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Alva Gehrmann
Die klügsten Männer der Welt
Politiker gehen zu VIVA und MTV und suchen die
Jugend
Politik ist langweilig. So sehen es viele Jugendliche. Auch Akay
von der Teenieband Overground winkt ab: "Momentan nicht" von
Interesse. Und Alexander Klaws, seines Zeichens deutsches
Popsternchen, findet: "Es ist super merkwürdig, dass geredet
und geredet wird, aber nichts passiert." Klaws ist süße
21 Jahre alt. Die Punkrockband "Die Ärzte" hört sich da
schon engagierter an: "Unser Plädoyer ist, dass die Leute sich
wirklich informieren und nicht den oberflächlichen
Behauptungen Glauben schenken sollen", sagt Sänger Farin
Urlaub. Der ist aber auch schon 41.
Die Musiker-Statements sind der Auftakt zur einstündigen
Polit-Talkshow "mitmischen.TV", die kürzlich beim Musiksender
Viva ausgestrahlt wurde. Politiker diskutieren in der Sendung mit
Jugendlichen über aktuelle Themen. "Misch dich ein und werde
ein Teil der Politik", heißt die Devise der zunächst
einmaligen Talkshow. Sie wurde in Kooperation mit dem Deutschen
Bundestag produziert.
Politiker bei Viva? Wieso nicht, denken sich die Abgeordneten.
Das gucken nun mal die Jugendlichen, und somit auch die
Erstwähler. Die Musiksender wiederum wollen der Jugend die
Politik näher bringen. "Viva möchte zeigen, dass man auch
politische Inhalte für ein jüngeres Publikum machen kann,
ohne in langweilige Diskussionen zu verfallen", sagt Stefan
Kauertz, Programmdirektor von Viva. Deshalb die Talkshow, die sie
"Viva-Elefantenrunde" nennen. Damit die Musikclip-gewohnten
Zuschauer keinen Schrecken bekommen, beginnt "mitmischen.TV"
erstmal mit poppigen, schnell geschnittenen Einspielern. Darin wird
auch Grundsätzliches erklärt. Sicher ist sicher. Etwa:
"Wofür ist so ein Bundestag eigentlich da?" oder "Was kann der
Bürger tun?"
Während die Filmchen laufen, hocken sie schon auf einer
großen Steintreppe im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, direkt
gegenüber vom Reichstag: 50 Jugendliche, vier Politiker und
ein Viva-Moderator. Einige der anwesenden Jugendlichen sind sogar
an Politik interessiert oder engagieren sich in der
Unweltorganisation BUND. Die Politikerseite wird vertreten von
Sabine Bätzing (SPD), Eckart von Klaeden (CDU), Katrin
Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, und
FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper. Alle lächeln
verschämt. Wenn Politiker und Jugendliche aufeinander treffen,
wirkt das zunächst befremdlich.
Dann geht's los: Warum antworten Politiker nie direkt auf
Fragen, warum gestehen Politiker keine Fehler ein, fragt
Viva-Moderator Klaas Heufer-Umlauf. "Ich könnte jetzt ein paar
Fehler eingestehen", kontert CDU-Politiker von Klaeden. Tut es aber
nicht, dafür ist keine Zeit, schließlich gibt's noch
weitere Themen zu diskutieren: den zunehmenden Rechtsradikalismus
zum Beispiel. Oder die Frage, ob es noch eine Wehrpflicht geben
sollte. Der Kampf gegen die Politikverdrossenheit geht weiter.
Schon während der Bundestagswahlen 2002 gaben Politiker
gerne Interviews fürs Musik-TV: Bildungsministerin Edelgard
Bulmahn, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Laurenz Meyer,
Cem Özdemir oder Gregor Gysi. Auch der Kanzler ließ sich
kurz interviewen. Zu sehen waren sie vor allem bei Viva Plus, dem
zweiten Viva-Kanal. Der war Anfang 2002 mit dem Anspruch gestartet,
das "CNN des Musikfernsehens" zu werden. Ihr Korrespondent Jan
Hendrik Becker stellte die Fragen und drehte gleichzeitig mit einer
kleinen Digitalkamera. "Wir waren dadurch visuel, aber auch
inhaltlich näher an den Politikern dran, als man es in der
Tagesschau sieht", sagt Jan Hendrik Becker.
Absoluter Höhepunkt im Wahljahr 2002: Der Auftritt von
Franz Müntefering bei "Interaktiv", der Live-Sendung auf Viva.
