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Hartmut Hausmann
Barroso zieht die Notbremse
Vertrauensvotum für neue EU-Kommission
verschoben
Die neue EU-Kommission unter Präsident
José Manuel Durao Barroso kann ihre Arbeit nicht wie geplant
am 1. November aufnehmen. Unmittelbar vor der Abstimmung, mit der
das Europäische Parlament dem Kollegium der 24 Kommissare am
27. Oktober in Straßburg das Vertrauen aussprechen sollte, zog
Barroso seine Bereitschaft zurück, sich dem Votum zu stellen.
Er brauche noch mehr Zeit, erklärte er. Damit zog der
Kommissionschef in letzter Minute die Notbremse, um einer sich klar
abzeichnenden Abstimmungsniederlage zu entgehen. Der frühere
portugiesische Ministerpräsident Barroso war schon im Juli mit
einer deutlichen Mehrheit vom Parlament als
Kommissionspräsident bestätigt worden.
Schon in den Tagen vor der geplanten
Abstimmung war deutlich geworden, dass nur noch die mit 268
Mitgliedern größte christdemokratische EVP-Fraktionen
mehrheitlich aber keineswegs geschlossen für die Kommission
stimmen würde. Auch hier mochten britische Konservativen,
skandinavische und Benelux-Abgeordnete der Kommission in dieser
Besetzung nicht zustimmen. Bestand bei dem Portugiesen
zunächst noch die Hoffnung, dass die Fraktionen der
Sozialisten und Liberalen weitgehend gespalten seien, so nahmen
Probeabstimmungen in diesen Gruppen am Vorabend Barroso jede
Hoffnung auf einen Erfolg. Letzte Gespräche mit den
politischen Gruppen zeigten, dass ein Rückzug oder eine
Umbesetzung des umstrittenen italienischen Kandidaten Buttiglionis
nichts gebracht hätte, weil dann die EVP auch Änderungen
hinsichtlich der von ihnen kritisierten Kommissarsanwärter
fordern würden.
In dieser Situation sah er sich nach
Beratungen auch mit dem niederländischen Ratsvertreter, Atzo
Nicolai, sowie dem luxemburgischen Ministerpräsidenten
Jean-Claude Juncker als EU-Vorsitzendem ab kommenden Januar vor das
Plenum zu treten und zu erklären, das zu erwartende Ergebnis
der Abstimmung könne nicht vorteilhaft für das
europäische Projekt sein. Anschließend sprachen alle
Fraktionsvorsitzenden von einem großen Tag für das
Parlament und für die Demokratie in Europa. Zugleich sicherten
sie dem Kommissionspräsidenten ihre Unterstützung bei der
Suche nach befriedigenden Lösungen zu.
Ausgelöst wurde dieser in der EU bisher
einmalige Vorrang durch die Anhörungen der designierten
Kommissare vor den Fachausschüssen des Parlaments. Dabei war
besonders der für den Justizbereich vorgesehene Italiener
Rocco Buttigglione auf heftige Kritik wegen seiner
Äußerungen zur Rolle der Frau und zur Homosexulität
gestoßen und schließlich mit Mehrheit abgelehnt worden.
Umstritten waren aus unterschiedlichen Gründen auch der Ungar
Kovasz (Energie), die Dänin Boel (Landwirtschaft), der Grieche
Dimas (Umwelt), die Niederländerin Kroes (Wettbewerb) und die
Lettin Udre (Steuern) und in Einzelpunkten auch die Luxemburgerin
Viviane Reding. Auf diese Bedenken des Parlaments war Barroso nur
ungenügend eingegangen, weil er wohl davon ausgegangen war,
dass das Parlament kein Misstrauensvotum wagen
würde.
Barroso muss nun dem Parlament möglichst
schnell ein in seiner Aufgabenverteilung neu zusammengesetztes Team
vorstellen. Danach müssen die betroffenen Kandidaten sich mit
ihrem künftigen Aufgabenbereich intensiv vertraut machen,
bevor erneut die Anhörungen beginnen können. Die in
Straßburg wiederholt geäußerte Erwartung, die
ausgesetzte Abstimmung könne schon in der nächsten
Sitzungswoche Mitte November stattfinden, erscheint eher
unrealistisch, wenn das Risiko ausgeschlossen werden soll, dass
wieder einige Kommissarsanwärter durchfallen. Auf jeden Fall
bleibt die Kommission bis zu einer Entscheidung im Amt.
Übereinstimmend erklärten die
Fraktionsvorsitzenden und der Rat die Erwartung, dass Europa
gestärkt aus dieser politischen Krise hervorgehen werde, da
das Parlament an Selbstbewusstsein gewonnen und durch seine
Standhaftigkeit die Vorraussetzung für eine starke und
unabhängige Kommission geschaffen habe. Eine Belastung
für das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zur
feierlichen Unterzeichnung der Europäischen Verfassung zwei
Tage später in Rom sahen weder Nicolai noch Juncker. Man werde
die Lage sicherlich kurz erörtern, sich vielleicht auch
über das weitere Vorgehen verständigen, sagte der
Luxemburgs Ministerpräsident gegenüber "Das
Parlament".
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