheblich in die Kritik geraten. Von nicht
lösbaren Interessenkonflikten war die Rede, weil die
frühere niederländische Verkehrsministerin zuletzt gleich
in mehreren Verwaltungs- und Aufsichtsräten großer
europaweit tätiger Unternehmen saß. Dazu gehörte der
Mobilfunkanbieter MMO2, der Automobilkonzern Volvo, das
französische Elektronikunternehmen Thales, das
niederländische Logistikunternehmen P&O oder der
US-Kommunikationsausrüster Lucent. Die Kritik war besonders
laut im linken Lager, weil sich die designierte Kommissarin als
liberale Politikerin und eingefleischte Marktwirtschaftlerin
für diesen Aufgabenbereich empfohlen hatte.
Den Vorwurf möglicher
Interessenkonflikte hatte sie schon vor der Anhörung aus dem
Weg geräumt. Zunächst hatte sie ab 1. September alle
Posten bei den Unternehmen niedergelegt. Und indem sie weit
über den nach dem Sturz der Santerkommission 1999 entwickelten
Verhaltenskodex für EU-Kommissare hinausging, verpflichtete
sich Kroes schriftlich dazu, nach ihrer Amtszeit "für immer
und ewig" keine Aufgabe in der Privatwirtschaft mehr zu
übernehmen. Das zielte auf das Verhalten des früheren
deutschen Wirtschaftministers und späteren
EU-Binnenmarktkommissars Martin Bangemann, der sofort nach
Beendigung seines Brüsseler Amtes einen langfristigen Vertrag
beim spanischen Telecom-Riesen Telefonica unterschrieben
hatte.
Sollten sich für die Niederländerin
dennoch mögliche Konfliktsituationen abzeichnen, wenn sie zu
Unternehmen, in deren Gremien sie tätig war, Untersuchungen
einzuleiten und Entscheidungen zu treffen hätte, dann, so
versprach die Kandidatin, werde sie die Angelegenheit abgeben und
Kommissionspräsident Barroso bitten, einen Kollegen mit der
Prüfung dieses Falles zu betrauen. Dies soll zumindest
innerhalb einer "Abkühlungsphase" von einem Jahr der Fall
sein. Im Übrigen habe sie alle ihre Aktien verkauft und ihr
Privatvermögen für ihre Alterversorgung in eine Stiftung
eingebracht, damit es dort von zwei ihr nicht bekannten
Treuhändern in Fonds angelegt werde.
Überwiegend positive Eindrücke
hinterließ bei den Anhörungen auch der für das
Ressort Bildung und Kultur vorgesehene slowakische Kommissar Jan
Figel, der sich gut vorbereitet zeigte. Schwerer hatte es da schon
sein tschechischer Kollege, der für Arbeit, Soziales und
Gleichberechtigung zuständige Vladimir Spilda, der immer
wieder zu einer "klaren Positionierung zu der noch immer eklatanten
Benachteiligung von Frauen in der türkischen Gesellschaft"
aufgefordert wurde. Da half Spilda auch nicht der Hinweis, dass
diese Fragen noch nicht unmittelbar seinen Aufgabenbereich
beträfen, weil die Türkei nicht Mitglied der EU sei. Doch
offenbar sollten hier bereits für die anstehenden Debatten
über die Aufnahme der Türkei Punkte gesammelt
werden.
Fachlich gut vorbereitet zeigte sich auch die
frühere polnische Europaministerin Danuta Hübner, die nun
in Brüssel für Regionalpolitik zuständig sein wird.
Doch ihre Aussage zum Beitrittsgesuch der Türkei, der gut auf
die finanziellen Folgen hin überprüft werden müsse,
damit sich die EU nicht übernehme, wurde von vielen
Abgeordneten als eher peinlich empfunden, stammt er doch von der
Vertreterin eines Landes, das erst ein halbes Jahr Mitglied der EU
ist und das finanziell besonders stark von der Solidarität der
anderen Mitgliedsländer profitiert.
Beeindruckend, kompetent und mutig genug,
ihre eigene Meinung auch gegenüber starken Interessensgruppen
zu vertreten, fasste die dänische Expertin für
Haushaltsfragen, Anne Jensen, ihre Meinung zur Anhörung der
designierten Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaitë aus
Litauen zusammen.
Ihre Meinung vertrat die zukünftige
Chefin über die EU-Finanzen unzweideutig und legte den Finger
in die Wunde der bisherigen Agrarpolitik. Die Politik in diesem
hauptsächlich aus Subventionen bestehendem Sektor, der noch
immer rund die Hälfte der EU-Ausgaben verschlingt, sei nicht
mehr zeitgemäß. Stattdessen sollte der Haushalt der EU
künftig ein Katalysator für wirtschaftlichen und sozialen
Fortschritt in Europa sein. Würden die Reformen verschoben und
sollte die mit der Lissabon-Strategie verbundene
Wachstumsinitiative kein Erfolg werden, drohe die Idee der
Europäischen Integration insgesamt Schaden zu nehmen, und die
Menschen in den Mitgliedsländern würden in Pessimismus
und Angst getrieben.