Dort traf der damals 62-jährige Fraktionsvorsitzende und
heutige Parteichef der SPD auf die 23-jährige Moderatorin
Sarah Kuttner. "Der eine oder andere hat sich vielleicht gefragt:
Who the fuck is Franz Müntefering?", kündigte sie ihn an.
Und fuhr dann fort: "Wir werden versuchen, das auf einem okayen,
verständlichen Niveau zu halten." Müntefering saß
zwar zunächst etwas versteinert in der knallbunten Kulisse,
gab sich dann aber doch forsch. Er forderte die Jugend auf, nicht
nur zu jammern, sondern auch selbst etwas zu tun: "Ihr habt noch
eine lange Strecke vor euch. Sorgt dafür, dass die Welt so
wird, wie ihr sie wollt."
Aber auch Müntefering hatte an diesem Tag etwas gelernt.
Die Viva-Moderatorin gab ihm einen Crash-Kurs in Sachen Popstar
Shakira: "Die war ewig auf Platz eins und ist eine Frau mit einem
Mordshintern. Hier für euch und Franz Müntefering:
Shakira."
Das Musikfernsehen hat den Anspruch, Sprachrohr der jungen
Zuschauer zu sein. "Es ist wichtig, dass beide Seiten ihre
Authentizität wahren können", sagt Jan Hendrik Becker.
"Deshalb sollte auch ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich
Politiker und Jugendlichen nicht verbiegen müssen."
Schöne Worte. Doch Anspruch und Wirklichkeit scheitern in der
Gegenwart am Geld. Viva Plus ist nur noch ein Abspielkanal für
Videos. Inhalte zu produzieren ist teuer.
Becker arbeitet heute als freier Journalist. Seine Firma
heißt "Poplitics" - die Verbindung von Pop und Politik ist
für ihn immer noch Thema. Auf der diesjährigen Musikmesse
Popkomm moderierte er eine Dis-kussionsrunde, die sich unter
anderem mit der Frage beschäftigte, wie und ob Pop politische
Themen - etwa Hartz IV - vermitteln kann. "Peinlich wird ein
solcher Talk nur, wenn beide Seiten nicht wissen, was sie
voneinander erwarten", sagt Becker.
Welchen Einfluss haben Musiksender auf Jugendliche? Können
sie wirklich etwas gegen die Politikverdrossenheit der Jugend tun?
"Ja, natürlich, so lange die Botschaft für die Zuschauer
zu 100 Prozent nachvollziehbar und glaubwürdig ist", sagt
MTV-Programmchef Elmar Giglinger. "Mit Dampfplaudereien kommt man
bei unserer Zielgruppe nicht weit." Die Zielgruppe, das sind die
14- bis 29-Jährigen.
Das Potential von Musiksendern hat auch der Bundespräsident
erkannt und zur Eigeninitiative gegriffen. "Horst Köhler hat
eine generelle Anfrage gestellt, ob er in eine unserer Sendungen
kommen kann", bestätigt der MTV-Programmchef. Sofern
Köhler sich ungeschönten Fragen stelle, sei er jederzeit
willkommen. Ein Bundespräsident zwischen Musikclips und
Handy-Klingelton-Spots? Eine schräge Kombination? Die
Zuschauer dürfen gespannt sein.
Politisch wurde es im Programm von MTV in der jüngsten
Vergangenheit auch ohne oberste deutsche Staatsspitze. MTV
Deutschland zeigte vor den amerikanischen
Präsidentschaftswahlen das US-Format "Choose or Lose". Mit der
Show wollte der Musiksender in den USA die Zahl der
Wählerregistrierungen erhöhen. Die Botschaft: Mit eurer
Stimme könnt ihr die Zukunft gestalten. Superstar Christina
Aguilera erklärte in einer Folge, welche Ansichten John Kerry
oder George W. Bush zum Thema Abtreibung und Kinder-erziehung
haben.
Auch deutsche Stars entdecken nach einer eher unpolitschen Phase
in den 90ern die Politik wieder. "Es gibt definitiv wieder einen
stärkeren Trend zu politisch motivierten Songs", sagt
MTV-Programmchef Giglinger. Allen voran die Punkrockband "Die
Ärzte". "Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist, wie
sie ist. Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt", ist
eine Liedzeile aus dem Song "Deine Schuld". Im aktuellen Video
besingen sie ironisch Politiker als "Die klügsten Männern
der Welt". Der Clip endet mit dem eingeblendeten Kommentar:
"…und trotzdem: Nicht wählen hilft den Falschen."
Jugendforum des Deutschen Bundestags:
www.mitmischen.de
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