Schlussbemerkung
Das Verfahren der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland ist kompliziert. Der Grund dafür ist aber nicht, dass es dadurch möglichst undurchschaubar gemacht werden soll, ganz im Gegenteil: Diese Kompliziertheit ist der Preis für die Einbeziehung vieler Instanzen, für die mehrfache Prüfung der sachlich oft recht schwierigen Gegenstände und für die umfassende Informationsmöglichkeit aller, die an dem jeweiligen Gegenstand interessiert sind. Letztlich spiegelt also das komplizierte Verfahren die Anforderungen von Demokratie und Rechtsstaat wider. Wo diese Grundsätze keine Rolle spielen, in totalitären Systemen oder Militärdiktaturen, da geht es dann auch mit den Gesetzen schnell und leicht - und, keineswegs zufällig, oft auch ungerecht und uneffektiv.
Lassen wir das Verfahren der Gesetzgebung noch einmal kurz Revue passieren, so erkennen wir leicht die Gründe für die einzelnen aufeinander folgenden Stationen:
- Die Vorbereitung der Entwürfe durch jeweils zuständige Fachreferate in den Ministerien unter Einbeziehung von Verbänden dient der sorgfältigen Sachaufklärung und Berücksichtigung sowohl der Kenntnisse aus der Verwaltung als auch aus den interessierten und betroffenen Kreisen;
- die Abstimmung der Entwürfe zwischen den Ministerien und im Kabinett dient der Einpassung des einzelnen Vorhabens in die Gesamtlinie der Regierungspolitik und auch in die finanziellen Möglichkeiten und Grenzen des Staatshaushalts;
- der erste Durchgang beim Bundesrat ermöglicht es, die Erfahrungen der Länder aus dem ihnen obliegenden Vollzug der Gesetze schon für den Entwurf nutzbar zu machen und deren Interessen rechtzeitig zu erkunden;
- die erste Lesung im Bundestag dient dazu, allen Abgeordneten und der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass zu dem betreffenden Gegenstand ein Gesetzgebungsverfahren existiert und in die parlamentarische Beratung geht;
- die intensive Durchprüfung in den Ausschüssen des Bundestages ermöglicht die Einbeziehung weiterer fachlicher und politischer Gesichtspunkte, die Abstimmung mit den Vorstellungen der Fraktionen und nicht selten die Entwicklung übereinstimmender Regelungsvorschläge und Kompromisse;
- Anhörungen in den Ausschüssen dienen der zusätzlichen fachlich-wissenschaftlichen Fundierung des Vorhabens, der Gewinnung zusätzlicher öffentlicher Aufmerksamkeit und der weiteren Beteiligung von interessierten Bürgerinnen und Bürgern und Organisationen;
- die zweite und dritte Lesung im Plenum des Bundestages bringt die öffentliche Debatte über das Pro und Contra, die Darlegung der Gesichtspunkte und Argumente, die die verschiedenen politischen Kräfte während der Beratungen bewegt haben, und dadurch - vermittelt durch Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen - die Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, sich anhand der dargestellten Argumente ihrerseits Meinungen zu den Vorhaben zu bilden, und schließlich den Gesetzesbeschluss;
- die erneute Einschaltung des Bundesrates nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages unterstreicht die föderalistische Gliederung der Bundesrepublik und die bedeutende Rolle der Länder, sowohl was die Anwendung der Gesetze überhaupt als auch die Differenzierung nach regionalen Unterschieden anbelangt;
- falls der Vermittlungsausschuss eingeschaltet wird, steht dieser Verfahrensabschnitt für die Notwendigkeit, den im Föderalismus angelegten Konflikt zwischen Bund und Ländern im Wege von Kompromissen zu überwinden und zu allgemein verbindlichen, gesamtstaatlichen Regelungen zu kommen;
- und schließlich sichert ein weiterer - nicht notwendiger
und regelmäßiger, aber möglicher -
Verfahrensschritt, nämlich die Anrufung des
Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung des Gesetzes,
die Einhaltung all dieser Verfahrens- und Mitwirkungsstationen ab,
weil das Gesetz anderenfalls für nichtig erklärt werden
könnte: Das gesamte Verfahren wird also rechtsstaatlich
überwölbt und zusätzlich kontrolliert am
Maßstab des Grundgesetzes.
Das ist alles nicht sehr bequem, weder für die, welche die Gesetze machen, noch auch für die, die sie befolgen sollen. Sicher wünschen wir uns alle zuweilen weniger Gesetze, einfachere Gesetze und ein schnelleres, freieres Verfahren. Aber unsere Gesellschaft, für die die Gesetze gemacht werden, ist nicht einfach, sie ist vielschichtig, kompliziert, technisiert und in ihren Zielen, Werten und Interessen pluralistisch. Das Parlament als Gesetzgeber muss das widerspiegeln und kann sich darüber nicht hinwegsetzen. Die Forderungen nach rechtlichen Regelungen - zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen, zur Unterstützung berechtigter Forderungen, zur Abwehr von Gefahren, zur Förderung wichtiger Anliegen usw. - kommen aus der Gesellschaft selbst, nicht vom Bundestag. Er kann den Erlass von Gesetzen nicht verweigern, wo sie verlangt werden, und er kann das Verfahren nicht beschleunigen, wo die Meinungen weit auseinander gehen oder die Materie schwierig ist.
So erweist sich letztlich unser parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren als Bedingung und Bestandteil von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit. Die damit verbundene Mühe muss jeder auf sich nehmen, der das Verfahren anwenden, sich an ihm beteiligen oder es in seinen Zusammenhängen verstehen will.