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Talk im Knast:
Ihre
Meinung ist gefragt. Diskutieren Sie auf
www.mitmischen.de mit den
Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz
(SPD) und Roland Gewalt (CDU/CSU) sowie
mit jugendlichen Straftätern über Jugendstrafrecht und
Jugendkriminalität.
Termin: 16. Februar 2005, 17.15 bis 18.00 Uhr
Lebens-Mittel...
Beim Öffnen der Tagespost findet die Abgeordnete zwei große, kugelrunde, blutrote Nasen. Die damit verbundene Einladung wird sie annehmen. Es ist nicht die erste dieser Art und wird auch nicht die letzte sein.
Das könnte der Beginn eines Kriminalstücks werden. Die Lösung des Falls erfolgt selbstverständlich am Schluss. Zuerst aber erfährt man, wer die Hauptperson ist und was sie an diesem fast nicht enden wollenden Tag macht.
Sie hat sich morgens für Schwarz entschieden, aber weniger der Dramatik wegen, sondern weil sie gern Schwarz trägt. Lichttupfer setzt der Schmuck. Sie ist gut gelaunt und kommt morgens 8.30 Uhr ins Büro. Ihre Mitarbeiterinnen Ulrike Philipp und Olivia Schmallenbach sind bereits da. Der Terminkalender für den Tag wird gemeinsam auf Tauglichkeit geprüft. Allen Beteiligten ist klar, dass er auch jetzt nur den Charakter der Vorläufigkeit hat. Aber es gibt ein paar Angelegenheiten, die wird sich die Abgeordnete auf keinen Fall nehmen lassen: wichtige Plenardebatten, klärende Gespräche, eine Einladung am Abend.
Die 38-jährige Kölnerin hat mit Beginn dieser Legislaturperiode – ihrer zweiten – einen neuen, sehr umfangreichen Aufgabenbereich übernommen. Sie ist Beauftragte ihrer Fraktion für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ordentliches Mitglied im entsprechenden Ausschuss, zudem Beisitzerin im Vorstand der CDU/CSU-Fraktion.
Verbraucherschutz ist ein Thema, dessen Spannbreite einen schon erschrecken könnte. Verbraucher sind hier zu Lande alle, und wenn man es mal genau betrachtet, dann geht es hier um die Zahnpasta, die morgens aus der Tube kommt, um den günstigen Telefontarif, der mittags per Prospekt angeboten, und um die geschälten Tomaten, aus denen abends ein Sugo gezaubert wird. Um 9.12 Uhr betritt die Abgeordnete den Plenarsaal. Ein Geschäftsordnungsantrag ihrer Fraktion ist aufgerufen, mit dem die Abgabe einer Regierungserklärung zur Konzeption und Weiterentwicklung der Bundeswehr gefordert wird. Um 9.26 Uhr ist die Debatte beendet, der Antrag abgelehnt, wird die erste Lesung des Telekommunikationsgesetzes aufgerufen. Ursula Heinen wechselt ein paar Reihen weiter nach vorn – was hier beraten wird, hat explizit mit Verbrauchern zu tun. Sie sind Kunden und auf Angebote angewiesen. Ein neues Gesetz wird den Markt anders regeln – zu ihren Gunsten oder zu ihrem Nachteil. Dafür sind die Abgeordneten zuständig.
Um 10.50 Uhr verlässt Ursula Heinen den Plenarsaal und geht zu einer Verabredung ins Abgeordnetenrestaurant im Reichstagsgebäude. Sie trifft die Fraktionsmitarbeiterin Cordula Horneffer, um mit ihr über einen Antrag zu reden, der für wirksamere Lebensmittelüberwachung im Sinne des Verbraucherschutzes steht. Einen Tag zuvor hatte es einen Bericht der Bundesregierung zum Thema im Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gegeben. Ursula Heinen hat einen Plan: Das muss rein in den Antrag, die Frage der Finanzierung sollte angesprochen werden, Futtermittelüberwachung gehört dazu, ein Vorschlag für den Zeitablauf ebenso. Also dann bis Dienstag, da muss der Antrag fertig sein.
Eigentlich wollte man jetzt noch über die Vorbereitung eines Pressegespräches über Schönheitsoperationen reden. Da fehlt vorerst noch die Dritte in der Runde. Das Geschäft mit den Träumen von Schönheit und Jugend boomt in Deutschland. Eine Million Operationen im Jahr, darin enthalten eine Menge Pfusch, denn noch kann sich fast jeder Arzt Schönheitschirurg nennen. Die Frage ist, ob die Politik hier Regelungen zum Schutz der Verbraucher treffen kann. Ursula Heinen lächelt und sagt, manchmal sei sie selbst überrascht, was alles zu ihrem neuen Aufgabenbereich dazugehört.
Um 11.20 Uhr ist die Abgeordnete wieder im Büro, wo Herr Mahlstedt von der Katholischen Erziehergemeinschaft Deutschlands auf sie wartet und mit ihr über Betreuungsangebote für Kinder bis zu drei Jahren reden will. Ihr bleiben bis dahin noch zehn Minuten, die sie mit Telefonaten verbringt. Egal, wie knapp die Zeit bemessen ist, Ursula Heinen erweckt beim Telefonieren stets den Eindruck von Gelassenheit und großer Zugewandtheit. Zeit- und Termindruck bleiben ihre Sache, die Gesprächspartner sollen darunter nicht leiden.
