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Termin: 16. Februar 2005, 17.15 bis 18.00 Uhr
Haushalt 2005: Schicksalsbuch oder Luftschloss?
Der von Finanzminister Hans Eichel vorgelegte Haushalt 2005 entzweit das Parlament. „Realistisches Schicksalsbuch der Nation“ heißt es auf der einen Seite, „unseriöses Luftschloss“ auf der anderen. BLICKPUNKT BUNDESTAG führte über den Haushaltsentwurf ein Streitgespräch mit der haushaltspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Antje Hermenau, und dem Haushaltsexperten der CDU/CSU-Fraktion, Dietrich Austermann.
Blickpunkt Bundestag: Ist der Etatentwurf eine Anreihung von Lücken, Löchern und Luftbuchungen, wie die Opposition behauptet?
Antje Hermenau: Er ist zunächst einmal eine Art Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik Deutschland. Sicher ist nicht alles, was dort aufgeschrieben steht, eins zu eins berechenbar. Es bleiben Unsicherheiten und Risiken. Das hat damit zu tun, dass wir in vielen Bereichen im Umbruch sind. Deshalb kann man weder von Schicksalsbuch noch von Luftschloss reden. Der Haushalt ist die Beschreibung einer Baustelle.
Dietrich Austermann: Wenn Hans Eichel beim letzten Haushalt davon sprach, der sei „auf Kante“ genäht, ist ihm jetzt die Hose geplatzt. Der Haushalt ist derart mit Risiken überfrachtet, dass man nicht mehr erkennen kann, was davon beherrschbar sein soll. Deshalb rate ich, den Haushalt zurückzuziehen und einen neuen, die Risiken richtig bewertenden Etat vorzulegen. Sonst erleben wir immer neue negative Überraschungen.
Blickpunkt: Wäre das eine Lösung, Frau Hermenau?
Hermenau: Nein, Verschiebungen bringen nichts. Es ist politisch wichtig, den Haushalt noch vor Weihnachten zu verabschieden. Aber richtig ist, dass wir noch einige wichtige Veränderungen vornehmen müssen. Da ist sicherlich auch der Mut der Koalitionshaushälter gefragt.
Blickpunkt: Zeigt der Blick auf den laufenden Haushalt, bei dem trotz einer Neuverschuldung von 29 Milliarden Euro wieder eine zweistellige Milliardenlücke klafft, dass man skeptisch gegenüber den Berechnungen des Finanzministers sein muss?
Austermann: Seit 2002 hat es immer milliardenschwere Abweichungen gegeben. Das hat mit seriöser Haushaltsplanung nichts mehr zu tun. In diesem Jahr werden zwölf bis 15 Milliarden Euro fehlen. Im nächsten und in den folgenden Jahren rechnen wir mit einem strukturellen Defizit von etwa 40 Milliarden Euro. Welchen Sinn macht da noch das Feilschen im Haushaltsausschuss um wenige 100.000 Euro? Das gesamte Zahlenwerk ist in Unordnung!
Hermenau: Es stimmt, dass wir insgesamt einen reichlich großen Rucksack auf den Schultern tragen. Das hat sich seit 30 Jahren aufgebaut. Und alle Parteien sind daran schuld. Wichtig ist, jetzt zu überlegen, wie man das strukturelle Defizit abbaut. Die Ausgabenstruktur des Bundes ist sehr konjunkturanfällig. Wenn die nicht richtig anspringt, potenziert das die Probleme, die man ohnehin schon hat. Deswegen müssen wir raus aus dieser Falle.
Blickpunkt: Eine große Klippe für den Etat ist seine Verfassungsmäßigkeit. Die ist nur gegeben, wenn die Investitionen höher sind als die Neuverschuldung. Im Haushaltsentwurf 2005 liegt gerade mal eine Differenz von 800 Millionen Euro zwischen diesen beiden Polen, zugleich drohen aber durch die Nachbesserungen bei Hartz IV Zusatzbelastungen von 2,2 Milliarden, die Opposition sagt fünf Milliarden Euro. Wie will die Koalition aus dieser Zwickmühle herauskommen?
Hermenau: Das wird genau die heiße Debatte dieses Herbstes werden. Sicherlich wird eine globale Minderausgabe diskutiert werden. Aber es wäre eine Illusion, zu glauben, dass sie fünf Milliarden Euro umfassen könnte. Deshalb wird man noch andere Wege finden müssen. Einfach auf höhere Steuereinnahmen zu setzen, da wäre ich nach den Erfahrungen der letzten Jahre vorsichtig. Vielleicht müssen wir auch die Debatte um den Subventionsabbau noch einmal aufwärmen.
Austermann: Frau Hermenau beschreibt die Probleme, löst sie aber nicht. Festzuhalten bleibt: Der Haushaltsentwurf ist nur künstlich verfassungsgemäß. Die Verschuldung wird mit Sicherheit die Verfassungsgrenze übersteigen. Das bedeutet, dass schon die Vorlage verfassungswidrig ist. Ein Finanzminister, der einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegt, hat seine Aufgabe nicht erfüllt. Mit globalen Minderausgaben werden wir nicht weiterkommen. Wir müssen wirklich an alles ran. Auch an die Subventionen. Allerdings nicht so wie die Koalition, die bei der Kohle im letzten Herbst statt Subventionen zu kürzen, rund 16 Milliarden Euro draufgesattelt hat.
