Titelthema
Eine Sitzungswoche im
Bundestag
Termine, Termine, Termine
Eine Sitzungswoche des Bundestages in
Berlin besteht aus einer Kette von Terminen – aus offiziellen
Sitzungen, informellen Gesprächen, Pressekontakten. Die ersten
Eintragungen des Tages in den Terminkalendern der Abgeordneten
beziehen sich oft schon auf den frühen Morgen. Und am Abend
ist für die meisten noch nicht Feierabend. Blickpunkt
Bundestag zeigt, wie eine typische Sitzungswoche des Parlaments
abläuft.
Montag
Montagvormittags zu Hause in den Zug steigen, am Nachmittag im
Bonner Büro die eingegangene Post sichten und dann am Abend in
Ruhe die Sitzungswoche vorbereiten. So sah früher der
Wochenstart für Bundestagsabgeordnete aus. Lang, lang ist's
her. Heute müssen nicht wenige Volksvertreter schon
sonntagnachmittags Abschied von Familie und Wahlkreis nehmen, damit
sie noch einen Flieger in die Hauptstadt erwischen und
sonntagabends einen Blick ins Büro werfen können. Denn
längst hat das parlamentarische Leben angesichts aus allen
Nähten platzender Terminkalender in Sitzungswochen auch den
Montagmorgen entdeckt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001 - die Woche
beginnt mit der Sitzung des Rechtsausschusses. 8.50 Uhr: Alfred
Hartenbach, SPD, führt noch rasch ein
Telefongespräch. |
So auch in unserer Beispielwoche Anfang Juli 2001. Um Punkt 9.00
Uhr beginnen die Mitglieder des Rechtsausschusses in einer
öffentlichen Anhörung im Reichstagsgebäude
juristische Experten zu löchern: Wie beurteilen sie den
Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, mit der
das deutsche Schuld- und Verjährungsrecht umfassend
modernisiert werden soll? Das Konzept sei "geglückt", sagt der
eine Fachmann. Wenig später widerspricht der andere; die
Abgeordneten würden "gezielt irregeführt". Einige Stunden
und etliche Liter Kaffee später haben sich die Volksvertreter
selbst ein Bild gemacht.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 9.05 Uhr:
öffentliche Sitzung des Rechtsausschusses, Norbert Geis,
CDU/CSU (Mitte). |
Es sind nicht nur die gekommen, die gerade "Lust" auf den
frühen Arbeitsbeginn hatten. Mit "Geldbußen" für
unentschuldigtes Fernbleiben disziplinieren sich die Abgeordneten
selbst. Wer sich nicht in eine der Anwesenheitslisten vor den
Sitzungssälen und in den Fraktionsgebäuden einträgt
und keinen überzeugenden und nachprüfbaren Grund für
sein Fehlen angeben kann (Krankheit oder Mandatsverpflichtungen),
bekommt dafür eine dreistellige Summe von seinen Bezügen
abgezogen. Und das täglich.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 8.50 Uhr:
vor der Sitzung der Berichterstatter der Enquete-Kommission,
Marie-Luise Dött, CDU/CSU. |
Der Rechtsausschuss ist noch längst nicht fertig mit seinem
Pensum, da geht schon der Umweltausschuss in eine weitere
öffentliche Anhörung. Ein heißes Eisen steht auf dem
Fragenkatalog der Politiker: Wie gefährlich sind die Strahlen
der Mobilfunkanlagen? Die Betreiber warnen vor
Kurzschlusshandlungen. Bürgerinitiativen sollten nicht an der
Aufstellung von Sendeanlagen beteiligt werden, sonst könnten
die Funknetzbetreiber ihre Verpflichtungen nicht mehr
erfüllen. Eine eingeschränkte Entwarnung geben
Arbeitsmediziner: Nach heutigem Erkenntnisstand seien keine
Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten. Aber was heißt
schon "Erkenntnisstand"? Die Abgeordneten gewinnen jedenfalls die
Erkenntnis, dass einschlägige Langzeitstudien fehlen und
nehmen sich vor, das Problem im Auge zu behalten.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 8.55 Uhr:
öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses, Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen, versorgt sich mit aktuellen
Unterlagen. |
Von der Öffentlichkeit unbemerkt haben an diesem
Montagvormittag zwölf weitere Gremien ihre Beratungen
aufgenommen. Es handelt sich einerseits um Arbeitsgruppen und
Arbeitskreise innerhalb der einzelnen Bundestagsfraktionen, die die
anstehenden Fragen, zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss,
vorbereiten, sich eine Meinung dazu bilden und das taktische und
strategische Vorgehen absprechen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 12.00 Uhr:
Gespräch mit einer Praktikantin, Vizepräsidentin Petra
Bläss, PDS. |
Andererseits ist dieser Montag der Tag der Enquete-Kommissionen.
