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Der Weg des Haushalts durch den Bundestag
Hand aufs Herz: Was ist wohl der wichtigste Satz für das
Jahr 2000? Jeder mag das für sich persönlich anders
beurteilen und vor allem erst einmal die Jahreswende abwarten.
Für die Bundespolitik wurde er schon gesprochen:
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters sagte ihn am 26.
November um 11.15 Uhr: "Der Gesetzentwurf und damit das
Haushaltsgesetz 2000 ist angenommen." Dieses Gesetz trägt die
amtliche Bezeichnung "Drucksache 14/1400", betrifft 478,8
Milliarden Mark und ist der Bundeshaushalt für das Jahr 2000.
Wie es zum wichtigsten Satz des neuen Jahres kam ein Blick
hinter die Kulissen zeigt einen wesentlichen Teil der deutschen
parlamentarischen Demokratie.
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Im Finanzministerium wird der Entwurf für den
Haushaltsplan erstellt |
"Heftiger Schlagabtausch in Haushaltsdebatte" lauteten auch in
diesem Jahr wieder die Überschriften, als der Bundestag in
seinem Plenum mit der Beratung des Haushaltsentwurfes in die
Zielgerade einbog. Nach einem ersten Durchgang Mitte September
hatte sich der Haushaltsausschuss mit den Einnahme und
Ausgabeplanungen für die einzelnen Ministerien zu
beschäftigen, wobei die Fachausschüsse gutachtlich
Stellung nehmen konnten. Dann folgten im November die
Schlussberatungen. Wieder ging es in den Debatten um die
großen Linien der Politik, die großen Zahlen dagegen
waren vorab an anderer Stelle geklärt worden: im
Haushaltsausschuss. Für viele klingt das Gremium nach
staubtrockener Buchhaltermentalität. Die 42 Mitglieder wissen
es besser. Ganz gleich, welche Projekte die Ministerien auf den Weg
bringen "am Ende muss die Kasse stimmen", sagt
Ausschussvorsitzender Adolf Roth (CDU/CSU). Konkreter als im
Haushalt könne Politik nicht mehr werden, wenn so Roth
nach vielen Sitzungen "das Wünschbare vom Machbaren
getrennt ist". Das klingt bescheiden, zurückhaltend,
drückt aber die tatsächlichen Machtverhältnisse in
der Republik aus: Nicht die Regierung gibt das Geld, sondern das
Parlament bewilligt es. Daran wurden die Minister auch in diesem
Jahr wieder deutlich erinnert.
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23. Juni 1999: Beschluss im Bundeskabinett. |
In den Chefkalendern der Ministerien sind die Sitzungen des
Haushaltsausschusses dick hervorgehoben. Wenn der Minister vor den
Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss, werden alle anderen
Verpflichtungen beiseite geräumt. Wer eben noch durch die Welt
jettete und wichtige politische Gespräche mit anderen
Staatsleuten führte, steht nun in der Luisenstraße in
Berlin als ganz gewöhnlicher Bittsteller vor zumeist
zunächst geschlossener Ausschusstür. Das Warten kann
dauern, wenn sich die Befragungen des vorher antretenden Kollegen
hinziehen. Manchem Minister dürfte dabei mulmig werden wie den
Patienten im Wartezimmer des Zahnarztes, denn Jahr für Jahr
zieht der Ausschuss auch Zähne. Das kann schmerzen, selbst
wenn die Parlamentarier mit örtlicher Betäubung arbeiten:
Die Regierungsmehrheit im Ausschuss wird stets dafür sorgen,
dass der Zahnverlust nicht auch noch mit einem Gesichtsverlust
einhergeht.
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15. bis 17. September 1999: Erste Lesung im Bundestag,
Finanzminister Hans Eichel bringt den Entwurf ein, nach der Debatte
Überweisung an den Haushaltsausschuss. |
Da wird dann der 50MillionenPosten für ein
sofort zu gründendes Institut zur Konfliktforschung von der
Opposition zwar als "Rohrkrepierer" aktuell zur Strecke gebracht,
doch Ministerin Edelgard Bulmahn braucht dennoch nicht geschlagen
aus dem Saal zu gehen. 20 Millionen kommen zur Anschubfinanzierung
am Ende in den 2000er Wissenschaftsetat, so dass die Gründung
doch noch gesichert ist. Mitunter reicht es auch, die
"Folterwerkzeuge" (Mittelstreichung oder Sperrvermerke) der
Haushälter kurz zu zeigen, um in den Ministerien für
Nachdenken, Nachbessern und Klärung zu sorgen. So etwa bei den
Ausgaben, die das Verteidigungsministerium für den
KosovoEinsatz tätigen will.