Zum künftigen Finanzrahmen der EU
für den Zeit-raum von 2007 bis 2013 sprach sich
Grybauskaitë für mehr Flexibilität aus bei der
Umwidmung von Haushaltslinien aus. Bis zu einem gewissen Limit
sollte es möglich sein, dass die Haushaltsbehörden nicht
benötigte Gelder aus einem Sektor auf einen anderen
übertragen. So könne man schnell auf veränderte
Prioritäten reagieren.
Auf die Frage eines ungarischen Abgeordneten
der EVP, wo nach ihrer Meinung die Obergrenze für die
EU-Finanzplanung festgelegt werden sollte, erklärte die
Litauerin, ob es 1,0 oder 1,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens
(BNE) der EU seien, hänge von den von Ministerrat, Parlament
und Kommission zu beschließenden Prioritäten ab. Für
die laufende Finanzperiode liegt die mögliche Obergrenze der
EU-Ausgaben bei 1,24 BNE, wird aber mit knapp über 1,0 Prozent
bei weitem nicht ausgeschöpft. Viele der Nettozahler in der EU
wie Großbritannien und Deutschland wünschen eine
Obergrenze von maximal 1,0 Prozent.
Für den neuen EU-Industriekommissar
Günter Verheugen soll die Umsetzung der Lissabon-Agenda
höchste Priorität in seiner zweiten,
fünfjährigen Amtszeit erhalten.
Die im kommenden Frühjahr anstehende
Halbzeitbilanz will Verheugen zum Anlass nehmen, eine neue
Strategie zum Erreichen der anvisierten Wachstumsraten und
Beschäftigungsquoten zu entwickeln. Der Kommissar kritisierte
die mangelnde Zielgenauigkeit und mangelnde Konzentration auf die
Kernbereiche Wachstum und Beschäftigung in der bisher
verfolgten Politik.
Seine eigene Rolle bei der Umsetzung sieht
Verheugen darin, dass er die ihm übertragene
Koordinierungsaufgabe für alle mit Wirtschaftsfragen befassten
Ressorts dazu nutzen will, alle Gesetzesvorlagen der Kommission auf
ihre Auswirkungen auf die europäische
Wettbewerbsfähigkeit hin zu überprüfen. Kam der
Kommissar mit dieser Aussage den von der deutschen Bundesregierung
in ihn gesetzten Erwartungen entgegen, indem er unterstrich, dass
die Unternehmen in Europa ein ordnungspolitisches Umfeld frei von
nachteiligen Regulierungen benötigten, so machte er aber auch
seinen Willen zu völlig unabhängigem Handeln deutlich. Er
werde mit gleicher Konsequenz gegenüber denjenigen standhaft
bleiben, die in Sonntagsreden die Notwendigkeit des Wettbewerbs
predigten und Freitags bei ihm wegen Absprachen zum Schutz vor
Wettbewerb vorstellig würden.
Besondere Aufmerksamkeit will der neue
Industriekommissar den Entwicklungsmöglichkeiten der
mittelständischen Unternehmen widmen. Diese Firmen, die 50
Prozent der Wertschöpfung erzielten und mehr als zwei Drittel
aller Arbeitnehmer beschäftigten, bezeichnete Verheugen als
Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung und des Fortschritts
in Europa. Verheugen warnte die Banken, die Kreditvergabe für
die kleinen und mittleren Unternehmen zu erschweren.
Entschieden wehrte sich Verheugen gegen die
These, Europa erlebe wegen des internationalen Wettbewerbs eine
Phase der generellen Deindustriealisierung. Dies sei völlig
falsch, weil es mit dem normalen Strukturwandel verwechselt werde,
dem man sich weder widersetzen dürfe noch langfristig
widersetzen könne. Richtig sei, dass Europa wegen seines
höheren Lohn- und Sozialstandards in einigen Sektoren, wie der
Textilindustrie oder im Bergbau, nicht mithalten könne.
Dafür gebe es andere und neue Branchen mit erheblichem
Wachstum.
Auf Vorwürfe des EVP-Abgeordneten
Langen, in der Frage der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit
der Türkei bereits beim Besuch des türkischen
Ministerpräsidenten eine Woche zuvor in Brüssel den
Beschluss befürwortend präjudiziert zu haben, riet
Verheugen allen Kritikern, erst einmal seinen in der nächsten
Woche erscheinenden Bericht abzuwarten. Manch einer werde sich
über die schriftlich niedergelegten Schlussfolgerungen noch
wundern.
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