Die Berichterstatter aus den einzelnen Fraktionen setzen sich am
Morgen zusammen, um das weitere Vorgehen zu erörtern, danach
beginnen die Arbeitstreffen der Kommissionen. Ab 11.00 Uhr geht es
um die "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements", ab 12.30
Uhr um die "Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der
Globalisierung und Liberalisierung", ab 13.00 Uhr um die
"Globalisierung der Weltwirtschaft" und ab 17.00 Uhr noch einmal um
die "globale Wissens- und Informationsgesellschaft". Alles Treffen
mit höchsten Ansprüchen an die Teilnehmer. Da wird nicht
Routine abgewickelt, sondern Wissenschaftler und Parlamentarier
klopfen gemeinsam die neuesten Forschungsergebnisse daraufhin ab,
welche Hinweise die Politik für ihr Handeln daraus gewinnen
kann. Das macht keiner mit links.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 14.00 Uhr:
Sitzung der Enquete-Kommission, Michaele Hustedt, Bündnis
90/Die Grünen, telefoniert. |
Ein anderer Teil der Abgeordneten hat derweil nicht die
langfristigen Perspektiven von Bürger-Engagement und
Globalisierung, sondern ganz profan die ganz kurzfristige
Abwicklung der Sitzungswoche in den Blick genommen: Am
Montagnachmittag tagen traditionell die Vorstände der
Bundestagsfraktionen und loten aus, welche Chancen die Woche
bietet, wo Konflikte lauern, was am folgenden Tag im großen
Kreis noch geklärt und mit der Gegenseite glatt gezurrt werden
muss.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Montag, 2. Juli 2001, 16.00 Uhr:
Sitzung des Fraktionsvorstandes, Jörg van Essen, FDP
(vorn). |
Das läuft nicht nur im offiziellen Sitzungsrahmen ab.
Mancher Parlamentarier trifft zufällig auf Kollegen, andere
verabreden sich gezielt zu "unverbindlichen"
Hintergrundgesprächen. Das Parlamentsviertel in Berlin ist
zwar weitläufiger als das in Bonn, aber die einschlägigen
Treffpunkte haben sich inzwischen doch herausgebildet. Und wer die
Zufälle minimieren und als Verband möglicherweise noch
ein besonderes Interesse an einem Treffen mit den zuständigen
Parlamentariern hat, der lädt zu so genannten
"Parlamentarischen Abenden" ein. Auch in dieser Juli-Woche ist die
Auswahl wieder reichlich, führt Lobbyisten, Medienleute und
Politiker zwanglos bei einem Glas Bier zusammen. Noch Arbeit oder
schon Entspannung? Nicht wenige Abgeordnete sind jedenfalls schon
am ersten Tag der Sitzungswoche 18 Stunden nach dem Aufstehen immer
noch auf den Beinen.
Dienstag
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 7.15
Uhr: Strategiegespräch im Kanzleramt, Sabine Kaspereit,
SPD. |
Laut Lehrbuch entstehen Gesetze ganz einfach: Fachleute in
Verwaltung oder Politik erarbeiten einen Entwurf, der Bundestag
debattiert darüber, bildet sich eine Meinung, ändert den
Text gegebenenfalls, stimmt darüber ab, und wenn dann der
Bundesrat möglicherweise auch noch zugestimmt hat,
unterschreibt der Bundespräsident – und das war's.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 8.30
Uhr: Arbeitsgruppe Umwelt der Fraktion, Reinhardt Loske,
Bündnis 90/Die Grünen. |
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Sitzungswoche für
Sitzungswoche. Denn Politik ist das unermüdliche Bohren ganz
dicker Bretter. Die Bretter, das sind alle möglichen
Institutionen, Verbände, Ministerien, Parteien,
Organisationen. Und das Bohren, das bedeutet reden, reden, reden.
Angesichts der Vielzahl von Gesprächen, die rund um ein
politisches Vorhaben nötig sind, können die Debatten in
Plenum und Ausschüssen mitunter wie die Sahne auf dem Kuchen
wirken. Das Backen hat lange vorher begonnen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 10.00
Uhr: Information im Parlamentsfernsehen, Barbara Höll,
PDS. |
Deshalb sind an diesem Dienstag schon früh um sieben die
ersten Abgeordneten unterwegs zum Kanzleramt. Es sind
Parlamentarier der Koalition, die sich zum Strategiegespräch
treffen. Aber auch die Opposition schläft um diese Zeit nicht
mehr. So trifft sich die CSU-Landesgruppe innerhalb der
Unionsfraktion zum eigenen Strategiegespräch in der
Landesvertretung des Freistaates Bayern. Es ist nur das erste von
Dutzenden von Treffen der einzelnen Landesgruppen. Denn die
Abgeordneten sind nicht nur nach Parteizugehörigkeit in
verschiedenen Fraktionen organisiert, nicht nur auf Fachbereiche in
Bundestag (Ausschüsse) und Fraktionen (Arbeitsgruppen)
konzentriert, sie orientieren sich zudem auch noch anhand ihrer
regionalen Herkunft und besprechen Vorhaben, die im besonderen
Interesse ihres jeweiligen Bundeslandes sind.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 12.00
Uhr: Sitzung der "Jungen Gruppe", Ursula Heinen,
CDU/CSU. |
Wie vielschichtig die Politik geworden ist, mag man daran
ersehen, dass an diesem Dienstagvormittag zwischen 8 und 13 Uhr
nicht weniger als 69 (!) Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgruppen und
Arbeitskreise im Parlamentsviertel tagen. Und zwar mehr oder
weniger gleichzeitig. In kleinen Sitzungsräumen im
Reichstagsgebäude oder in den vielen Häusern, die der
Bundestag in den umliegenden Straßen für die
vorübergehende Unterbringung der Fraktionen angemietet hat.
