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Susanne Balthasar
Meinungen, die man mieten kann
Profidemonstrant vor Reichstag
Die Demonstration. Sich stundenlang durch die Straßen
wälzende Menschenmassen, Parolen grölend, Schilder
schleppend, und wenn es ganz schlimm kommt, dann regnet es auch
noch. Es ist nass, es ist kalt, es ist eine anstrengende
Angelegenheit, die eigene Meinung unters Volk zu bringen. Warum
sich so viel Stress antun, wenn es auch viel bequemer geht?
Demonstrieren kann doch so einfach sein. Gut, dass kein
Lüftchen weht, als Daniel Buchholz vor dem Reichstag das
Schild der Demokratie aufrichtet. 15 Kilo wiegt das Ding und kann
erheblich ins Wanken geraten, wenn die Wetterlage stürmisch
ist. Aber weil das Wetter schön und Daniel Buchholz jung und
obendrein professionell ist, kann er sonnenbebrillt und entspannt
seine Meinung hochhalten: "Mehr Demokratie - Volksabstimmung
erleichtern." Was heißt seine Meinung? Eigentlich ist es die
Meinung von Stefan Pfeiffer aus Fulda, erklärt Daniel
Buchholz. Denn Stefan Pfeiffer wünscht sich zwar mehr
Volksabstimmung, ist aber leider nicht vor Ort, vielleicht hat er
auch einfach zu tun. Nur gut, dass es Daniel Buchholz gibt, vor
kurzem noch arbeitslos, heute schon Berufsdemonstrant im Herzen der
Republik: Bis Januar 2005 will er fünf Mal die Woche von 10
bis 18 Uhr vor dem Reichstag stehen und protestieren, gemietet von
der Münchner Werbeagentur Sassenbach Advertising. Derzeit muss
er sich jedoch einen anderen Wirkungsort suchen, da er vor dem
Reichstag einen Platzverweis erhalten hat. Das Ordnungsamt Berlin
erkannte in dem Unterfangen eine kommerzielle Veranstaltung im
öffentlichen Raum - und hierfür benötige man eine
Sondergenehmigung. Ein Rechtsanwalt kläre nun, ob das Verbot
zulässig sei, teilte die Agentur mit.
Die Idee ist schräg. Agenturchef Thomas Sassenbach fand,
man müsse der Jugend, die immer unpolitisch geschimpft wird,
ein Forum geben - und schenkte ihr eins. Jetzt können
Jugendliche und andere Menschen im Internet Parolen für die
Tagesdemo vorschlagen, über die dann ganz basisdemokratisch
per SMS oder E-Mail abgestimmt wird: Die Siegermeinung wird am
nächsten Tag vor dem Reichstag hochgehalten. Nur
Extremmeinungen werden vorher aussortiert, ansonsten kommt je nach
Nachrichtenlage alles vor: Lafontaine und Hartz, Rente und Reform,
rechts und links. Bei www.mein-demonstrant.de sieht Politik
allerdings ziemlich trendig aus: schick gestaltete Webseiten mit
jeder Menge Fotos von Daniel Buchholz und seinem Kollegen
André Gäbler, die beide gut aussehen und orangefarbene
T-Shirts mit der Aufschrift "Ich bin dein Demonstrant" tragen.
Während der eine die Parole hält, dokumentiert der andere
die Mietdemo per Handykamera. Das muss so sein, denn weil um den
Reichstag eine Bannmeile ist, darf hier nur jeweils eine Person
ihre Meinung äußern. Also wird im Schichtbetrieb
demonstriert, und die Bilder zackzack ins Netz geschickt - die Demo
als Live-Event im Internet. Das kommt an. Im Schnitt stimmen 150
Leute täglich ab, sagt Carmen Wiegand, die das Projekt
betreut. Die Werbeagentur, die hauptsächlich Jugendliche als
Zielgruppe betreut, ist zufrieden, schließlich hat die
Investition den eigenen Bekanntheitsgrad erheblich erhöht.
Politik als PR-Gag.
Vor dem Reichstag sind die Meinungen darüber geteilt. Zwei
junge Mädchen finden die Aktion gut, eine ältere Frau
auch, aber nur solange, bis sie hört, dass der engagierte
junge Mann gemietet ist: "Man sollte sich schon selber für
seine Meinung hinstellen." Sollte man, aber tut nicht jeder. Dass
die Mietprotestler die gute alte Demo-Kultur ruinieren, glaubt
André Gäbler nicht: "Klar, das ist eine Serviceleistung
wie der Pizzabringdienst. Aber das ist doch nur eine Form von
Demonstration." Sich mit einem Fremdslogan hin zu stellen, ist
für ihn auch kein Problem: "Ich seh das ganz pragmatisch als
Job, mein Gewissen ist rein." Egal ob "Leben darf kein Luxus sein",
"Lebst du noch, oder sparst du schon?" oder "BWL als Schulfach",
auch Daniel Buchholz steht zu seiner Fremdmeinung. "Warum nicht?
Das ist ja nicht meine Meinung, ich repräsentiere diese
Meinung nur." Gelebte Meinungsvielfalt sozusagen. Das erklärt
er dann auch den Leuten, die ihn ansprechen und manchmal auch
fotografieren.
Aber eigentlich stehen die beiden auch nicht als
Touristenattraktion für die Reichstagsbesucher herum, sondern
für die Parlamentarier. Die sollen aus ihrem Bürofenster
auf das Plakat und damit dem Volk in den Kopf schauen. "Jeden Tag
vor dem Reichstag, das bewirkt Aufmerksamkeit", glaubt Daniel
Buchholz. Und weil die Aktion so erfolgreich ist, denkt man in
München schon über Expansion nach. Rom, London und Paris
prüft die Werbeagentur als Proteststandort. Was zu meckern
gibt es ja überall.
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