Schreibtisch
Mit System gegen das temporäre Chaos
Der Schreibtisch ist immer ein Original. Kaum ein
Möbelstück erzählt so viel über einen Menschen
wie dieses. Das trifft natürlich auch auf den Schreibtisch des
SPD-Abgeordneten zu.
In Abwesenheit des Abgeordneten René Röspel, der sich
an einem Sitzungstag natürlich mehr im Reichstagsgebäude
als in seinem Büro aufhält, lassen sich eine Menge
Vermutungen anstellen. Zum Beispiel, dass auch er, wie viele seiner
Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, dazu neigt, Stapel zu bauen.
Sie wirken nicht bedrohlich, aber doch sehr beachtlich. Zumal sie
nicht nur dem Schreibtisch eine Architektur verleihen, die in die
Höhe strebt, sondern auch auf der Sitzbank an der rechten Wand
lagern und auf dem halbrunden Beistelltisch, der den Speicherplatz
des Schreibtischs erweitert. Sechzehn große, mittlere und
kleine Stapel sind es auf den Tischen. Auf der Sitzbank noch mal
drei.
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Vermuten lässt sich auch, dass René Röspel, 37
Jahre alt, Diplom-Biologe, Mitglied im Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Mitglied auch im Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und
in der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin",
ein Systematiker ist. Drei dick gefüllte rote Postmappen
nähren den Verdacht. Auf allen dreien sind die vorn
aufgedruckten Nummern 1 bis 12 mit entsprechenden Inhaltsangaben
unterlegt: Termine wichtig, Termine sonstige, Korrespondenz
allgemein, Korrespondenz Wahlkreis, Korrespondenz Fraktion,
Enquete, Umwelt, B + F, Fraktion PM + M, Regierung, Bundestag
Verwaltung etc., Sonstiges.
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Den Wissenschaftler Röspel erkennt man anhand diverser
Materialien, die sich offensichtlich nicht lesen lassen wie leicht
verständliche Zusammenfassungen von Forschungsergebnissen.
Allein der Stapel "Essener Unikate – Klinische Onkologie"
oder der dick gefüllte weiße Leitzordner neben dem Laptop
mit wissenschaftlichen Artikeln in englischer Sprache erfordern
sicher den Fachmann und ließen wahrscheinlich den Laien
verzweifeln.
Vielleicht ist René Röspel auch ein Mann mit Humor.
Auf seiner ansonsten blütenweißen Schreibtischunterlage
im Format A2 grinst rechts oben ein handgezeichnetes Männchen
mit Bart und Brille, auf dessen T-Shirt "René" steht und das
verblüffend große Ähnlichkeit mit dem in
Kürschners Bundestagshandbuch abgebildeten Abgeordneten
hat.
Kann auch sein, dass er sich ganz kleine Sentimentalitäten
gestattet. Da steht ein rechteckiges Kästchen mit
Intarsienarbeiten, eine bunte Postkarte hängt am Drucker, ein
mit Fotomotiven beklebter Würfel zeigt Willy Brandt, Herbert
Wehner und Helmut Schmidt. Alle drei rauchen. Das ist für
René Röspel der einzige Makel an diesem schönen
Schnappschuss. Rauchen möge er gar nicht, sagt er später
im Gespräch. An seiner Bürotür hängt eine
böse Persiflage auf die Marlboro-Werbung mit den harten Jungs
auf den schönen Pferden vor grandiosem Sonnenuntergang: "Bob,
I've got cancer", lautet der Slogan.
Das kleine Holzkästchen bekam der Abgeordnete von einer
deutsch-russischen Jugendgruppe geschenkt, die ihn im Bundestag
besuchte und beim Nachlesen im "Kürschner" entdeckt hatte,
dass der Besuchstag zugleich auch der Geburtstag des Besuchten
war.