Bei jedem einzelnen Treffen wird das Programm für die
nächste Sitzung des jeweiligen Fachausschusses vorbereitet. So
geht es beispielsweise bei der SPD unter anderem um
"Ernährung, Landwirtschaft und Forsten", "Rechtspolitik",
"Geschäftsordnung", "Verkehr, Bau- und Wohnungswesen",
"Gesundheit", "Sicherheitsfragen", "Wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung", "Bildung und Forschung", "Umwelt",
"Außenpolitik", "Arbeit und Sozialordnung", "Familie,
Senioren, Frauen und Jugend" und so weiter und so fort. Parallel
dazu bewältigen auch die anderen Fraktions-Arbeitsgruppen ein
ähnliches Pensum. Jede legt ihre Marschrichtung fest. Doch nur
die großen Fraktionen sind spiegelbildlich zu den
Ausschüssen organisiert. Die kleineren haben mehrere
Themenfelder jeweils in Arbeitskreisen zusammengefasst, die sich
etwa sowohl um Sicherheits- als auch um Außen-, Verteidigungs-
und Entwicklungshilfepolitik kümmern.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 10.30
Uhr: weiß-blauer Pressestammtisch der CSU-Landesgruppe,
Michael Glos, CDU/CSU (Mitte). |
In der Mittags"pause" setzen sich in den Fraktionen weitere
Abgeordnete zusammen, die aus wieder anderen Gesichtspunkten ein
gemeinsames Interesse haben, die "Junge Gruppe" in der Union etwa
oder die Gruppe der Vertriebenen- und
Flüchtlingsabgeordneten.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 13.30
Uhr: Fraktionssitzung, Michael Müller, SPD, trägt sich in
die Anwesenheitsliste ein. |
Es folgt der eigentliche Höhepunkt des Dienstags im
klassischen Sitzungswochenrhythmus: die Fraktionssitzung. Und zwar
mehr oder weniger gleichzeitig für alle fünf
Bundestagsfraktionen. Das ist gewissermaßen die
parlamentarische Vollversammlung jeder im Bundestag vertretenen
Partei. Eine Bereinigungssitzung für die zurückliegenden
Ereignisse und Entwicklungen, eine aktuelle Zustandsanalyse und vor
allem eine klare Marschrichtung für die Bewältigung der
bevorstehenden Aufgaben im weiteren Verlauf der Sitzungswoche.
Für die Abgeordneten ist die Teilnahme ein Muss. Aber auch
manche ihrer Mitarbeiter verfolgen die Diskussion. In den
Fraktionen der Regierungskoalition sitzen zudem Mitarbeiter aus den
Ministerien und beobachten, wie sich die Stimmung gegenüber
bestimmten Regierungs- und Gesetzgebungsvorhaben entwickelt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 14.00
Uhr: Fraktionssitzung, Leo Dautzenberg, CDU/CSU, studiert
Unterlagen. |
Fraktionssitzungen haben mitunter ihre eigene Dynamik. Gerade
bei strittigen parlamentarischen Vorhaben zeigt sich hier, welche
Chancen die Initiativen haben. Können Minister diese
Hürde nehmen und den Rückhalt ihrer gesamten Fraktion
gewinnen, ist der "Rest" des parlamentarischen Verfahrens schon
nicht mehr so schwierig. Zwischen den Fraktionen einer
Regierungskoalition sind deshalb bei brisanten Themen mitunter
Boten unterwegs, um den Diskussionsstand des Partners jeweils
erfahren und die Stimmung austauschen zu können. Schafft ein
Gesetzesvorhaben die vorbereitende Fraktionssitzung nicht
unbeschadet, tun die Initiatoren gut daran, vor der offiziellen
Behandlung des Themas in den übrigen Gremien des Bundestages
gehörig nachzubessern.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 13.00
Uhr: Enquete-Kommission, Monika Knoche, Bündnis 90/Die
Grünen (Mitte). |
Natürlich sind die Fraktionssitzungen nicht
öffentlich. Aber natürlich sind die Journalisten
bemüht, den Ablauf und die Ergebnisse möglichst
detailliert nachvollziehen zu können. Schließlich geht es
manchmal um bedeutsame Vorentscheidungen für die Politik. Da
es bei den großen Fraktionen mehrere hundert Teilnehmer gibt,
sind der Vertraulichkeit jedoch Grenzen gesetzt. Und so seufzte ein
Neuling unter den Abgeordneten, der von der Vertraulichkeit der
Sitzung zunächst überzeugt war, nach seinen ersten
Erfahrungen: "Das Verwunderliche ist eigentlich nicht, dass nach
jeder vertraulichen Fraktionssitzung alles Mögliche
darüber in den Zeitungen steht. Das eigentlich
Verblüffende ist, dass das meistens sogar auch noch stimmt."
Das heißt, dass auf den einen oder anderen Abgeordneten an
diesem Abend auch noch das eine oder andere Telefonat wartet
...
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 14.55
Uhr: Fraktionssitzung, Günter Rexroth, FDP. |
Aber auch für viele andere ist nach der Fraktionssitzung
noch lange nicht Schluss. Diesmal lädt die SPD-Fraktion selbst
zum Sommerfest in den Innenhof ihres Fraktionsgebäudes an der
traditionsreichen Straße Unter den Linden.