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Ende September bis 10. November: Der Haushaltsausschuss
und die anderen Ausschüsse beraten über die
Details. |
Der Haushalt 2000 lief von der Einbringung im August bis zur
Beschlussfassung im November formal zwar seinen ganz
gewöhnlichen Gang durchs Parlament wie alle anderen Haushalte
in den Jahren zuvor. Doch diesmal war inhaltlich und strategisch
vieles anders. Es war der erste von vorne bis hinten von der neuen
Koalition gestaltete Etat. Wie üblich war schon zu Beginn des
Jahres ein interner Entwurf im Finanzministerium entstanden,
nachdem die einzelnen Fachressorts ihren "Bedarf" angemeldet
hatten. Dem stellte Finanzminister Hans Eichel im Frühjahr ein
Einsparziel von 30 Milliarden Mark gegenüber, das durch
7,4prozentige Kürzungen quer durch alle Ministerien und
völlig ohne Steuererhöhungen erreicht werden sollte. Als
der Entwurf der Bundesregierung im August im Parlament ankam, hatte
es also schon ein monatelanges Tauziehen innerhalb der
Bundesregierung gegeben, war manche Mark gedanklich mehrfach
umgedreht worden und somit für die Parlamentarier schon nicht
mehr viel Manövriermasse zur Gestaltung übrig
geblieben.
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23.-26. November 1999: Zweite und dritte Lesung des
Haushalts im Bundestag, Schlussabstimmung. |
Hinzu kamen strategische Gesichtspunkte. "Es gab von der
Opposition ein großes Interesse und auch in unseren Reihen
eine große Versuchung, einzelne Teile herauszubrechen", meint
Oswald Metzger (Bündnis 90/Die Grünen) zusammenfassend.
Deshalb hätten sich SPD und Grüne auf eine
"BlutSchweißundTränenStrategie"
verständigt. Sämtliche von der Regierung geplanten
Kürzungen sollten zunächst unbeschadet das
Parlamentsverfahren überstehen "sonst hätten wir
das ganze KonsolidierungsProjekt beerdigen können". Und
so hatten Metzger und sein ObmannKollege bei der SPD, Hans
Georg Wagner, stets ein "DominoBild" vor Augen: "Wenn einer
kippt, fällt alles zusammen."
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Dezember 1999: Beratung im Bundesrat, eventuell
Anrufung des Vermittlungsausschusses und erneuter Beschluss des
Bundestages. |
Es fiel nicht. Und als die Koalition im Ausschuss lange genug
gestanden hatte, die Bestandteile des Sparpaketes mit Blick auf die
Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat in zustimmungsfreie und
zustimmungspflichtige zerteilt worden waren, konnte auch an
einzelnen Haushalten genestelt werden. Ergebnis: eine Fülle
von Veränderungen und Verschiebungen, die allen Fraktionen das
Gefühl gab, wenigstens im Detail sinnvoll mitgestaltet zu
haben. Mal ging es um 240 Millionen für die Werften, mal um
50.000 Mark für die Arbeitsloseninitiativen am Ende
füllten Entwürfe, Anträge und Beratungen gut vier
Dutzend dicke Aktenordner. Vorsitzender Adolf Roth und sein
Stellvertreter Manfred Hampel (SPD) zogen die Debatten zügig
durch, ließen viele Fachfragen schon im Vorfeld zwischen den
Berichterstattern der Fraktionen den in den Ministerien
gefürchteten Experten für die einzelnen Ressorts
klären.
