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untitledDeutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Der deutsche Dienstleistungssektor im internationalen Vergleich

Handreichung zur 7. Sitzung der Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten", 25.09.2000

Christian Weise (cweise@diw.de; 030/89789-679)

Bei der Bestimmung der Position des deutschen Dienstleistungssektors im internationalen Vergleich führen ad hoc-Beurteilungen in die Irre. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Dienstleistungen ist höher als vielfach vermutet. Es wird aber auch deutlich, dass der tertiäre Sektor noch merkliche Schwächen aufweist, die Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft notwendig machen. Eine entscheidende Rolle für beide Aussagen spielt die starke Stellung der deutschen Volkswirtschaft im verarbeitenden Gewerbe.

Als Beleg für die Schwäche des deutschen Dienstleistungssektors wird z.B. der relativ geringe Anteil der Dienstleistungen in der deutschen Ausfuhr angeführt, obwohl dies lediglich das Spiegelbild eines hohen Anteils von Produkten des verarbeitenden Gewerbes ist und offen bleiben muss, ob die Sektorstruktur des deutschen Exports die Schwäche des einen oder die Stärke des anderen Sektors anzeigt. Auch das steigende Defizit im Dienstleistungshandel Deutschlands erlaubt noch keine Rückschlüsse auf die besonders interessierenden modernen Dienstleistungssparten. Die negative Bilanz im Gesamthandel wird ganz überwiegend bestimmt vom Negativsaldo des Reiseverkehrs. Ein dritter scheinbar eingängiger Indikator für die bedenkliche Position Deutschlands - die negative Bilanz bei den Direktinvestitionen im Dienstleistungsbereich - überzeugt ebenfalls nicht. Gerade für den Dienstleistungsabsatz im Ausland ist trotz eines Wandels in den technischen und politischen Rahmenbedingungen oft der Aufbau eigener Niederlassungen vor Ort notwendig; auch der Export von Industrieprodukten erfordert häufig Dienstleistungsinvestitionen im Ausland (Vertrieb, Wartung, Marketing).

Nimmt man den Anteil Deutschlands an den Dienstleistungsexporten der fünf größten OECD-Länder (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, UK) zum Maßstab (er fiel von 1986 bis 1996 von 17 % auf gut 15 %), sind die deutschen Exporte beim Reiseverkehr, bei den Finanzdienstleistungen und vor allem bei der Vergabe von Patenten und Lizenzen sowie bei den persönlichen und kulturellen Dienstleistungen (z.B. Gagen bei Filmproduktionen) gering. Bei den beiden zuletzt genannten Kategorien ist auch der Saldo (gemessen als Anteil an den Exporten) sehr deutlich defizitär. Bei den Finanzdienstleistungen stehen den geringen Exporten noch geringere Importe gegenüber, so dass sich ein positiver Saldo (auf niedrigem Niveau) ergibt. Auf Grundlage der IWF-Handelsdaten sind es also vor allem diese drei Kategorien, die Schwächen in der deutschen Einbindung in die internationale Arbeitsteilung zeigen. Die schwankende Performance bei den Kommunikationsdienstleistungen und im Versicherungsgewerbe ist ebenfalls nicht unproblematisch. Die Exportmarktanteile bei den sonstigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen (z.B. Werbung, Beratung, Ingenieurleistungen) sind dagegen eher höher als bei den Wettbewerbern.

Die Untersuchung des direkten Dienstleistungshandels reicht aber zu einer abschließenden Positionsbestimmung des deutschen Dienstleistungssektors nicht aus. Die Rolle von Dienstleistungen für die deutsche Ausfuhr wird bei Beschränkung auf die unmittelbare Ausfuhr von Dienstleistungen erheblich unterschätzt. Weit größer sind die Dienstleistungen, die als Vorleistungsbezüge in der Warenausfuhr enthalten sind. Nach Input-Output-Rechnungen hatten Dienstleistungen 1993 an der Wertschöpfung im Export einen Anteil von etwa 40 %; bei der damit verbundenen Beschäftigung sind es gut 35 % und bei der Bruttoproduktion gut 30 %. Gegenüber den achtziger Jahren hat die Bedeutung der Dienstleistungen in der deutschen Ausfuhr noch zugenommen. Die Zahl der für die Ausfuhr beschäftigten Dienstleistungserwerbstätigen lag 1993 mit 2,2 Millionen um fast 400.000 über dem Niveau von 1986 und um 650.000 über der Zahl von 1980. 1993 waren dies gut 36 % aller von der Ausfuhr abhängigen Erwerbstätigen in Deutschland gegenüber knapp 30 % im Jahre 1980 in Westdeutschland. Der größte Anstieg findet sich bei den indirekt für die Warenausfuhr tätigen Dienstleistern. Ihr Anteil an den insgesamt für die Warenausfuhr arbeitenden Erwerbstätigen nahm von 20 % im Jahr 1980 auf fast 27 % im Jahr 1993 zu.