Selbstverständlich bleiben die Sozialdemokraten nicht unter
sich. Wenn die größte Regierungsfraktion feiert, kann es
nicht schaden, dabei zu sein. Das wissen viele
Hauptstadt-Journalisten genauso wie Verbandsvertreter,
Regierungsmitarbeiter und auch Vertreter anderer Fraktionen und
Parteien. Bei Gegrilltem und Gezapftem wird nicht nur Small Talk
ausgetauscht.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 18.30
Uhr: Fraktionsfest, Ernst Bahr, SPD (Mitte). |
Wer sich an diesem Abend wundert, dass sich die
Außenpolitiker der Fraktion allmählich rar machen, der
liegt richtig, wenn er einen weiteren Termin als Grund dahinter
vermutet: Unter den parallel stattfindenden Veranstaltungen ist
auch das Sommerfest des Auswärtigen Amtes. Und auch hier kann
es nicht schaden, mal vorbeizuschauen, mit Ministeriumsmitarbeitern
und Diplomaten anzustoßen, wenn man im Bohren dicker Bretter
weiterkommen will.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Dienstag, 3. Juli 2001, 20.00
Uhr: Sitzung des Geschäftsführenden Fraktionsvorstandes,
Klaus W. Lippold, CDU/CSU. |
Mittwoch
Der Mittwoch ist traditionell der Tag der Fachpolitiker, der Tag
der Details komplizierter Politik. Der Mittwoch ist der
Ausschuss-Tag.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 9.00
Uhr: Pressegespräch, Wilhelm Schmidt, SPD. |
Zum Beispiel um 7.30 Uhr im Sonderausschuss
Maßstäbegesetz/ Finanzausgleichsgesetz: Es geht um die
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, um die
Konkretisierung eines Verfassungsgerichtsurteils, um die Verteilung
der Umsatzsteuer zwischen 2005 und 2019. Eine schwierige Materie,
aber ein wichtiges Thema. Viel Geld steht auf dem Spiel. Die
Bundesregierung will darauf hinaus, dass der Bund am 31. Dezember
2019 aus der Restschuld des Fonds "Deutsche Einheit" "nur" 12,8
Milliarden Mark übernimmt. Um den möglichen Rest der
Restschuld gibt es ein Tauziehen. Ende offen. Und das morgens um
7.30 Uhr.
Zum Beispiel um 8.00 Uhr im Petitionsausschuss: Es geht um
Gewalt und Pornografie im Fernsehen. Viele Bürger haben sich
in Eingaben an den Ausschuss darüber beschwert. Auch die
Bundestagsabgeordneten kommen zu dem Ergebnis, dass sich
gehäufter Konsum von Gewaltdarstellungen negativ auf die
Weltsicht, Einstellungen und sozialen Verhaltensweisen von Kindern
und Jugendlichen auswirkt und so nicht nur kurzfristig, sondern auf
lange Sicht das gesellschaftliche Leben insgesamt mitbestimmt. Aber
der Bund ist in Sachen Medien nicht zuständig. So sollen nun
die Landesparlamente gebeten werden, sich der
Gewalttätigkeiten auf der Mattscheibe anzunehmen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 7.15
Uhr: Arbeitsfrühstück der Landesgruppe Ost, Gunter
Weißgerber, SPD. |
Zum Beispiel um 8.30 Uhr im Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung: Es geht um ehrenamtliche Tätigkeit und die
Frage, wie man sie noch mehr fördern kann. Etwa mit einer
Berücksichtigung bei den Rentenanwartschaften? Oder mit einer
Befreiung von der Sozialversicherungspflicht? Mit zusätzlichen
Mitteln für Bürger- und Stadtteilbüros? Die vom
Ausschuss eingeladenen Experten sind sich nicht einig.
Zum Beispiel um 8.30 Uhr im Ausschuss für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Es geht um
Pflanzenschutzmittel. 1224 waren bis zur Vorwoche in Deutschland
zugelassen. Seit wenigen Tagen sind 44 davon verboten. Kommt der
Obst- und Gemüsebau damit klar? Haben vor allem Baumschulen
massive Probleme mit der Unkrautbekämpfung? Soll doch noch
eine Übergangszeit für die Anwendung bestimmter Mittel
wenigstens für diese Anbausaison möglich sein?
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 8.15
Uhr: Bürotermin, Winfried Hermann, Bündnis 90/Die
Grünen. |
Zum Beispiel um 9.15 Uhr im Innenausschuss: Es geht um die
Beobachtung der PDS durch die Verfassungsschutzbehörden.
Solange Bestrebungen festgestellt würden, die
freiheitlich-demokratische Grundordnung in Zweifel zu ziehen oder
zu überwinden, gebe es gar keine andere Möglichkeit, als
die Beobachtung fortzuführen, sagen die
Verfassungsschützer. Die große Mehrheit der Abgeordneten
im Ausschuss sieht das genauso. Aber nicht alle.
Zum Beispiel um 9.30 Uhr im Rechtsausschuss: Es geht um das
Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten. Es soll ausgedehnt
werden. Auf nicht periodische Druckwerke, auf Informations- und
Kommunikationsdienste und auf Filmberichte. Behörden sollen
selbst recherchiertes Material der Journalisten nicht
beschlagnahmen können. Details sind noch umstritten.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 8.30
Uhr: Sitzung des Präsidiums, Vizepräsidentin Antje
Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen. |
Zum Beispiel um 9.30 Uhr im Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie: Es geht um den Schiffbau und um die
wettbewerbsverzerrenden Dumpingpreise Südkoreas auf diesem
Gebiet. Und damit geht es auch um die Sicherheit deutscher Werften.