Blickpunkt: Ist ein verfassungswidriger Haushalt nicht eine Bankrotterklärung für die Koalition?
Hermenau: Ich will uns nicht herausreden – aber die Probleme haben sich wirklich seit Jahrzehnten aufgebaut. Die öffentliche Hand insgesamt – egal ob Bund oder Länder – lebt im Durchschnitt ein gutes Drittel über dem, was sie einnimmt. Klar aber ist, dass die Koalition einen verfassungsmäßigen Haushalt vorlegen muss und wird.
Blickpunkt: Setzt Rot-Grün dabei auf das Prinzip Hoffnung?
Hermenau: Nein, wir arbeiten hart für einen ausgeglichenen Haushalt. Und wir haben das Thema Neuverschuldung in der Gesellschaft sogar sehr bewusst problematisiert, obwohl wir selbst dabei mit am Pranger stehen. Denn es darf nicht mehr so weiter gehen, dass wir die Gesellschaft überschulden auf Kosten der nachfolgenden Generationen.
Austermann: Tatsächlich werden uns die Probleme nicht allein lassen. Im nächsten Jahr soll das Defizit ja dadurch gemildert werden, dass Bundesvermögen in der Größenordnung von 15 Milliarden Euro verkauft wird. Das ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, weil so viel Bundesvermögen gar nicht mehr da ist. Und was macht man im Jahr 2006 und danach? So geht es wirklich nicht.
Blickpunkt: Frau Hermenau, sagen Sie bitte, was noch privatisiert werden kann. Ist es nicht voreilig, auch noch das letzte Tafelsilber zu verscherbeln?
Hermenau: Ich gebe zu, dass dies ein riskantes Manöver ist. Ich kann aber nachvollziehen, dass eine SPD, die mit den Hartz-IV-Reformen versucht, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und sich dabei fast an den Rand der eigenen politischen Existenz gebracht hat, auch auf diese Karte setzt. Für mich ist das Problem eher die fehlende Kooperation der CDU/CSU.
Blickpunkt: Trägt die Opposition Mitschuld an der miesen Haushaltslage, weil sie beim Subventionsabbau nicht genügend mitgezogen hat?
Austermann: Der Eindruck ist falsch. Wir haben immer gesagt, dass wir zum Subventionsabbau bereit sind. Wir haben das auch unter Beweis gestellt und Milliardenkürzungen mitgetragen. Leider gelten einige Verabredungen heute bei der Koalition nicht mehr, zumindest nicht beim Finanzminister.
Blickpunkt: Entscheidend für die reale Kassenlage wird die Wirtschaftslage im nächsten Jahr sein. Ist es gerechtfertigt, mit einem Aufschwung und mit höheren Steuereinnahmen zu rechnen?
Hermenau: Die Minister Hans Eichel und Wolfgang Clement halten ja nicht den Finger nass in den Wind und gucken, woher der Wind weht. Grundlage für den Optimismus sind seriöse Prognosen etwa von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Auch ich glaube daran, dass die Wirtschaft eine Chance hat, sich zu erholen. Das hängt aber auch davon ab, ob die Unternehmer Vertrauen fassen in die finanz- und arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen und ob diese auch gut und sauber von der CDU/CSU mitvertreten werden. Dann nämlich ist den Unternehmen klar, dass sie nicht mehr revidiert werden, egal was 2006 gewählt wird. Das halte ich für wichtig.
Austermann: Kontraproduktiv zu den Konjunkturhoffnungen ist der Zickzackkurs, mit dem die rot-grüne Koalition ihre Reformpolitik verfolgt. Daraus ist ein allgemeines Misstrauen entstanden und das Vertrauen in die politisch Handelnden erschüttert. Wenn wir Glück haben, können wir mit einem Wachstum von maximal zwei Prozent rechnen. Doch das reicht für wirkungsvolle Steuermehreinnahmen nicht aus.
Blickpunkt: Welche Rolle spielt eigentlich noch der Stabilitätspakt? Dreimal in Folge wurde die Defizitgrenze schon gerissen, soll das zum Gewohnheitsrecht auch für 2005 werden?
Hermenau: Natürlich nicht, die Lage ist ja jetzt schon peinlich genug.
Austermann: Brüssel arbeitet ja an einer „Lex Eichel“, die bedeutet, dass Deutschland an einer etwas längeren Leine laufen kann. Ich halte es für einen Skandal, dass wir unsere Finanzen so in Unordnung gebracht haben, dass wir in Europa der entscheidende Sünder sind.
Das Gespräch führte
Sönke Petersen.
Fotos: Phalanx Fotoagentur
Reden Sie mit beim Thema
„Haushalt”:
Dietrich Austermann, CDU/CSU:
dietrich.austermann@bundestag.de
Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen:
antje.hermenau@bundestag.de
Redaktion:
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