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Ines Gollnick
Der Zuhörer: Swen Schulz
Parlamentarisches Profil
Fragen nach einer Selbsteinschätzung bergen für
Interviewer so ihre Risiken. Der Sozialdemokrat Swen Schulz nennt
als eine seiner Stärken: "Gesprächsfähigkeit, man
muss mal auf Empfang stellen können, nicht nur auf Senden."
Schulz hat nach mehr als zwei Jahren im Deutschen Bundestag auf
jeden Fall eines für sich festgestellt: "Man kann nicht durch
die Gegend rennen und sagen, ich bin der Abgeordnete und weiß
eh alles besser und erkläre euch die Welt!" Er stellt seine
Sinne beispielsweise auf Empfang, wenn er in seinem Berliner
Wahlkreis Spandau/Charlottenburg-Nord Arbeitslose zum Kaffee
einlädt, um zu erfahren, was den Leuten unter den Nägeln
brennt, wenn er eine Präventionsmesse initiiert, um mit Rat
suchenden und Experten wie Kinderärzten und helfenden
Institutionen über Kindergesundheit zu diskutieren oder am
"Girlsday" wie im Frühling 2004 mit sieben Mädchen aus
seinem Wahlkreis ausführlich in einem Intensivprogramm
über Berufsbilder in der Politik spricht.
Schulz ist einer der Jungen in der SPD, 34 Jahre alt, studierter
Politologe, Abschlussnote sehr gut. Politik sei seine Leidenschaft,
sagt er in sachlichem Ton im Gespräch mit "Das Parlament",
doch seine Biografie belegt diese Vorliebe. Nach dem Studium war er
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Europaabgeordneten Dagmar
Roth-Behrendt, anschließend vier Jahre Büroleiter beim
Bundestagsabgeordneten Wolfgang Behrendt, bevor er beruflich der
Politik den Rücken kehrte und bei einem Verlag seine
Brötchen verdiente. Ehrenamtlich mischte er allerdings in der
Spandauer SPD und als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung
Spandau weiter mit.
Wahnsinnig viel gelernt habe er in der Zeit als Mitarbeiter von
Parlamentariern, vor allem selber eine Einstellung zu finden, zum
Beispiel die: "Das kannst du eigentlich auch." Das klingt
keineswegs überheblich, diese Position ist das Resultat
reiflicher Überlegung. Blauäugig kam er also nicht ins
Parlament, wo er im Petitionsausschuss und im Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und als
Stellvertreter im Sportausschuss arbeitet. Als Berichterstatter
für Raumfahrtforschung der SPD ließ er sich auf ein Feld
ein, mit dem er vorher nie zu tun hatte. "Ich bemühe mich
jedoch, die breite Themenpalette Bildung und Forschung zu
bearbeiten." Engagiert er sich nicht für die Förderung
und Stärkung der nationalen Raumfahrtpolitik, geht es ihm um
Themen wie das Ausbildungsplatzsicherungsgesetz oder das
Gesundheitsmodernisierungsgesetz, wie Gesetzesvorhaben gelegentlich
im Bürokratendeutsch heißen.
Swen Schulz übersetzt das erste so: "Da geht es darum, wie
wir berufliche Bildung strukturieren, welche Rolle die betriebliche
Ausbildung gegenüber dem schulischen Teil spielt. Das sind
sehr wichtige Fragen, zu denen mich in meinem Wahlkreis
Gewerkschaften, Berufsschulen und Unternehmen ansprechen." Der
Petitionsausschuss ist oftmals Pflicht für Parlamentsneulinge,
wo sie sich direkt mit Eingaben von Bürgern konfrontiert
sehen. "Es ist sehr wichtig, dass sich der Bundestag direkt mit
Anliegen der Bürger auseinandersetzt. Das ist der
Realitätstest von Politik. Nicht wenige politische Korrekturen
hatten ihren Ursprung in Petitionen." Der Youngster mit der
dezenten Brille und der hörfunktauglichen Stimme wollte
Politikberater werden, so ein "hochkarätiger Kanzlerberater,
Strippenzieher im Hintergrund", schmunzelt er. Es kam anders. Jetzt
entscheidet er mit. "Für mich vergleiche ich die Gelegenheit,
MdB zu sein, mit der Situation des Profifußballers, der schon
immer Spaß am Fußball hatte. Jetzt habe ich die
sensationelle Gelegenheit, meine Lieblingsbeschäftigung den
ganzen Tag auszuüben und damit meinen Lebensunterhalt zu
verdienen."
Er vermittelt glaubhaft den Eindruck, dass er seine Sache als
Abgeordneter gut machen will. Er ist durchaus froh darüber,
dass mittlerweile Botschaften, die weit in die Zukunft reichen, bei
den Menschen wieder besser vermittelbar sind. Inzwischen sei auch
bei den Medien ein Stück weit mehr Sachlichkeit eingetreten,
so der Eindruck von Schulz. Zu seinem Politikverständnis
gehört, Menschen und ihre Ängste und Gefühle Ernst
zu nehmen. "Man muss in der Lage sein, eigene Positionen immer
wieder zu hinterfragen. Wenn ich ein Gesetz beschließe, mache
ich das nach bestem Wissen und Gewissen, aber es muss nicht der
Weisheit letzter Schluss sein. Man muss offen sein für
Argumente, die zu Verbesserungen führen können."
Dass sich für ihn jetzt Politik manchmal ganz anders
darstellt als im akademischen Elfenbeinturm, ist nicht weiter
überraschend. Trotzdem stört es ihn, dass zumindest in
seinem Hauptausschuss Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung nicht immer um die beste Lösung
gerungen würde. Gerade wenn die Kameras ausgeschaltet und die
Medienvertreter außen vor sind, sollte es vorkommen, dass ein
Oppositionspolitiker die Bundesregierung lobe oder ein
Regierungsabgeordneter die eigene Regierung kritisiere. Sein
Eindruck ist dagegen, dass die Plenardebatten, die nach der
Ausschusssitzung anstehen, "geprobt" würden. "Da wird relativ
wenig sachlich dis-kutiert, es gibt rühmliche Ausnahmen."
Schulz versteht sein Mandat als große Verpflichtung. Das
wird ihm vor allem auch dann bewusst, wenn er mit Bürgern und
Bürgerinnen Führungen im Reichstagsgebäude macht,
den Gästen die große Historie des Gebäudes
vergegenwärtigt und von Politikern berichtet, die vor ihm
für Freiheit und Demokratie gestritten und gelitten haben.
Gerade mal zehn Jahre ist es her, dass er selbst mit der
praktischen Politik in Berührung kam. Jetzt hat er einen
Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut übernommen, um
Politikwissenschaftsstudenten bei der Berufsfeldspezialisierung zur
Seite zu stehen. In seinem Seminar geht es um Politikberatung im
Bereich der Bildungsfinanzierung. Bei aller Freude ganz oben im
Politikbetrieb dabei zu sein. Ein Wermutstropfen bleibt: Wenig Zeit
für die Familie, die in seinem Fall neudeutsch
Patchworkfamilie heißt. Er und seine Lebensgefährtin
haben die Verantwortung für drei Kinder, zwei brachte seine
Freundin mit, eines haben sie gemeinsam. Und auch dort heißt
es immer wieder auf Empfang stellen und gut zuhören
können.
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