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Martin Gerner
"Schreiben Sie nicht über solche
Themen!"
Journalismus und Medien in Afghanistan
entwickeln sich mühsam
Die alte Revox-Tonbandmaschine leiert vor sich hin. Ein Mann mit
hochgezogenen Augenbrauen lehnt seinen Kopf bedächtig an die
Tonspule des über 30 Jahre alten Gerätes, als suchte er
nach einer Bestätigung, dass es tatsächlich durch die
Sandstürme in Kabul gelitten hat. Hier sitzt kein Reparateur,
sondern ein Kontrolleur, und eine Handvoll Kollegen in karrierten
Hemden mit Schnäuzer sitzen neben ihm. Die Herren arbeiten in
der "Evaluierungs-Abteilung" von Afghanistans staatlichem Rundfunk
RTA (RadioTelevion Afghanistan).
Auf gut Deutsch bedeutet "Evaluierung" Zensur. Jedes Wort, jedes
Skript wird kontrolliert auf mögliche Kritik an der Regierung
Karsai, auf ethnische Vorurteile, auf kritische Fragen. Nichts wird
live gesendet. Ob und wie Fragen der Zensur zum Opfer fallen,
erfährt oft niemand, denn in der Regel praktizieren die
Journalisten von RTA Selbst-Zensur, noch ehe ein Report die
Evaluierungs-Abteilung erreicht. Beispiel: Ein Originalton, der
erklärt, warum in der Provinz Bamian - dort wo einst die
Buddha-Statuten standen - die Beteiligung von Frauen an der
Registrierung für die Präsidentschaftswahlen im Oktober
besonders hoch ist, wird von der Redakteurin wieder gestrichen.
"Die Evaluierungskommission würde es als Bevorzugung der dort
lebenden Hazara-Mehrheit gegenüber anderen Ethnien werten",
argumentiert sie resigniert.
"Das ist das Erbe von zehn Jahren Kommunismus und einer
afghanischen Geschichte, die nie eine freie Presse gesehen hat,
sondern Journalisten als Büttel im Dienste autokratischer oder
totalitärer Regime beschäftigte", erklärt Peter
Vogt. Der Deutsche soll in Kabul zusammen mit wenigen
Europäern Afghanistans staatlichen Rundfunk reformieren.
Es gibt Hoffnungen, dass sich einiges ändert nach den
Wahlen. Alle gehen davon aus, dass Hamid Karsai Präsident
bleibt und dass dann die Tage der Evaluierungs-Abteilung
gezählt sein könnten. Das kann Monate, aber auch Jahre
oder Jahrzehnte dauern.
Eine Etage unter der Evaluierungs-Abteilung sitzen Redakteure
der Nachrichten-Abteilung von RTA. Hier steht kein Faxgerät,
kein Internet-Anschluss, nur ein Bunsenbrenner, auf dem das
Mittagessen gekocht wird. Das Büro als Küche - das ist
üblich in den staatlichen Behörden. Auch die
Nachrichten-Redakteure von RTA sind - drei Jahre nach Beginn der
militärischen Operation "Enduring Freedom" - keine
Journalisten, sondern Befehlsempfänger. Die Meldungen, die sie
verlesen, werden von der staatlichen Nachrichten-Agentur Bakthar
verfasst, der tägliche Ghostwriter heißt Abdul Hamid
Mubarez und ist stellvertretender Minister für Kultur und
Information. Das reformierte Medien-Gesetz der Regierung Karsai,
das seit Ende März in Kraft ist, trägt seine Handschrift:
"Noch nie konnten Journalisten in Afghanistan so frei berichten und
publizieren", sagt Mubarez mit dem Brustton der Überzeugung.
Die Crux daran: viele Journalisten befürchten, dass eine per
Gesetz neu geschaffene Kommission, die alle neuen Publikationen
unter die Lupe nehmen will, die Presse-Freiheit eher beschneidet
als fördert, denn die Kommission wird von einem Mitglied aus
eben jenem Informations-Ministerium geleitet, das auch den
Gesetzestext erstellt hat.