Wenn die Südkoreaner auf dem Verhandlungsweg nicht einlenken,
soll die Bundesregierung sie bei der Welthandelsorganisation
verklagen, empfiehlt der Ausschuss.
Zum Beispiel um 9.30 Uhr im Auswärtigen Ausschuss: Es geht
um Mazedonien, um das Engagement der USA in Europa und um die NATO.
Eine neunköpfige Delegation des amerikanischen
Repräsentantenhauses ist zu Gast und bewertet das Engagement
in Bosnien und im Kosovo positiv. Mit Blick auf die anstehende
Erweiterung der EU unterstreichen die Gäste, es sei in ihrem
Sinne, wenn auch Russland davon wirtschaftlich profitiere. Die USA
selbst setzten ebenfalls auf Kooperation mit Moskau. Auch in Sachen
Raketenabwehr.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 8.35
Uhr: Informationspause im Restaurant, Christina Schenk,
PDS. |
Zum Beispiel um 12 Uhr im Ausschuss für die Angelegenheiten
der neuen Länder: Es geht um die Produktion der neuen
Großraumflugzeuge Airbus A 380 und A 400 M. Wiewohl sie in
Toulouse und Hamburg gebaut werden, sollen auch die neuen
Bundesländer davon profitieren. Mit 700 bis 750
Arbeitsplätzen, schätzt die Bundesregierung. Der
Ausschuss berät, ob das ausreichend ist und wie noch mehr
Begleitaufträge zum Beispiel nach Mecklenburg-Vorpommern gehen
könnten.
Zum Beispiel um 13 Uhr im Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe, um 14 Uhr im Haushaltsausschuss, um 15 Uhr
im Ausschuss für Tourismus, um 16 Uhr in der Kinderkommission
und und und: Es geht um die ganze Breite der Politik, und in dieser
Auflistung ist nicht einmal die Hälfte der Ausschusssitzungen
dieses Tages erwähnt worden. Parallel dazu tagen auch an
diesem Mittwoch wieder Arbeitsgruppen der Fraktionen. Abgeordnete
pflegen zudem den Kontakt zu Kollegen aus anderen Ländern.
Nicht nur zum US-Kongress. Sondern heute beispielsweise auch zu
einer Delegation des Verteidigungsausschusses des Parlamentes in
Südafrika.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 15.30
Uhr: Fragestunde, Gudrun Schaich-Walch, SPD. |
Auch die Presse wird informiert. Abgeordnete aus den
Fraktionsführungen laden regelmäßig zu
Pressekonferenzen oder folgen Einladungen von so genannten
journalistischen Hintergrundkreisen. Da laufen dann meistens keine
Kameras mit, so dass die Volksvertreter den Medienvertretern ab und
zu auch ein paar Hintergründe erläutern können, ohne
dass alles gleich in der Zeitung stehen muss. Parlament und Presse
haben sich in Berlin auf Usancen verständigt, die aus der
Satzung der Bundespressekonferenz stammen: Was der Politiker "unter
Eins" sagt, darf jeder überall in vollem Umfang weitertragen.
Was "unter Zwei" mitgeteilt wird, ist zwar vom Inhalt her
verwendungsfähig, aber die Quelle darf nicht genannt werden
– so entstehen beispielsweise die berühmten "Kreise",
auf die sich viele Meldungen als eher diffuse Herkunftsbezeichnung
von Informationen berufen. Wenn der Politiker schließlich
weitere Details "unter Drei" erläutert, ist das nur für
den Hinterkopf der Journalisten gedacht.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 14.00
Uhr: Treffen mit einer südafrikanischen Parlamentsdelegation,
Hildebrecht Braun, FDP. |
Derweil tagt am Mittwoch auch das Plenum in dieser Sitzungswoche
zum ersten Mal. Am Anfang steht die Befragung der Bundesregierung.
Die hat kurz zuvor in einer Kabinettsitzung neue Beschlüsse
gefasst, und noch bevor die Medien in der Bundespressekonferenz
unterrichtet werden, stellt der Wirtschaftsminister vor den
Abgeordneten die geplanten Eckpunkte einer gesetzlichen Regelung
für die Kraft-Wärme-Kopplung dar. Die Parlamentarier
müssen nicht nur zuhören, sie dürfen auch
nachfragen, acht Abgeordnete machen davon Gebrauch.
Frage und Antwort stehen auch im Mittelpunkt der nachfolgenden
Fragestunde, in der über ein Dutzend Themenkomplexe behandelt
werden, von der Gesundheitsreform bis zur Zwischenlagerung
abgebrannter Brennelemente, vom europäischen
Fingerabdruckidentifikationssystem bis zum Vergleich der Wirtschaft
innerhalb der EU.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 16.00
Uhr: Sitzung der Kinderkommission, Rosel Neuhäuser, PDS,
trägt sich in die Anwesenheitsliste ein. |
Zusätzlich hat der Bundestag auf Antrag der Opposition auch
noch das Thema "5.000 mal 5.000" auf die Tagesordnung genommen. Das
Scheitern des Bemühens, so viele Jobs für so viel Geld
bei VW zu schaffen, wird in den Zeitungen intensiv diskutiert
– auch im Bundestag. Denn dafür sind die Aktuellen
Stunden da.