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Das Haushaltsgesetz wird vom Bundespräsidenten
unterschrieben und anschließend im Bundesgesetzblatt
verkündet. Es tritt damit in Kraft. |
So entwickelte sich der Haushaltsausschuss auch diesmal zum
Brennglas der Demokratie und ließ die Mischformen des
deutschen Parlaments sichtbar werden: Das Redeparlament mit seinen
rhetorischen Politikbegründungen in tagelangen
Marathondebatten wird ergänzt durch das Arbeitsparlament der
Ausschüsse, wo Absichten in Zahlen gegossen werden. Als
einziger Ausschuss tagten die Haushälter zweimal
wöchentlich und hatten die Sondergenehmigung des
Präsidenten, sogar während der Plenarsitzungen weiter am
Etat zu feilen. Allein die abschließende "Bereinigungssitzung"
mit der Abarbeitung aller noch ungeklärten Punkte dauerte von
9.15 bis 22.05 Uhr. Das Protokoll nebst Anlagen
umfasst schon für diese Sitzung rund 1.200 Seiten.
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Bundesgesetzblatt |
Wer so viel zusammensitzt und obendrein noch eine gemeinsame
Verantwortung für die Kasse hat, kommt sich ganz automatisch
näher. "Das Klima ist völlig anders als in den meisten
anderen Gremien die meisten duzen sich hier", schildert
Jürgen Koppelin (FDP). Und Manfred Hampel (SPD) weiß aus
Erfahrung: "Das Duzen geht sehr schnell auch über die
Fraktionsgrenzen hinweg." Adolf Roth weiß: "Es entsteht ein
ganz besonderer Korpsgeist, auf den man gut zurückgreifen
kann, wenn sich der Pulverdampf verzogen hat."
Insofern wird der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung
der Regierung ganz besonders im Haushaltsausschuss immer wieder
deutlich. Gleichzeitig zeigt sich aber auch die innere Grenzlinie,
die natürlich zwischen Mehrheit und Minderheit, zwischen
Regierungs und Oppositionsfraktionen verläuft. Für
Christa Luft (PDS) gehörte der Rollentausch zwischen
CDU/CSU/F.D.P. und SPD/Grünen zu den Auffälligkeiten
dieser Haushaltsberatungen: "Was die einen früher an den
anderen kritisiert haben, machen sie jetzt selbst." Die Opposition
gehe nun "sehr großzügig" mit Erhöhungsanträgen
um, meint Hampel: "Da brauchen wir einen breiten Buckel."
Welche langfristigen Lehren ziehen die Parlamentarier an der
Schwelle zum neuen Jahrtausend aus den
2000erHaushaltsberatungen? Ganz praktische Wünsche haben
die kleinen Fraktionen, bei denen ein Mitglied manchmal für
sechs oder sieben Ministerien gleichzeitig "zuständig ist":
Man müsse dringend die "Flut der Papiere eindämmen", das
sei "bald nicht mehr zu schaffen", meint Jürgen Koppelin
(F.D.P). Der Ausschussvorsitzende Adolf Roth (CDU/CSU) wünscht
sich größeres Gewicht für die langfristigen
Perspektiven. Das Verfassungsgerichtsurteil zum
Länderfinanzausgleich müsse als Chance zur Neuordnung der
Staatsfinanzen genutzt werden. Roth wünscht sich mehr klare
Verantwortung für Bund und Länder: "Wir müssen raus
aus der Mischfinanzierung." Die Erfahrungen des
Haushaltsausschusses dürften bei der anstehenden Reform nicht
ausgeklammert werden. Aus Sicht des Vizevorsitzenden Manfred Hampel
(SPD) ist schon vieles geschehen, um innerhalb der einzelnen
Ministerien wirtschaftliches Regieren zu ermöglichen. Bei der
Fortentwicklung von Globalbudgets müsse der Haushaltsausschuss
jedoch "eifersüchtig darüber wachen, dass die Rechte des
Parlamentes nicht beschnitten werden".
Diese Rechte will Oswald Metzger (Bündnis 90/Grüne)
massiv ausbauen. Seine Vorstellung orientiert sich am
BudgetAusschuss des USParlamentes: Jedes Mitglied des
Haushaltsausschusses müsse an seinem Computer die laufende
Ausgabenentwicklung in "seinem" Ministerium mitverfolgen und
dadurch direkt reagieren können. Nur ein solcher direkter
Blick auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates ermögliche
den "rechtzeitigen Tritt auf die Bremse". Nur eine Abkehr von der
Kameralistik und eine eher kaufmännische Buchführung der
einzelnen Ministerien führe zu einem funktionierenden
politischen Controlling und zu einem effizienten Staat.
Zukunftsmusik? Metzger will "in fünf bis zehn Jahren" so weit
sein.
Gregor Mayntz