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Vera Riesenfeld
Männer wollen nicht länger nur
arbeiten
Leitbilder über Bord - die Neuordnung der
Arbeit
Im Zuge der laufenden Umstrukturierungen auf den
Arbeitsmärkten und Ausdifferenzierungen von Familienformen
haben sich Leben und Erwerbsarbeit von Männern maßgeblich
verändert. Das Bild des "Familienoberhauptes" beziehungsweise
"Ernährers" verliert in der Lebenspraxis an Relevanz. In dem
EU-Forschungsprojekt Work Changes Gender haben Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen aus sechs Ländern nach Umbrüchen in
Leitbildern und Lebenspraxen von Männern im Zuge der
Auflösung standardisierter Arbeitsverhältnisse in Europa
geforscht. So befinden sich unter 50 Prozent der bundesdeutschen
Männer im Alter von 15 bis 65 Jahren in einem
Normalarbeitsverhältnis, das klassisch als männlicher
Erwerbsentwurf angesehen wird.
Männer (und Frauen) befinden sich
länger in der Ausbildung, in erwerbsfreien Zeiten, bekommen
später Kinder und leben seltener mit Kindern zusammen,
Bereiche wie (Weiter-)Bildung und Freizeit nehmen für beide
Geschlechter zu. Männer verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern
und in der Familie. Sie bewegen sich immer häufiger in
"weiblichen" Lebensbereichen wie etwa auf dem Spielplatz, in
Pflegeberufen. Trotz veränderter gesell-schaftlicher
Verhältnisse und Geschlechterrollen beziehen sich noch viele
Frauen wie auch Männer, politische Akteure, institutionelle
Strukturen und betriebliche Regelungen mehrheitlich auf das
Leitbild traditioneller Männlichkeitsentwürfe.
Mit der Soziologin Birgit Pfau-Effinger
können dabei unterschiedliche Ebenen betrachtet werden. Die
der dominierenden gesellschaftlichen Leitbilder zur Familie und zur
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die Ebene der Institutionen
und das Wechselverhältnis von eigener Zielsetzung und
kulturellen geschlechtlichen Leitbildern wie die Ebene der sozialen
Akteure.
Auch Robert W. Connell spricht in seinem
Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" die Wechselbeziehungen
dieser unterschiedlichen Ebenen an. Er sieht die
Produktionsbeziehungen - neben der Verteilung politischer Macht und
den emotionalen Bindungsmustern - als wesentlichen Faktor der
Geschlechterordnung. Die jeweilige Konfiguration dieser Ordnung
steht in einem Wechselverhältnis zu den jeweils
vorherrschenden Geschlechterleitbildern, an denen die Subjekte sich
orientieren, die also identitäts- und handlungsleitend sind.
Da das soziale Strukturvermögen dieser Leitbilder
herrschaftsbildend ist, spricht Connell von hegemonialer
Männlichkeit als "jener Form von Männlichkeit, die in
einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die
bestimmende Position einnimmt". Hegemoniale Männlichkeit
beinhaltet dabei nach Peter Döge unter anderen folgende
Attribute: "weiße Hautfarbe, ökonomisch erfolgreich,
heterosexuell, mittleren Alters und Macher."
Obwohl diese Standards jedoch den
Lebenssituationen vieler Männer in Europa in Bezug auf Arbeit
und Privatleben nicht entsprechen, werden Männer auf allen
diesen Ebenen noch immer auf Beruf und Karriere festgeschrieben.
Andere gelebte Männlichkeiten genießen kaum Anerkennung,
werden als Ausnahmen thematisiert oder überhaupt nicht
wahrgenommen. "Dies führt dazu, dass insbesondere Frauen, aber
auch Männer, die dem Bild konkurrenzorientierter
Männlichkeit nicht entsprechen können oder wollen, von
Benachteiligungen und Diskriminierungen betroffen sind", wie der
Soziologe Ralf Lange 1998 herausfand. So haben auch fast alle von
uns interviewten Männer die Erfahrung gemacht, als Exoten und
Ausnahmen wahrgenommen zu werden. Viele Männer betonten, dass
ihre Erwerbsabweichung ihre Karriere behindert. Georg H. arbeitet
seit über zehn Jahren in Teilzeit. Auf die Frage nach seinen
Karrierechancen antwortet er: "Gute Frage. Die Chance ist gleich
null. Das wusste ich aber auch in dem Augenblick, in dem ich mich
dafür entschlossen hatte. In dem Augenblick, wo man sich als
Mann für Teilzeit entscheidet, ist man tot,
karrieremäßig. Man ist tot." Auch die gängige
Arbeitsamt-Politik sieht Männer noch immer in der Rolle des
Familienernährers. Frank S., ein erwerbsloser Vater, dessen
Tochter die Hälfte der Woche bei ihm lebt, wurde von der
Arbeitsberaterin aufgefordert, sich nun auch bundesweit zu
bewerben. Auf seinen Einwand, er betreue seine Tochter mehrere Tage
in der Woche und müsse deshalb in der Stadt bleiben, bekam er
zur Antwort: "Andere Familienväter würden gerade für
ihre Kinder den Wohnort wechseln, um arbeiten zu können und
die Familie finanziell abzusichern."