Meistens erleben Besucher mittwochs nur kleine Kostproben vom
Debattenalltag des Parlamentes. Diesmal dauert die Sitzung fast
vier Stunden, füllt das Protokoll darüber am Ende des
Tages 72 Seiten. Wer das intensive Arbeitspensum des Parlamentes in
seinen parallel tagenden Ausschüssen kennt, kann sich nicht
darüber wundern, dass das Plenum heute nicht sehr dicht
besetzt ist. Parlamentarismus findet eben nicht nur auf den
Abgeordnetenbänken unter dem Bundestagsadler statt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Mittwoch, 4. Juli 2001, 18.30
Uhr: Vortrag bei der Deutschen Bank, Gudrun Kopp,
FDP. |
Und auch heute ist nach Ausschuss- und Plenarsitzungen nicht
Schluss. Auf den meisten Terminkalendern in den
Abgeordnetenbüros gibt es weitere Eintragungen. Treffen,
Gespräche, Vorträge.
Donnerstag
Was der Dienstag für die Fraktionen ist, der Mittwoch
für die Ausschüsse, ist der Donnerstag für das
Plenum. Von früh bis spät. Noch ein wenig Besinnung bei
einer Morgenandacht im Andachtsraum des Reichstagsgebäudes,
dann beginnt die Sitzung. "Guten Morgen, liebe Kolleginnen und
Kollegen", sagt der Bundestagspräsident um Punkt 9 Uhr und
eröffnet damit die 182. Sitzung des Deutschen Bundestages in
der 14. Wahlperiode. Erst knapp 14 Stunden später, um 22.50
Uhr wird sie beendet sein. Bis dahin werden die Stenografen auf 208
Seiten die Beiträge von 129 Abgeordneten notiert haben.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 10.00
Uhr: Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses, Max Stadler,
FDP. |
Auch die Bundestagsdruckerei bekommt eine Menge Arbeit. Denn es
wird nicht nur debattiert an diesem Donnerstag. Auch eine ganze
Reihe von Gesetzen steht zur Beschlussfassung an. Gleich zu Beginn
wird die künftige Verteilung der Umsatzsteuer geregelt. Das
Plenum ist gut gefüllt, denn nach der Beratung in zweiter
Lesung folgt eine namentliche Abstimmung. Dadurch soll genau
nachvollziehbar sein, wie sich jeder einzelne Abgeordnete
entschieden hat. In seinem Fach neben dem Eingang hat er zu Beginn
die Plastik-Stimmkarten abgeholt. Die blaue für "Ja", die rote
für "Nein", die weiße für "Enthaltung". Die
Schriftführer rufen die Mitglieder des Bundestages in
alphabetischer Reihenfolge einzeln auf, die daraufhin ihre Karten
in durchsichtige Urnen werfen. Davor stehen jeweils die
Parlamentarischen Geschäftsführer und halten ihre eigene
Karte hoch, damit die Kollegen noch einmal daran erinnert werden,
wofür die eigene Fraktion in der strittigen Frage votieren
wollte.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 8.40
Uhr: christliche Morgenfeier, Gerhard Jüttemann,
PDS. |
Während die Stimmen noch ausgezählt werden, ruft der
Sitzungspräsident bereits den nächsten Tagesordnungspunkt
auf: Kriminalitätsbekämpfung. Darunter werden mehrere
Anträge verschiedener Herkunft zusammengefasst. Diese
thematische "Paketbildung" ist typisch. Auf diese Weise
bemühen sich Präsidium, Ältestenrat und
Parlamentarische Geschäftsführer, die Fülle von
Initiativen ein wenig zu bündeln, damit verwandte Anliegen
gemeinsam besprochen werden können. Das spart Redezeit.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 9.00
Uhr: Plenardebatte, Horst Schild, SPD, versorgt sich mit
Unterlagen. |
Doch die Welt steht nicht still, während das Plenum tagt.