UN- und US-Diplomaten haben das neue Medien-Gesetz anfangs als
demokratischen Fortschritt gefeiert. Es bedeutet Fortschritt, weil
es dem Wortlaut nach jegliche Beschränkung der
Publikationsfreiheit aufhebt. Aber der Weg zur Pressefreheit nach
westlichem Muster ist lang und steinig.
Als letztes Jahr die Festnahme von Hussein Mahdawi und Ali Reza
Payan, den Chefredakteuren von "Aftab" (Sonne), einem politischen
Wochenmagazin, Wellen schlug mussten ausländische Regierungen
bei Präsident Karsai intervenieren, damit das Todesurteil
gegen die beiden Journalisten nicht vollstreckt wurde. Der oberste
Gerichtshof hatte ihnen Gotteslästerung vorgeworfen: Ihr
"Delikt": Mahdawi und Payan hatten in einem Artikel mit dem Titel
"Heiliger Faschismus" unter anderem die Frage aufgeworfen: "Wenn
der Islam tatsächlich die letzte und umfassendste aller
offenbarenden Religionen ist, wie kommt es dann, dass die
muslimischen Staaten in der modernen Welt so weit zurück
liegen ?" Die neue afghanische Verfassung verläuft an der
Nahtstelle zwischen modernem westlichen Staatsverständnis und
traditioneller islamischer Rechtsauslegung im Sinne der Scharia.
Einschüchterung und Tabus, der angesprochene Hang zur
Selbstzensur sowie das kulturelle Erbe wirken als Hindernis. In
einem Land, in dem 70 bis 80 Prozent Analphabeten leben, fehlt der
Presse eine Leserschaft als Verbündeter, der sie zur vierten
Gewalt machen würde.
Verstöße gegen das Presserecht sind inbesondere in den
Provinzen an der Tagesordnung, wo Gouverneure, Milizen-Chefs und
selbsternannte Kommandeure das Sagen haben. Auf der
Gründungsveranstaltung einer Journalisten-Gewerkschaft schaute
unlängst der Herausgeber einer unabhängigen Publikation
in die Runde: "Ich sehe hier so viele Warlords, dass ich mich
frage, wann die alle Journalisten geworden sind."
Oft wird Journalisten mit Entlassung gedroht, sobald sie einen
Hauch von Kritik einfließen lassen. Das führt bei
Journalisten des staatlichen Rundfunks dazu, dass sie die
Regierenden mit Samthandschuhen anfassen. Für unabhängige
Medien bedeutet es Interviewverbot.
Hinzu kommt der Terror: in Kandahar wurde unlängst das
Büro von Killid, einem unabhängigen Medien-Unternehmen,
beschossen. Ein Mitarbeiter wurde entführt - von Taliban, so
die gängige Mutmaßung. Killid vertreibt in Kandahar ein
Magazin mit Fotos und berichtet ueber aktuelle Frauen-Thematik.
Beides hat im Süden keine Tradition.
Themen, die Frauen betreffen, liegen in der Regel an der oben
beschriebenen Nahtstelle: Zwangsheirat, Vergewaltigung in der Ehe,
Kinderhandel, Selbst-Verbrennungen. Ahmad Behzad von Radio Free
Afghanistan, einem Sender, der von der US-Regierung finanziert
wird, wurde geschlagen, verhaftet und aus der Stadt Herat
ausgewiesen, nachdem er in Gegenwart von Gouverneur Ismail Khan die
Lage der Menschenrechte in dessen Stadt öffentlich
angeprangert hatte.