Zur Mittagsstunde findet im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ein Essen und ein Gespräch mit einer niederländischen Delegation statt. Auch hier geht es um Landwirtschaft, Ernährung, Verbraucherschutz. Die Gäste werden die am nächsten Tag beginnende Verbrauchermesse „Grüne Woche“ besuchen. Kurz nach zwei ist Ursula Heinen wieder im Büro. Um halb drei ist Teamsitzung und bis dahin bleibt wieder Zeit, mit Parteikollegen im Wahlkreis zu telefonieren. Teamsitzung ist Aufbauprogramm und Arbeit zugleich. Vier Frauen sitzen um einen Tisch und besprechen die Arbeit der nächsten Wochen. Papierstapel werden abgearbeitet, Termine hin- und hergewendet, Zu- und Absagen diskutiert. Es geht um Parkplatzprobleme in einem Wohnquartier der Heimatstadt Köln, Vorbereitungen von Ausschusssitzungen, einen neuen Praktikanten, Gesetzesvorlagen, einen Schülerwettbewerb, Reisevorbereitungen, Gesprächsnachbereitungen.
Um 15.10 Uhr ist die Besprechung zu Ende, Ursula Heinen greift wieder zum Telefon. Danach geht sie in die Plenardebatte, wo über die Welthandelsorganisation (WTO) und die EU-Osterweiterung diskutiert wird. Der Tagesordnungspunkt wird später als vorgesehen aufgerufen, die Abgeordnete schafft es nicht, mit dem Bus, der um 16.45 Uhr vor dem Eingang Süd des Reichstagsgebäudes steht, zur „Grünen Woche“ zu fahren. Sie muss ein Auto nehmen und das gerät auf dem Kaiserdamm nahe der Messe in einen ordentlichen Stau.
Um 18 Uhr soll die Eröffnungsveranstaltung der „Grünen Woche“ im ICC Berlin beginnen. 5.000 Menschen sind eingeladen. In großen und kleinen Gruppen strömen sie in den Saal. Üppige Trachten defilieren vorbei, eine bayerische Kartoffelkönigin bewegt sich wie auf dem Laufsteg, gefolgt von gekrönten Weinköniginnen und starken Männern in Lederhosen. Die „Internationale Grüne Woche“ ist immer auch ein Spektakel. Die Sicherheitskräfte verteilen per Walkie-Talkie ihre Kräfte ständig neu, die Abgeordnete steht immer noch im Stau.
Um 18.15 Uhr landet sie an. Das Glück ist ihr hold, denn die Eröffnungsveranstaltung beginnt auch verspätet – als die Türen zum großen Saal geschlossen werden, ist die Abgeordnete auf ihrem Platz und die Einlasserinnen atmen zum ersten Mal erleichtert auf.
Nach zwei Stunden Reden und Programm kommt Ursula Heinen aus dem Saal und macht einen fröhlichen Eindruck. Obwohl die Zeiten sich verschoben haben und nicht alles nach ursprünglichen Plänen lief – der Tag hat sich gelohnt. Irgendwie ist immer noch alles ins Lot gekommen und sie hat geschafft, was sie schaffen wollte. Nun will sie noch mit Fraktionskolleginnen und -kollegen in die Messehalle 21, wo die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände ihre Präsentationen aufgebaut hat. Der Weg dorthin ist enorm lang und kommt – ein wenig unfreiwillig, weil die Zeit so knapp ist – einem kompletten Messerundgang gleich. Die letzten Vorbereitungen für den nächsten Tag, an dem die Besucher kommen werden, laufen. Fußböden werden gestrichen, Messestände zusammengezimmert, Lebensmittel zu Kunstwerken arrangiert, es duftet nach Blumen, Käse und Wurstspezialitäten.
Bei den Waldbesitzern ist es voll, laut und angenehm chaotisch. Die Abgeordnete und ihre Kolleginnen und Kollegen finden einen Tisch, ergattern einen Wein und können an diesem Abend noch eine ganze Reihe Gespräche führen, für die man sonst mühevoll Termine in eng geplanten Sitzungswochen finden muss. „Grüne Woche“ sei, schwärmt Ursula Heinen, die beste Möglichkeit, mit ganz vielen Menschen über ganz viele Dinge zu reden. Das sei Nachbereitung von und Vorlauf für Arbeit – effektiv und angenehm zugleich.
Es ist 22 Uhr, die Abgeordnete wird noch in die Messehalle 23 a gehen, wo ein Empfang stattfindet. Sie schenkt der Journalistin zuvor eine der zwei blutroten Nasen, die in der Tagespost waren. Die Nase ist aus Schaumstoff. Und wenn man sie aufsetzt, ist man fast vollständig für den Karneval präpariert. Berliner mögen das ja seltsam finden. Eine Kölnerin hat damit nur gute Erfahrungen gemacht.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier