|
|
Helmut Heinzelmeier
Balanceakte im globalen Machtgefälle
Deutsche Außenpolitik in einem grundlegend
veränderten Umfeld
1989 ging eine Ära zu Ende: die des
Ost-West-Konfliktes. Vielfach übersehen wird, dass jene
Ära auch eine Zeit weithin erfolgreicher bundesdeutscher
Außenpolitik war. Sie trug wesentlich dazu bei, dass sich das
Land, eingebettet in europäische und transatlantische
Zusammenarbeit, in Frieden und Wohlstand entwickeln konnte. Ihre
Krönung und gleichzeitig ihr Ende erfuhr sie, durch
äußere Umstände begünstigt, in der deutschen
Vereinigung von 1990 und, im Zusammenhang damit, durch die
Überwindung der europäischen Teilung.
Seither hat sich deutsche Außenpolitik
in einem grundlegend veränderten weltpolitischen Umfeld zu
bewegen. Zu einer Diskussion darüber luden - initiiert vom
Lehrstuhl Internationale Beziehungen der Universität Trier -
kürzlich die Bundeszentrale für politische Bildung und
die Volkswagenstiftung einige Dutzend Fachleute aus dem In- und
Ausland zu einer mehrtägigen Konferenz ein.
Heute können nur noch die USA als
Weltmacht gelten. Die Daten sind eindeutig. Allein auf
wirtschaftlichem Gebiet kann Europa ein gewisses Gegengewicht
bilden. Hoffnungen, dass das Ende des Ost-West-Konfliktes ein Mehr
an Frieden bringen würde, trogen. Im Gegenteil. Manche Kriege,
nicht nur jene auf dem Balkan und Tschetschenien, sind durch dieses
Ende erst möglich geworden. Und die Auseinandersetzungen um
den Irakkrieg offenbarten nicht nur in den transatlantischen
Beziehungen, sondern auch innerhalb Europas bittere Zwietracht.
Währenddessen nahmen Asien und Afrika unterschiedliche
Entwicklungen. Afrika - der Sudan ist dafür nur ein aktuelles
Beispiel - droht in Elend, Bürgerkrieg und Unregierbarkeit zu
versinken (Vierte Welt). Jüngste britisch-französische
Initiativen, im europäischen Rahmen Militärkontingente
(so genannte battle groups) zusammen zu stellen, zielen primär
darauf ab, in allfällige afrikanische Krisengebiete jeweils
schnell Kampftruppen entsenden zu können: Um
Gewalteskalationen möglichst frühzeitig zu unterbinden,
Leiden der Zivilbevölkerung zu begrenzen und Voraussetzungen
für Friedensverhandlungen zu schaffen.
Ostasien bildet neben Nordamerika und
Westeuropa das dritte Weltwirtschaftszentrum. China ist seit rund
15 Jahren weltweit das Land mit der höchsten
druchschnittlichen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. Nicht
minder beeindruckend ist, trotz Asienkrise von 1997/98, die
wirtschaftliche Entwick-lung von Staaten wie Südkorea und
Taiwan. Japan bleibt, trotz langer Stagnation, die
zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Diese unstrittigen
Fakten sollten jedoch nicht zu Fehlschlüssen verleiten.
Ostasien, Asien - 3,5 Milliarden Einwohner mit vielfach
ungebrochenem Bevölkerungswachstum - gilt auch als
Krisenkontinent. Mit Ausnahme des Nahmittelostens wird nirgendwo
sonst auf der Welt so stark aufgerüstet wie im
asiatisch-pazifischen Raum. Pekings Innenpolitik - wirtschaftliche
Freiheiten bei fortgesetzter politischer Repression und Korruption
- führt zu tiefen sozialen und regionalen Brüchen.
Ostasien gilt sicherheitspolitisch als eine der gefährlichsten
Regionen der Welt. Dort mangelt es nicht an brisanten Krisenherden.
Sie reichen von der koreanischen Halbinsel und Taiwan über das
krisengeschüttelte Indonesien - dem
bevölkerungstärksten moslemischen Land der Welt - bis zu
den, von Nuklearwaffen überschatteten Spannungen auf dem
indischen Subkontinent.
Die USA sind nicht nur eine atlantische,
sondern auch eine pazifische Macht. Sie sind auch im Fernen Osten
militärisch dominant. Sie sind Weltmacht, China will eine
werden, hat aber bis dahin noch einen langen Weg vor sich.
Inzwischen stellt sich in Washington die Frage, ob man diese
Entwicklung kooperativ oder konfrontativ begleiten soll. Auch gilt
es, die unklaren Machtrelationen zwischen den
Bevölkerungsgiganten China und Indien, aber auch Japan zu
berücksichtigen. Und allein die USA sind in der Lage, zwischen
den Nuklearmächten Indien und Pakistan auszugleichen. Auch
für sie stellt sich die Frage, ob man, nach dem Einsatz im
Irak, weitere militärische Demonstrationen, beispielsweise auf
der koreanischen Halbinsel, bewerkstelligen kann.
Ungeachtet der Größenordnung und
der Gefahrenpotentiale in Ost- und Südasien, aber auch in
Afrika; ungeachtet auch all jener tiefgreifenden Probleme, die man
gemeinhin unter dem Begriff Nord-Süd-Konflikt subsummiert, ist
amerikanische Politik heute als Folge innenpolitischer
Machtkonstellationen, unabhängig auch vom Ausgang der
Präsidentenwahlen am 2. November auf den
nahmittelöstlichen Raum konzentriert. Er wird "in den
kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnten im Zentrum internationaler
geopolitischer Ordnungsbemühungen und Auseinandersetzungen
stehen und damit auch europäisch-amerikanische Beziehungen
weitgehend definieren" (Volker Perthes). Die Gründe für
diese Entwicklung sind allgemein bekannt, strittig ist jedoch die
Gewichtung und Hervorhebung dieser Region im Kontext weltweiter
Probleme. Dies umso mehr, als, nicht nur beim Stichwort Irakkrieg,
umstritten bleibt, was im einzelnen Ursache, was Folge des blutigen
Geschehens in der Region ist und so politische Regelungen
nachhaltig erschwert. Washington ist es bisher nicht gelungen, den
israelisch-palästinensischen Konflikt, das Kernproblem in der
Region, einer Eindämmung, geschweige denn einer Lösung
näher zu bringen. Israel ist immer auch amerikanische
Innenpolitik. Und Washington tut sich schwer im Irak - um das
Mindeste zu sagen -, fordert mittlerweile substantielle
internationale Hilfe. Das ungelöste Problem Afghanistan droht
darüber in Vergessenheit zu geraten. Forderungen nach mehr
Demokratie in Nahmittelost aber geraten aufgrund der engen
Zusammenarbeit mit regionalen Feudal- und Militärregimes (von
Algerien über Ägypten bis Pakistan) zu
Lippenbekenntnissen. Immerhin erlaubt die Zusammenarbeit
amerikanisch-israelische Kontrollen über den pakistanischen
Nuklearwaffenbesitz.
Stabilität im Nahmittelosten ist auch im
deutschen, im europäischen Interesse. Insofern liegt eine
europäisch-amerikanische Zusammenarbeit - aktuell besonders im
Fall Iran - nahe. Aber Einfluss auf die Politik Washingtons oder
Tel Avivs ist damit kaum verbunden. Zu groß ist das
Machtgefälle in den europäisch-amerikanischen
Beziehungen. Und Israel ist die stärkste Militärmacht in
der Region, es hat alle ABC-Waffen, die es glaubt besitzen zu
müssen, die enge militärische Zusammenarbeit mit der
Türkei strategische Tiefe, und es weiß sich der
uneingeschränkten Unterstützung der USA
sicher.
Um Europa, die Europäische Union, aber
steht es nicht allzu gut. Fortschreitendes Zusammenwachsen ist kein
unumkehrbarer Prozess. Es bedarf des ständigen Engagements.
Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Bedrohungen
während des Kalten Krieges verblassen. Mit der jüngsten
Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa (Bulgarien und Rumänien
stehen noch an) ist die EU an die Grenzen ihrer Möglichkeiten
gegangen. Sie steht damit vor einer Generationenaufgabe. Das
schließt enge Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten - ob die
Ukraine oder Russland, die Türkei oder Marokko - nicht aus,
auch, wo nötig und möglich, substantielle Hilfen. Weitere
Beitritte aber überfordern die Union, sie würde
handlungsunfähig. Durch Überdehnung drohte sie in
Subsysteme, wechselnde Bündnisse, Koalitionen wie dereinst vor
den Weltkriegen, zu zerfallen. Washington drängt auf einen
EU-Beitritt der Türkei. Der einschlägige Druck ist
außerordentlich. Damit ist die Hoffnung verbunden, im Verfolg
einer umfassenden Nahmittelostpolitik die Türkei politisch und
wirtschaftlich - im Jahre 2001 mussten noch die USA und der
Internationale Währungsfonds absichern - durch die EU
abstützen zu lassen. Manchem in Washington mag auch nicht an
einer wachsenden Handlungsfähigkeit Europas gelegen sein.
Abgesehen davon, dass sich die europäisch-türkischen
Beziehungen auch ohne Beitritt zum Vorteil beider Seiten gestalten
lassen, stellt sich die Frage, ob es nicht auch im amerikanischen
Interesse liegt, ein handlunsgfähiges Europa zur Seite zu
habe. Ohne einen solchen Partner wird die USA den weltweiten
Führungsanspruch auf Dauer kaum aufrecht erhalten können.
Um einen bekannten Politikwissenschaftler von der Washingtoner
Johns Hopkins Universität zu zitieren: Europa ist mehr als ein
amerikanisches Reservoir für Reservekräfte (David P.
Calleo).
Anliegen der Tagungsinitiatoren war es, eine
breite öffentliche Auseinandersetzung über die Zukunft
der deutschen Außenpolitik anzustoßen. Informativ war
nicht zuletzt das Gespräch am Rande der Konferenz. Deutlich
wurde dabei: an einschlägigen Themen, Problemen und Fragen,
denen sich deutsche und europäische Politik stellen muss,
mangelt es nicht.
Zurück zur Übersicht
|