Erik Spemann
Wirbel um die Lernmittelfreiheit
Bayern: Nach den Parteiklausuren
In Bayern sind die Weichen für einen Weg gestellt worden,
der ein erhebliches Eindampfen der bisherigen Verwaltungsstruktur,
den Abbau staatlicher Leistungen und das Ende der Neuverschuldung
vorsieht. Die CSU-Landtagsfraktion hat bei ihrer Herbstklausur zum
Ende der Sommerferien nach teils intensiven Diskussionen die von
der Staatskanzlei konzipierten Gewaltoperationen gebilligt. Die
Opposition meldet unterdessen schärfste Bedenken gegen die
Maßnahmen an, die nach den Plänen von Staatskanzleichef
Erwin Huber unter anderem den Abbau von 4.000 bis 5.000 Stellen
bringen und jährlich zu Einsparungen von 300 Millionen Euro
führen sollen.
Spektakulärste Punkte waren die weitgehende Abschaffung
beziehungsweise die Einschränkung der 1948 im Freistaat
eingeführten Lernmittelfreiheit, die die SPD notfalls
über ein Volksbegehren erhalten will, und der radikale Umbau
der bayerischen Polizei: Deren Apparat soll von vier auf drei
Ebenen verschlankt werden, ein Modell, das auch Innenminister
Günther Beckstein favorisiert hatte. Dabei werden die
bestehenden sieben Polizeipräsidien und 35 Direktionen zu zehn
Schutzbereichen verschmolzen.
Weniger Stellenstreichungen
Ursprüngliche Pläne, durch die Reform entfallende 600
Stellen zu streichen, wurden nach Protesten der
Polizeigewerkschaften und aus der Fraktion insoweit korrigiert, als
bis 2010 lediglich 180 Stellen kassiert werden, um mit der Mehrzahl
der eingesparten Kräfte die Inspektionen zu verstärken.
Die Beamten sollen "vom Schreibtisch auf die Straße" gebracht
werden, sagte Fraktionschef Joachim Herrmann.
Den größten Wirbel bei Elternverbänden und
Oppositionsparteien - und sogar innerhalb der eigenen Partei -
hatte der Beschluss der CSU-Fraktion ausgelöst, wonach die
Eltern ab dem Schuljahr 2005/2006 die Lernmittel für ihre
Kinder selbst kaufen müssen. SPD-Fraktionschef Franz Maget
kreidete Ministerpräsident Edmund Stoiber an, er habe mit
diesem Schritt sein Versprechen gebrochen, bei der Bildung nicht zu
sparen, und kündigte an, die SPD werde den Plänen
notfalls auch mit außerparlamentarischen Mitteln
entgegentreten. Im Landtag nannte er das CSU-Vorhaben einen
"Anschlag auf ein soziales Grundrecht". Auf ihrer Klausur hatte die
SPD-Fraktion die Sozialpolitik in den Mittelpunkt gestellt. Dabei
trat sie für Umverteilungen und neue Strukturen ein, etwa den
Ausbau der Kindertagesbetreuung statt der Auszahlung des bisherigen
150 Millionen Euro Landeserziehungsgeldes.
Der Einspareffekt durch die Abschaffung der Lernmittelfreiheit
wurde mit gut 16 Millionen Euro pro Jahr angegeben. Fünf
Millionen Euro sind im Haushalt eingeplant, um Haushalten mit mehr
als zwei Kindern und Einkommensschwachen den Kauf von Lernmitteln
zu erleichtern. Stoiber verwies darauf, dass Bayern nur dem
Beispiel anderer Länder folge und dass die
Schulwegkostenfreiheit erhalten bleibe. Gleichwohl ruderte
Fraktionschef Herrmann wegen der breiten Protestwelle rasch wieder
zurück. Er ließ zunächst offen, ob man nach dem
"Tendenzbeschluss" auf der Klausur und weiteren Gesprächen mit
den Interessenverbänden als Alternative ein Büchergeld
erhebe. Tags darauf wurde diese Lösung zur aktuellen
Beschlusslage der Fraktion. Das Büchergeld, das die Eltern
zuschießen, soll zwischen 20 und 40 Euro betragen.
"Vehementer Widerstand" angekündigt
Wie die SPD wollen auch die Grünen gegen einen Wegfall der
Lernmittelfreit "vehementen politischen Widerstand" leisten, wie
Fraktionschefin Margarete Bause ankündigte. Die Grünen
hatten sich auf ihrer Klausur nicht zuletzt mit Bildungsfragen
befasst und verstärkte Anstrengungen verlangt. Dabei geht es
der Fraktion um einen weiteren Ausbau frühkindlicher
Betreuungsangebote, fließende Übergänge zwischen den
Schularten und ein Ende der strikten Trennung von Kindergarten und
Schule. Insbesondere müsse die gegenüber dem Gymnasium
vernachlässigte Hauptschule aufgewertet werden. Inzwischen hat
das bayerische Kabinett ein neues Kindertagesstättengesetz
verabschiedet, das den konsequenten Ausbau der Kinderbetreuung zum
Inhalt hat. Bis 2008 sollen 313 Millionen Euro in jährlich
1.000 neue Krippenplätze und 5.000 Hortplätze für
Schulkinder investiert werden.
Gleichwohl will die Staatsregierung mit dem ehrgeizigen Projekt
Stoibers glänzen, im Haushalt 2006 erstmals keine neuen
Schulden mehr auszuweisen. Bayern setze mit diesen "epochalen
Entscheidungen" Maßstäbe und sei damit "Vorbild für
alle öffentlichen Haushalte in Deutschland", so der
Ministerpräsident.
Über das Konzept für die zweite Stufe der
Verwaltungsreform will die Fraktion im November entscheiden. Es
sieht die Zusammenlegung und Bündelung von Behörden fast
aller Sparten vor, wobei vor allem die künftigen Standorte der
Verwaltung heiß umstritten sind. SPD und Grüne werfen der
Staatsregierung Konzeptionslosigkeit bei der Reform vor und warnen
vor einem Kaputtsparen Bayerns, das finanziell weit
überdurchschnittlich gut dastehe.
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