Dieser Verlust an potentiellem Ansehen, Macht
und Einkommen wird aber nicht durchweg negativ interpretiert:
Zeitwohlstand und der "Anspruch auf das ganze Leben" werden bewusst
gegen die berufliche Karriere eingetauscht. Männer, die mit
dem Muster der Erwerbsfixierung brechen, ernten einerseits
Unverständnis von anderen Männern, andererseits aber auch
ein neues Verhältnis zu ihrem Umfeld. Lebenszufriedenheit und
nicht Geld werden zu wichtigen Bezugspunkten. Dem Zwang zum
Funktionieren und der Erwerbsarbeitszeit werden Grenzen gesetzt.
Trotz wiederkehrender Zweifel und der wiederkehrenden "hegemonialen
Männlichkeit im Ohr" zeigten die von uns befragten Männer
ein hohes Maß an Lebenszufriedenheit. Die Reduzierung der
Arbeitszeit führte bei allen Befragten zu einer erhöhten
Zufriedenheit mit dem Gesamtarrangement von Arbeit und
Leben.
Der gesellschaftliche
Veränderungsprozess betrifft nicht nur Entscheidungen
darüber, in welcher Form der/die Einzelne sein Leben zu
organisieren versucht, sondern betrifft die Selbstkonzeption von
Männlichkeit und Weiblichkeit. Kollektive Umdeutungsprozesse
wie in der Schwulenbewegung, finden eher selten statt. Männer
sind gemeinhin darauf angewiesen, sich individuell eine (andere)
Männlichkeit anzueignen. Die Kosten erscheinen hoch, sind doch
Ausgrenzung, fehlende Anerkennung und Krisen der Preis
dafür.
Obwohl ökonomische und politische
Deregulierungen als Motor dieses Wandels auftreten, sind weder die
betriebliche Interessenpolitik, noch die Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik in der Lage oder programmatisch darauf ausgerichtet,
die veränderten Lebensmuster zu stützen und abzusichern.
Trotz positiver Veränderungen, wie im Eherecht, stützt
die Sozialpolitik weiterhin die "Ernährerehe", ähnlich
wie das deutsche Sozialrecht das Normalarbeitsverhältnis
stützt. Sowohl in der politischen Diskussion als auch in der
Praxis der Arbeitsämter und deren Rechtsgrundlage wird auf der
Erwerbsarbeitszentrierung der Männer beharrt und damit das
Leitbild von der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung
zementiert. So werden in der aktuellen Diskussion um
Erwerbsarbeitslosigkeit noch immer die (ost)deutschen Frauen und
ihre Erwerbsneigung benannt. Von einer weiterhin starken
Erwerbsneigung von Männern ist nirgendwo etwas zu lesen oder
zu hören. Diese wird einfach vorausgesetzt.
Unsichere Beschäftigungen werden als nur
ein Übergang zur festen Stelle angesehen,
Arbeitsamtsmaßnahmen als Wiedereingliederung in das
Normalarbeitsverhältnis verstanden. Viele Regelungen gehen von
einer raren Spezies aus: dem ehemaligen männlichen
"Normal"arbeiter. Durch solche vergeschlechtlichten Zuschreibungen
ist eine Arbeits- und Politikkultur gewachsen, die reale
Veränderungen von gelebter Männlichkeit oder deren
öffentliche Wahrnehmung verhindert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
Männlichkeit sich als kulturelles Konzept aufgrund
veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse in einem
Spannungsfeld von Veränderung, Auflösung und Verharrung
befindet. Darin bleiben Männer allerdings oft in alten, von
der sozialen Realität weitgehend entkoppelten Leitbildern
zurück. Männlichkeit zeichnet sich somit durch
Differenzierung, Diskontinuität und häufig
widersprüchliche Anforderungen aus. Brüche mit und
Abweichungen von der herrschenden Männlichkeit vollziehen sich
in Teilbereichen und nur langsam. "Neue Männlichkeit" ist
für den einzelnen Mann nur lebbar, wenn er die
Möglichkeit hat, sich neue Deutungsmuster anzueignen. Neue
Leitbilder von Männlichkeit haben sich jedoch gesellschaftlich
noch nicht durchgesetzt.
Wir fanden in unserer Forschung daher auch
keine "neuen Männer", sondern Männer, die mit neuen
Strategien den gesellschaftlichen Veränderungen und deren
Auswirkungen auf das (noch immer) herrschende Leitbild von
Männlichkeit begegnen. Auch die von uns befragten Männer
wiesen in Teilen traditionelle Männlichkeitskonzepte
auf.
Die gesellschaftlichen Institutionen hinken
den sozioökonomischen Entwicklungen hinterher. Gefahr droht
durch die Reformen des Arbeitsmarktes: Tina Klopp weist auf eine
das Ernährermodell stützende Politik im Zusammenhang mit
der Agenda 2010 hin. Lösungen aus dem Dilemma müssen die
Strukturiertheit der unterschiedlichen Bereiche und damit die
spezifische Eingebundenheit der Akteure in Betracht
ziehen.
Das Leitbild des "Familienernährers"
wird zunehmend obsolet. Gefordert ist ein Umdenken in Bezug auf
männliche Entwürfe für Leben und Arbeit. Dazu
müsste als erster Schritt das eigene Bild von (traditioneller)
Männlichkeit hinterfragt und der Blick auf Männer in
unterschiedlichen Lebenslagen und Männlichkeitsentwürfen
gerichtet werden. Auch Männer wollen heutzutage
familienfreundlichen Lösungen ihrer Arbeitsverhältnisse
sowie Ansprechpartner und Interessenvertretungen in ihren
Institutionen.
Vera Riesenfeld arbeitet als
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Work Changes
Gender" (www.work-changes-gender.org).
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