Ausschuss für Menschenrechte zur Lage in der Türkei
In seiner Sitzung am 30. Mai 2001 hat der Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe die Lage der
Menschenrechte in der Türkei beraten. Dazu erklärte die
Vorsitzende, Christa Nickels, MdB, im Namen des Ausschusses:
Die Ereignisse um den Hungerstreik zeigen erneut, dass die
Menschenrechtssituation in der Türkei extrem angespannt
ist.
Die türkische Regierung hat Reformen im türkischen
Gefängniswesen eingeleitet. Das Ziel, Haftanstalten mit den
bisher üblichen Massenzellen für über 50
Häftlinge durch neue Haftanstalten mit Kleinzellen (sog.
F-Typ) zu ersetzen, entspricht internationalen Standards wie z.B.
des Europarates und der Vereinten Nationen. Des weiteren wurden
Gesetzesreformen im Strafvollzug verabschiedet bzw.
angekündigt. In diesem Rahmen wurde Art. 16 des
Anti-Terror-Gesetzes reformiert und die Einsetzung von
Strafvollzugsrichtern beschlossen. Auch wurde im türkischen
Parlament die Gründung von Überwachungskomitees für
alle Haftanstalten diskutiert.
Diese Reformen sind im Prinzip zu begrüßen. Sie weisen
jedoch erhebliche Defizite auf und können einen wirksamen
Schutz vor Isolationshaft, willkürlicher Behandlung und Folter
nicht garantieren. Dies betrifft insbesondere Häftlinge, die
in den neuen F-Typ-Haftanstalten untergebracht sind und nach dem
Anti-Terror-Gesetz verurteilt wurden. Der reformierte Art. 16
bietet nämlich weiterhin die Möglichkeit, Häftlinge
von der Teilhabe an sozialen und sportlichen
Gemeinschaftsaktivitäten auszuschließen und in
Isolationshaft zu halten. Dies wiederum erhöht die Gefahr von
Folter und erniedrigender Behandlung.
Die bisherige Konzipierung der vorgesehenen
Überwachungskomitees sieht keine Einbindung von NGOs vor und
nährt daher die Sorge, dass sie sich zu Gremien ohne wirkliche
Kontrollfunktion entwickeln.
Über 200 Häftlinge befinden sich seit Monaten im
Hungerstreik. Ihre Gesundheit ist schwer angegriffen und in vielen
Fällen dauerhaft geschädigt. 23 Menschen sind bereits an
den Folgen des Hungerstreiks gestorben. Es ist zu befürchten,
dass die Zahl der Todesopfer rasch steigt. Außerdem droht
sich der Hungerstreik auf weitere Häftlingsgruppen
auszuweiten.
Die Häftlinge bzw. ihre Vertreter machen den Abbruch des
Hungerstreiks von der Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen
der türkischen Regierung und den Häftlingsvertretern
abhängig. Sie fordern ferner den garantierten Schutz vor
Isolationshaft in den F-Typ-Gefängnissen.
Die türkische Regierung wiederum hält die
F-Typ-Haftanstalten in Verbindung mit den o.g. Gesetzesreformen
für konform mit den Richtlinien des Europarates sowie den
Vereinten Nationen. Sie lehnt daher kategorisch Gespräche mit
den Häftlingsvertretern ab. Außerdem lehnt sie
Gespräche mit Vertretern solcher Organisationen ab, die nach
ihrer Ansicht nicht auf eine Veränderung der Haftbedingungen
abzielen, sondern andere, gegen den Staat gerichtete politische
Ziele verfolgen.
Angesichts der bedrohlichen Zunahme der Opfer fordern wir die
Häftlinge auf, den Hungerstreik sofort zu beenden. Ein
dringender Appell geht vor allem an diejenigen, die durch ihre
Aufforderung zum Hungerstreik den Tod von Menschen in Kauf nehmen,
um ihre politischen Ziele voranzutreiben, und die dadurch die
Menschenrechte selbst missachten. Aufgrund der blockierten
Situation sollten die türkische Regierung und die
Hungerstreikenden eine Vermittlung durch Personen einschalten, die
von beiden Seiten akzeptiert sind. Wir würden es
begrüßen und als sehr hilfreich empfinden, wenn es mit
Hilfe von Vertretern des Europarats zu einer Vermittlung kommen
könnte. Außerdem muss auf Garantien gedrängt
werden, die sicherstellen, dass bei der Strafvollzugsreform vor
Isolationshaft und Folter insbesondere in den
F-Typ-Gefängnissen Schutz geboten wird.
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