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Johanna Metz
Wenn Täter wie Banker auftreten
Organisierte Kriminalität
In Neapel brodelt es gewaltig. Diesmal ist es nicht der Vesuv,
der mit glühendem Lavaregen die Bewohner der
süditalienischen Stadt in Aufruhr bringt, es sind die
Killerkommandos der Camorra. Schon seit Monaten liefern sich
rivalisierende Gruppen des mächtigen Mafia-Clans einen
erbitterten Kampf um die Vorherrschaft im Rauschgifthandel. Seit
Jahresbeginn wurden mehr als 100 Morde verübt, Stadtverwaltung
und Polizei sind machtlos. Camorra-Gangs beherrschen längst
ganze Straßenzüge, die Bürger haben Angst gegen die
Paten auszusagen.
Von solchen Zuständen sind wir in Deutschland weit
entfernt. Oder doch nicht? Eine Frage, über die am 8. Dezember
in Berlin der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg
Ziercke, der Publizist Jürgen Roth und der Kriminologe
Jörg Kinzig auf dem Max-Planck-Forum zum Thema "Schlepper,
Schieber, Drogenhändler - Organisierte Kriminalität in
Deutschland" diskutierten. Die deutschen Medien sind sich offenbar
schon einig: Wie selbstverständlich ist da von der Russenmafia
die Rede, von Drogenkartellen, albanischen Schleuserbanden und
Kurden-Clans. Mafia-Paten sollen inzwischen die Macht über
ganze Stadtbezirke haben. Aber stimmt dieses Bild?
Nein, sagt BKA-Chef Ziercke, Organisierte Kriminalität gebe
es wohl, aber keine Mafia wie in Italien. Und auch der
Max-Planck-Wissenschaftler Jörg Kinzig, der gerade eine
umfassende Untersuchung zu den Erscheinungsformen und der
rechtlichen Bewältigung Organisierter Kriminalität
vorgelegt hat, betont, die kriminellen Organisationen in
Deutschland seien nicht sehr zahlreich und nicht mal besonders
groß.
Aber trotz aller Zurückhaltung ist Organisierte
Kriminalität auch in Deutschland ein Thema. 2003 richtete sie
einen Schaden von mehr als 500 Millionen Euro an. Über 2.500
Ermittlungskräfte sind deutschlandweit mit der Bearbeitung der
Verfahren beschäftigt. Und die Täter machen satte
Gewinne. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten sie insbesondere
durch den Handel mit Rauschgift, durch Kfz-Verschiebungen und
Anlagebetrügereien geschätzte 467 Millionen Euro Gewinn.
Die Wirtschaftskriminalität ist dabei besonders ertragreich.
Sie macht mittlerweile - nach Rauschgifthandel und
Eigentumskriminalität - den drittstärksten Bereich
Organisierter Kriminalität in Deutschland aus. Daher haben
auch Korruptionsdelikte eine deutliche Steigerung erfahren. Die
Antikorruptions-Organisation Transparency International (TI)
fordert daher schon lange eine bessere Ausstattung der
Staatsanwaltschaften und ein bundesweites Korruptionsregister, dass
vor schwarzen Schafen warnen soll. Außerdem verweist TI auf
hervorragende Erfahrungen mit so genannten "integrierten
Ermittlungsstellen" in Schleswig-Holstein, in denen Polizei,
Staatsanwaltschaft und Fachleute, zum Beispiel für
Steuerfahndung oder Vergabewesen, unter einem Dach zusammenarbeiten
- ein Konzept, das auch für andere Bereiche der Organisierten
Kriminalität sinnvoll wäre. Der Aufwand lohnt, denn wie
man weiß, wächst mit steigendem Fahndungsdruck auch die
Zahl der ermittelten Fälle. Der Staat kann sich so zumindest
einen Teil der fetten Beute zurückholen.
Doch das Gegenteil wird praktiziert. Zwar sinkt die Zahl der
ermittelten Straftaten im Rahmen Organisierter Kriminalität,
aber, so räumt selbst der Lagebericht des BKA ein: "Aus dem
Rückgang bei den Ermittlungsverfahren kann kein Rückgang
der Organisierten Kriminalität gefolgert werden. Die
Lageerkenntnisse sind vielmehr vom Ressourceneinsatz und dem
Ausmaß und der Intensität der Strafverfolgung
abhängig." Jürgen Roth, Autor des gerade erschienenen
Buches "Ermitteln verboten", kritisiert das aufs Heftigste. Es gebe
viel zu wenig Personal, um der Gefahr der Organisierten
Kriminalität wirkungsvoll entgegenzutreten, findet er, und
auch Jörg Kinzig, der für seine Studien zahlreiche
Verfahren begleitete, hat fundamentale Schwächen aufgedeckt,
so auch bei den verdeckten Ermittlern: Da würden viele
Männer mit langen Haaren und Lederhose ins Rotlichtmilieu
geschickt, doch es fehle letztlich am "Banker mit Laptop", um auch
die Wirtschaftskriminalität in den Griff zu bekommen, betont
er. Nun, eine Überwachung der Täter ist tatsächlich
schwierig. Die kriminellen Netzwerke agieren weltweit, Täter
verschwinden ins Ausland, benutzen teilweise bis zu 70 Handys.
Der Publizist Roth hält es deshalb für fatal, an den
Ermittlern zu sparen: "Wir reden ja schließlich nicht
über Kleinkriminelle, sondern über organisierte Gruppen,
die sogar Einfluss auf Wirtschaft und Politik nehmen." Er nennt
Beispiele: In Düsseldorf hätten türkische und
kurdische Gruppen die Macht über den gesamten Heroinmarkt.
Russen und Albaner drängen mit Gewalt in den Markt. Berichten
des Bundesnachrichtendienstes zufolge walte im Hamburger
Rotlichtbezirk ein "Pate", ein Albaner, lange gern gesehener Gast
auf Partys der Stadt. Damals war Ronald Schill noch Innensenator.
In seiner Amtszeit ging es den kleinen Drogendealern an den Kragen,
die dicken Fische blieben häufig verschont. Am Rande der
Veranstaltung spricht Roth dann von "prinzipiellen
Überschneidungen" zwischen Organisierter Kriminalität und
Politik. "Politiker gehen doch auch mal in den Puff", sagt er, das
mache sie unter Umständen erpressbar. Bei
Milieugrößen sei man, so Roth, daher gern mal
nachsichtig. "Diese Leute sind Unternehmer", erklärt er. "Die
sind reich, zahlen viele Steuern." Und haben intimste
Informationen.
Zieht die Organisierte Kriminalität also auch in
Deutschland ihre Kreise? Gibt es bereits Parallelwelten, in denen
halbseidene Gestalten in großem Stil morden, betrügen,
dealen? Straßenstriche, in denen einflussreiche Clans eine
Gegenmacht zum Staat errichtet haben? Ganz erwehren kann man sich
des Eindrucks nicht, auch wenn die staatlichen Behörden dieses
Szenario negieren. "Deutschland ist nicht die Insel der
Glückseligen", meint dazu Jürgen Roth, und
tatsächlich muss wohl angenommen werden, dass die
Globalisierung auch der Organisierten Kriminalität den
Horizont erweitert hat.
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