Seinen allerersten Schreibtisch teilte er mit dem Bruder. Dieser
habe alles immer sehr ordentlich gehalten. Der erste selbst
gekaufte Schreibtisch steht noch immer zu Hause, ein praktisches
Möbelstück aus Stahl und Holz. "Ich sitze gern am
Schreibtisch, aber das ist auch immer mit Wegarbeiten verbunden.
Wenn ich meine Gedanken erst einmal sortieren will, über
Konzepte, Pläne und neue Themen nachdenke, klappt das am
besten, wenn ich mich bewege. Beim Spazierengehen zum Beispiel. Ich
habe immer einen kleinen Zettel dabei und schreibe mir dann auf,
was die Ergebnisse des Nachdenkens sind."
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Was die Stapel und Postmappen anbelangt, so geht René
Röspel mit dem Satz "Ich beherrsche das Chaos" in die
Offensive. Obwohl, nach Chaos sieht die ganze Angelegenheit nicht
aus, nur nach viel Arbeit. "Die drei Postmappen liegen hier, weil
das die ganze Post des neuen Jahres ist. In zwei Wochen sammelt
sich eine Menge an. Die Post abzuarbeiten geht nur abends, oft eben
bis in die Nacht rein. Und dieser dicke weiße Leitz-Ordner
hier liegt direkt in meinem Gesichtsfeld, weil ich mich damit
schnell befassen will. Es sind Originalarbeiten zum Thema
Stammzellen, hier zum Beispiel ein Artikel ‚Aus Knochenmark
zu Gehirnzellen'. Ende Januar fand im Bundestag eine Debatte zu
Stammzellforschung statt. Ich bin ein Gegner des Imports. Bei der
Vorbereitung auf solche Themen verlasse ich mich nicht auf
Zeitungsartikel, sondern lese Fachtexte. In den vergangenen Wochen
bin ich durch NRW getourt und habe Vorträge über die
Stammzellforschung gehalten."
Manchmal, das gibt der Abgeordnete freimütig zu, muss man
im Angesicht der wachsenden Papierberge auf dem Schreibtisch auch
für einige Zeit die Kunst des Verdrängens üben: "Der
Enquete-Stapel hier ist schon ganz schön hoch, aber ich
schaffe es irgendwann, ihn durchzusehen und mir die wichtigen
Sachen rauszuziehen. Es gibt aber schon Momente, wo ich die
Kollegen bewundere, die es schaffen, ihren Schreibtisch frei von
solchen Papierbergen zu halten. Die haben halt ein anderes System.
Aber meins funktioniert auch."
Auf die Frage, welche der kleinen oder großen Erfindungen
im Bereich "Bürohilfsmittel" ihm am meisten gefalle, nennt
René Röspel die Klarsichthülle. Nicht nur, weil sie
sich auch für den Transport im Rucksack gut eignet, sondern
weil sie wieder verwendbar ist. Papierverschwendung gebe es sowieso
schon ausreichend. Klarsichthüllen seien so etwas wie eine
winzige Wiedergutmachung. Der SPD-Abgeordnete macht sich im
Zweifelsfall auch die Mühe, sie zu kleben, wenn sie mal an
einer Stelle kaputt gegangen sind. Und weil man gerade beim Thema
ist: Er liebt auch die Büroklammer und tackert Papiere nur
ungern zusammen. Getackertes Papier taugt nicht als Schmierpapier
für den Drucker.
Bliebe noch die Frage nach dem kleinen gezeichneten
Männchen rechts oben auf der Schreibtischunterlage. Das ist
manchmal seine zweite Unterschrift. Unter dem Gesichtspunkt der
Datensicherheit betrachtet nicht perfekt und für offizielle
Schreiben zu unkonventionell, aber fröhlich. Die
Mitarbeiterinnen haben bereits eine kleine Sammlung angelegt und
einige Zeichnungen auf die Homepage des Abgeordneten gestellt.
Schade eigentlich, dass nicht auch Kürschners Volkshandbuch
"Deutscher Bundestag" mit solchen Darstellungen arbeitet.
rene.roespel@bundestag.de
www.roespel.de
Kathrin Gerlof