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Renate Gradistanac
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD
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Offener Brief zum offenen Brief von Manfred Bauer vom 04.06.03

Sehr geehrter Herr Bauer,

alle sind sich einig: Bürokratieabbau und Reformen sind notwendig. Sobald es aber im Rahmen des Masterplans Bürokratieabbau an die Umsetzung geht, kommt als Antwort: Veränderungen ja, aber nicht bei mir!

Als langjähriges und überzeugtes SPD-Mitglied frage ich Sie: Wo waren Sie, als innerhalb der SPD die Reform der Handwerksordnung diskutiert wurde? In welcher SPD-Veranstaltung haben Sie sich kritisch geäußert? In Volksparteien sind selbstverständlich auch Lobbyisten Mitglieder. Und das ist auch gut so. Diese vertreten aber die Interessen Einzelner bzw. bestimmter Gruppen. Als Volksvertreterin bin ich dem Gemeinwohl verpflichtet und vertrete die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises.

Im Gegensatz zu Ihnen bin ich für die Reform des Handwerksrechts. Warum? Das wäre Ihnen weniger schleierhaft, wenn Sie sich an der Diskussion um die Novelle beteiligt hätten. So aber antworte ich Ihnen gerne in einem offenen Brief. Die Handwerksordnung ist - trotz einiger kleinerer Novellen - praktisch seit 50 Jahren unverändert geblieben. Unstrittig ist daher, dass es Reformbedarf gibt. Die Modernisierung des Handwerksrechts - übrigens nicht nur im Bereich des Meisterbriefes - ist notwendig, um die Handwerksordnung zukunftssicher und europatauglich zu machen.

Mit der Reform wird der Meisterbrief nicht abgeschafft. Er bleibt als Qualifikationsnachweis erhalten. Meisterbetriebe können sich gegenüber den Verbrauchern weiterhin durch dieses Gütesiegel auszeichnen. In nicht gefahrengeneigten Berufen wird zukünftig eine Selbständigkeit ohne Meisterbrief zugelassen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen unterstützt und begrüßt diese Neuordnung. In nicht gefahrengeneigten Berufen wird zudem die sogenannte Inländerdiskriminierung beseitigt. Das bedeutet, dass die deutschen Handwerker zukünftig nicht mehr stärker reguliert werden als andere europäische Handwerker, die sich gemäß EU-Recht ohne Meisterprüfung bei uns selbständig machen können.

Warum stellt das Handwerk nicht den - freiwillig erworbenen - Meisterbrief als Gütesiegel heraus, das den Verbrauchern zur Orientierung dient, anstatt Blockadepolitik zu betreiben? Warum wird bei Berufen, bei deren Ausübung keine Gefahren für die Gesundheit und das Leben entstehen können, weiterhin auf Zwang gesetzt anstatt auf das Prinzip der Freiwilligkeit, das von den Unternehmern und Handwerkern in anderen Zusammenhängen doch so sehr betont wird? Erinnert sei hier an das Bündnis für Arbeit und die Diskussionen zur Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft oder aktuell zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe.

Warum sollten keine Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung gestellt werden? Warum erwecken Sie, Herr Bauer, den Eindruck, es werde zukünftig quasi ein Gnadenakt des Handwerkers sein, eine Ausbildungsstelle einzurichten? Ausbilden heißt, in die Zukunft zu investieren. Ein vorausschauender Unternehmer und Handwerker ist sich dessen bewusst. Sein Eigeninteresse an qualifizierten Mitarbeitern wird doch nicht reformiert oder gar abgeschafft. Der Leistungsstand und die Ausbildungsleistung im Handwerk werden auch weiterhin durch die geregelte Aus- und Fortbildung, DIN-Vorschriften, Unverfallverhütungsvorschriften und Haftungsvorschriften gewährleistet.

Warum reden Sie als Handwerksmeister die eigenen Gesellen schlecht? Diese beweisen doch tagtäglich, dass sie qualitativ gute Arbeit leisten. Die Entscheidung, ob sich jemand in seinem Beruf engagiert oder dort mit ihren Worten die „bloße Praxis“ ohne nennenswerte Steigerung seiner Fähigkeiten ausübt, trifft doch jeder Einzelne für sich selbst - und zwar unabhängig von der Ausgestaltung der Handwerksordnung. Natürlich ist die Bereitschaft zur Fortbildung eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Muss ich hier wirklich betonen, dass die erworbenen Fachkenntnisse zwar als Grundlage für eine selbständige Tätigkeit unabdingbar sind, aber allein nicht ausreichen? Für eine erfolgreiche Existenzgründung müssen selbstverständlich auch kaufmännisches Grundlagenwissen und Kenntnisse in bestimmten Rechtsgebieten erworben werden. Schlichtweg falsch ist in diesem Zusammenhang übrigens Ihre Aussage, dass sich mit der Reform zukünftig jeder Geselle nach dem Erwerb des Gesellenbriefes selbständig machen kann. In gefahrengeneigten Berufen wird dies ohne Meisterbrief frühestens nach 10 Jahren Berufserfahrung möglich sein. Davon müssen mindestens 5 Jahre Aufgaben in herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stellung ausgeübt worden ein.

Ihre Schilderung ist gerade ein Beispiel dafür, warum die Reform der Handwerksordnung notwendig ist. Zur Stärkung des Gütesiegels Meisterbrief hat die SPD-geführte Bundesregierung in der vergangenen Wahlperiode das Meister-BAföG reformiert. Der Kreis der Geförderten und der Anwendungsbereich der Förderung wurden erweitert. Die Leistungen wurden insgesamt erheblich verbessert. Sie haben in meinem Bürgerbüro bezüglich den Voraussetzungen zur Gründung einer Ich-AG angefragt. Zumindest scheinen Sie diesen Aspekt unserer Reformen zu begrüßen - wenn auch nicht öffentlich.

Mit freundlichen Grüßen

Renate Gradistanac MdB