Deshalb wechselt die Besetzung auf den Abgeordnetenbänken
immer wieder im Laufe des langen Sitzungstages. Wer in ein
Gesetzesvorhaben oder ein Thema involviert ist, muss natürlich
dem Geschehen persönlich folgen und oft auch selbst in die
Debatte eingreifen. Doch viele andere Abgeordnete können gar
nicht anders, als parallel weitere Aufgaben zu erfüllen und
deshalb immer mal wieder den Plenarsaal zu verlassen. Doch in den
Büros läuft ständig das Parlamentsfernsehen, und so
bekommen sie doch mit, worum es im Plenum gerade geht, während
sie Post erledigen, telefonieren oder in Besprechungen weitere
Fachfragen klären.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 9.30
Uhr: Gespräch mit liberalen Politikern aus Österreich,
Detlef Parr, FDP (Mitte). |
Auch der Ältestenrat trifft sich in der Mittagszeit, um die
nächste Sitzungswoche vorzubesprechen. Und der
Untersuchungsausschuss tagt gleichzeitig ebenfalls. Zunächst
nicht öffentlich, dann unter großem Publikumsinteresse
auch wieder öffentlich. Der Unterausschuss Neue Medien trifft
sich, und auch der Geschäftsordnungsausschuss. Zahlreiche
Arbeitsgruppen kommen über den Tag hinweg ebenfalls zu
Sitzungen zusammen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 14.00
Uhr: Sitzung des Ältestenrates, Hans-Peter Repnik,
CDU/CSU. |
Je nach Entwicklung im Plenum müssen die parallelen
Aktivitäten jedoch abgesetzt oder unterbrochen werden, damit
die Abgeordneten schnell zum Reichstagsgebäude
hinübergehen können, um für die nötige
Präsenz bei Abstimmungen zu sorgen. Dann tönt ein
schrilles Klingeln durch alle Bundestagsgebäude, und auf den
Fluren blinken kleine Lämpchen. Vorfahrt für die
Entscheidungsfunktion des Parlamentes. Dann müssen die anderen
Funktionen vorübergehend zurücktreten.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 12.55
Uhr: vor Beginn der Sitzung der Frauengruppe, Annette Widmann-Mauz,
CDU/CSU. |
Derweil hat sich das Plenum in einer aktuellen Stunde mit den
neuesten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt, die
internationale Klimapolitik aufgegriffen und sich Gedanken
über die Forschungen mit embryonalen Stammzellen gemacht. In
der Nähe des Plenums haben Fernsehteams ihre Kameras
aufgebaut, um kurze Stellungnahmen von prominenten Abgeordneten
einzuholen. Die Binnenschifffahrt steht zu diesem Zeitpunkt im
Mittelpunkt der Bundestagsdebatte.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Donnerstag, 5. Juli 2001, 13.30
Uhr: Restaurant, Hans-Josef Fell, Bündnis 90/ Die Grünen,
informiert sich über Öko-Produkte. |
Später folgen unter anderem die europäische
Energieforschung, der Kampf gegen den Missbrauch von Kindern als
Soldaten, der wohnungswirtschaftliche Strukturwandel in den neuen
Ländern. Jedes Anliegen ist für die Betroffenen wichtig,
und deshalb kommt es auch im Hohen Haus zur Sprache. Aber nicht
jeder kann in jeder Einzelfrage kompetent sein. Das Parlament
funktioniert in dieser Hinsicht wie die gesamte Gesellschaft:
arbeitsteilig.
Freitag
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 12.00
Uhr: namentliche Abstimmung, Eckart von Klaeden,
CDU/CSU. |
Endlich Wochenende? Natürlich freuen sich die Abgeordneten
spätestens freitagmorgens, am Abend endlich Familien und
Freunde in ihrer Heimat wiederzusehen. Die Garderoben im
Reichstagsgebäude sind an diesem Morgen gewöhnlich voll
von kleinen Koffern. Alles griffbereit für den Rückflug
am Nachmittag. Doch Vorrang behalten die politischen
Notwendigkeiten. Und die haben es an diesem Freitag mal wieder in
sich, lassen die Abgeordneten sogar schon um 8.00 Uhr zu
Sondersitzungen von Fraktionen und Arbeitsgruppen zusammenkommen,
gefolgt von einem Zusatztagespunkt zum Auftakt der 183.
Plenarsitzung um 9.00 Uhr.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 8.45 Uhr:
Interview vor dem Reichstagsgebäude, Peter Struck,
SPD. |
Die Lage in Mazedonien beunruhigt viele. Anlass für eine
Regierungserklärung, in der der Außenminister die
Hoffnungen und Aussichten auf eine friedliche Lösung
schildert, die Verantwortung Europas für den Balkan anspricht
– und damit auch die Mitverantwortung Deutschlands. Und damit
wird auch wieder die herausragende Bedeutung des Bundestages klar.
Ganz gleich, wie viele Bundeswehrsoldaten die Bundesregierung in
einen Einsatz schicken will oder wohin: ohne die vorherige
Zustimmung des Parlamentes läuft nichts.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 11.00
Uhr: Koffer packen für die Heimreise, Eva
Bulling-Schröter, PDS. |
Dahinter steckt das Wesentlichkeitsprinzip der parlamentarischen
Demokratie. Fragen von wesentlicher Bedeutung verantwortet das
Verfassungsorgan mit der höchsten Legitimation – der
Bundestag. So ist es mit jedem Gesetz. So ist es natürlich
auch in Angelegenheiten auf Leben und Tod. Eine Abstimmung
über eine weitere Balkan-Mission steht diesmal noch nicht an.
Aber in der einstündigen Debatte im Anschluss an die
Regierungserklärung markieren die Redner Bedingungen für
einen solchen Einsatz.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 11.30
Uhr: namentliche Abstimmung, Walter Hirche, FDP (links), holt sich
Stimmkarten. |
Von Balkan und Bundeswehr geht es unmittelbar zur Familie. Aber
immer noch nicht zur eigenen. Die Heimfahrt muss weiter warten.
Denn erst wird noch über die Verbesserung der
Familienförderung diskutiert und am Ende namentlich
abgestimmt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 18.15
Uhr: auf dem Weg zum Flughafen, Hildegard Wester,
SPD. |
Eine ganze Reihe thematischer "alter Bekannter" aus den
Arbeitskreis- und Ausschusssitzungen vom Wochenbeginn ist im Plenum
wiederzufinden. Zum Beispiel das ausgeweitete
Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten: abschließende
zweite und dritte Lesung mit Abstimmung. Fertig ist das Gesetz. Zum
Beispiel der neue Status für Spätaussiedler:
abschließende zweite und dritte Lesung mit Abstimmung. Fertig
ist das Gesetz. Zum Beispiel die Neuregelung der
Krankenkassenwahlrechte: abschließende zweite und dritte
Lesung mit Abstimmung. Fertig ist das Gesetz. Die Leistungsbilanz
des Bundestages fällt auch in dieser Woche wieder positiv aus.