Immerhin können die Afghanen mittlerweile nachlesen, dass
die Schalthebel von Korruption und Drogenhandel bis hoch in die
Regierung Karsai reichen. Karsais Pressesprecher Jawid Ludin drohte
einem afghanischen Journalisten unlängst, als dieser über
die Festnahme eines Kollegen berichtete: "Schreiben Sie nicht
über solche Themen!"
Der Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen liest sich wie ein
who-is-who physischer und psychischer Angriffe auf Journalisten in
Afghanistan im vergangenen Jahr. Auch Abdul Samay Hamed ist darin
erwähnt. Der rund 40-jährige Dichter und Autor, der 2003
den International Press Freedom Award erhielt, ist so etwas wie ein
rotes Tuch für afghanische Machthaber, ob unter der russischen
Besatzung, den Mujaheddin, den Taliban oder jetzt der
Karsai-Regierung. Drei Anschläge hat er überlebt, zuletzt
vor seiner Haustür in Kabul.
Abdurrab Jahed, Chef des staatlichen Rundfunks in
Mazar-i-Sharif, einer Stadt, die als vergleichsweise offen gilt,
glaubt, dass angesichts der ungeklärten Sicherheitslage im
Land Journalisten die Aufgabe haben, die Regierung zu
unterstützen. "Selbstzensur ist ein probates Mittel, die
Menschen zusammenzubringen."
23 Jahre überwachter Journalismus erschweren nicht nur
freies Denken, sondern auch die Fähigkeit, strukturiert zu
arbeiten, zu recherchieren und zu schreiben. In afghanischen
Zeitungen steht noch immer das Wichtigste oft am Ende, anstelle von
Fakten liest man Gerüchte.
US-Aid, die amerikanische Behörde für
Entwick-lungshilfe, hat 2004 rund 40 Millionen Dollar für den
Aufbau von 17 unabhängigen Radio-Stationen in Afghanistan
investiert. Weitere 20 sollen bis zur Parlamentswahl im April
folgen. Die Rolle der USA bleibt ambivalent. Sie überlassen
die Reform des staatlichen Rundfunks Europäern und Asiaten.
Aber in Ausnahmefällen bestimmen sie die Regeln. So
verfügt der US-Botschafter in Afghanistan, Khalilzad, dem
Hören-Sagen nach über das Recht, sich zweimal pro Monat
in einer Radio-Ansprache an das afghanische Volk zu wenden. In
Kandahar soll der Direktor des staatlichen Regional-Studios auf der
Gehaltsliste der USA stehen.
Während die US-Spezialstreitkräfte täglich
westliche Journalisten (vornehmlich Fotografen und TV-Reporter) zu
Einsätzen mitnehmen, in denen diese als "embedded" schriftlich
in den Verzicht auf sämtliche Presse-Rechte einwilligen, um
einen Eindruck vom Einsatz gegen Taliban und Al Qaida zu erhaschen,
bleiben afghanische Journalisten davon ausgeschlossen.
Das Land ist - was die Medien-Nutzung angeht - zweigeteilt. In
Kabul gibt es über 230 Zeitungen und Zeitschriften. 20
Kilometer außerhalb kann man so gut wie kein Blatt erwerben.
Angesichts der vielen Analphabeten ist Rundfunk das
Haupt-Medium.
Die deutsche Rolle beim Wiederaufbau der Medien ist sichtbar,
aber nicht immer optimal koordiniert. Die Deutsche Welle hat im
Juli ein sechsmonatiges Projekt zur Hilfe des staatlichen Rundfunks
und seiner Regional-Studios gestartet. Techniker, TV- und
Radio-Trainer unterrichten dabei das journalistische Einmaleins und
verbessern die technische Ausstattung. Die Präsenz
internationaler Medien-NGOs hat für afghanische Journalisten
eine Schutz-Funktion. Video-Journalistinnen zum Beispiel
könnten sonst keine Filme außerhalb von Kabul drehen.
Ziel journalistischer Entwicklungshilfe sollte sein, dass dieser
Schutz so rasch wie möglich obsolet wird.
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