Fleißig, fleißig.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 11.45
Uhr: Vor der Abstimmung, Katherina Reiche, CDU/CSU (links),
kümmert sich um ihre Tochter. |
Und für "Nachschub" ist stets gesorgt. Wieder werden an
diesem Freitag auch neue Initiativen in erster Lesung behandelt,
die dann ihrerseits an die Ausschüsse überwiesen werden
– und in einigen Wochen oder Monaten wieder im Plenum
auftauchen. In einer weiteren, ähnlich ablaufenden
Sitzungswoche.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 12.30
Uhr: Plenarsitzung, Hans-Christian Ströbele, Bündnis
90/Die Grünen. |
15.19 Uhr ist es, in den meisten Amtsstuben Deutschlands, in
vielen Organisationen sind schon längere Zeit keine
Mitarbeiter mehr anzutreffen. Die 183. Sitzung ist beendet. Die
Abgeordneten machen sich – endlich – auf den Heimweg.
Mit Auto, Bus, Taxi oder S-Bahn zum Flughafen oder zum Bahnhof. Und
nun erst einmal durchatmen, erst einmal Wochenende? Doch viele
Orts- und Kreisverbände nutzen den Freitagabend zu Mitglieder-
und Delegiertenversammlungen. Ein ideales Forum für "unseren
Mann" oder "unsere Frau" in Berlin ganz brandaktuell den
Parteifreunden daheim von der großen Politik in der Hauptstadt
zu berichten. Deshalb ist ihr Erscheinen obligatorisch, auch wenn
in Einzelfällen gerade eine Sitzungswoche mit 70 oder mehr
Arbeitsstunden vorangegangen ist.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 12.50
Uhr: Rede im Plenum, Ruth Fuchs, PDS. |
Aber was soll's – aus Sicht vieler Bürger sitzen die
Volksvertreter ja nur ein paar Stunden pro Woche im Plenum rum, und
selbst da sieht man sie selten vollzählig. Genau: Was tun die
eigentlich?
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Freitag, 6. Juli 2001, 13.40
Uhr: Debatte im Parlamentsfernsehen, Günther Nolting,
FDP. |
Wochenende
Wenn sich Sitzungswochen und sitzungsfreie Zeiten nicht
abwechseln, sondern zwei, mitunter sogar drei Sitzungswochen
aufeinander folgen, bleibt für einen Sprung ins
Wahlkreisbüro nur der Samstag und der Sonntag. Wahlkreis- und
Abgeordnetenbüro sind zwar miteinander vernetzt. Aber manches
muss doch persönlich besprochen, selbst bearbeitet werden. Und
kann nicht über Wochen warten.
Vieles ist auch wichtig für die aktuelle Parlamentsarbeit.
Wie reagiert die Basis auf die jüngsten Vorgänge in
Berlin? Wie ist die Stimmung? Ob der Abgeordnete nun gern gesehener
Gast beim Schützenfest ist, sich beim Grillabend des
Ortsvereins sehen lässt oder der Einladung zum Skatturnier
folgt – immer funktioniert die Kommunikation in beide
Richtungen: Die Basis weiß, dass der Volksvertreter sich
weiter fürs Volk engagiert. Und der Parlamentarier
erfährt, wie diejenigen über das denken, was für sie
gemacht wird.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Samstag, 7. Juli 2001, 9.00 Uhr:
Wahlkreisbüro, Peter Ramsauer, CDU/CSU, arbeitet mit seiner
Mitarbeiterin Akten auf. |
Immer wieder passiert es, dass in Berlin alle möglichen
Aspekte einer Initiative durchleuchtet, die Mehrheiten organisiert
sind – und dann ein verheerendes Medienecho einhergeht mit
einer schwierigen "Vermittelbarkeit" in der Bürgerschaft und
an der Parteibasis. Sehr nachdenklich kehren die Parlamentarier
dann ins Parlamentsviertel zurück. Und für manches
Vorhaben gehen die Ampeln daraufhin in der Fraktionssitzung erst
einmal auf "Gelb".
Viele Abgeordnete wissen, dass die Wochenenden nicht nur wichtig
sind für ein paar Stunden Erholung im Kreis von Familie und
Freunden. Sie sind auch von besonderer Bedeutung im Rahmen des
Bohrens dicker Bretter. Denn da die politischen Termine von einigem
Gewicht rar sind, die Sender aber trotzdem Stunde um Stunde "Stoff"
für ihre Nachrichtensendungen brauchen, nutzen nicht wenige
die Gunst der ruhigen Stunde, politische Vorhaben, die im
Getöse der großen Themen unter der Woche eher untergehen,
gerade am Wochenende zu lancieren.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Sonntag, 8. Juli 2001, 11.00
Uhr: Wahlkreisbüro, Peter Wilhelm Danckert, SPD, studiert die
Post. |
Vielleicht ist aus "seinem" Anliegen ja dann wirklich schon ein
ernst genommenes politisches Thema geworden, wenn es wenig
später wieder nach Berlin geht und die ersten Termine der
nächsten Sitzungswoche anstehen ...
Gregor Mayntz