Tatsächlich ist die Bedeutung von Dienstleistungen für die Ausfuhr sogar noch größer, als in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt. Ein großer und zunehmender Teil der unmittelbar in der Warenproduktion beschäftigten Arbeitskräfte führt keine Produktionstätigkeiten aus, sondern hat Dienstleistungsfunktionen; dies zeigt eine Untergliederung der Erwerbstätigen nach ihren tatsächlichen Tätigkeiten anhand von ILO-Daten und nach Analysen des Sozio-oekonomischen Panels im DIW. Die deutschen Wettbewerbsvorteile im verarbeitenden Gewerbe liegen - so das Ergebnis aller einschlägigen Studien - bei den technologisch eher anspruchsvollen, humankapitalintensiven Waren. Zu deren Produktion und erfolgreicher Vermarktung bedarf es gerade auch hochentwickelter Dienstleistungen.

Diese durchaus günstige Ausgangslage darf jedoch nicht den Blick auf künftige Probleme verdecken. Sei es aufgrund technischen Wandels, sei es aufgrund handelspolitischer Liberalisierung hat sich die Möglichkeit zum direkten Handel mit Dienstleistungen (bzw. zu Investitionen im Ausland) in den letzten Jahren deutlich erhöht. Daraus folgt erstens, dass die Dienstleistungen, die in den deutschen Exportgütern enthalten sind, künftig keineswegs im gleichen Ausmaß wie heute aus Deutschland kommen müssen, und zweitens, dass sich für den Dienstleistungssektor ein eigenständiges Handlungsfeld eröffnet. Hochentwickelte Volkswirtschaften sind zur Sicherung ihres Entwicklungspfades darauf angewiesen, stets komparative Vorteile in den besonders wertschöpfungsintensiven Wirtschaftsbereichen, also insbesondere in den modernen Dienstleistungssparten, zu entwickeln. Hier zeigen die analysierten Handelsdaten für vergleichbare Volkswirtschaften eine bessere Performance, wenn auch eine differenzierte Untersuchung der einschlägigen Dienstleistungskategorien aufgrund der Datenlage derzeit schnell auf Grenzen stößt.

Die politischen Unterstützungsmöglichkeiten bei der Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Dienstleistungsexports liegen zum einen im handelspolitischen Bereich. Hier muss die Liberalisierung im Rahmen der WTO und des europäischen Binnenmarktes vorangetrieben werden. Auch neue Anstöße zum Abbau von Barrieren bei der Etablierung von investitionsgestützten Dienstleistungsangeboten im Ausland sind notwendig. Bei der Vollendung des Binnenmarktes standen bisher eher die traditionellen Dienstleistungen (Verkehr, Finanzen etc.) im Mittelpunkt; auch hier ist der Binnenmarkt noch nicht uneingeschränkte Realität. Der Regelungsbedarf bei den modernen, technologieintensiven Dienstleistungen - z.B. europäische Ansätze zu rechtlichen Standards im Internet - wird erst allmählich thematisiert.

Moderne, dynamische Dienstleistungsbereiche finden schwerer Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft als etablierte Branchen. Dies äußert sich z.B. in der schlechten statistischen Erfassung des Sektors, die ihrerseits wiederum Ursache mangelnden Bewusstseins von der Bedeutung des tertiären Sektors ist. Subventionspolitik stützt im Abstieg befindliche Branchen, während die jungen Dienstleistungsunternehmen - schon weil es sich oft um kleine und kleinste Firmen handelt - kaum eine schlagkräftige Lobbyarbeit entwickeln können. Gleichzeitig stehen die öffentlichen und privaten Ausgaben für die Entwicklung des Humankapitals unter starkem Druck, und die notwendige Effizienzsteigerung im öffentlichen Bildungs- und Ausbildungswesen geht nur schleppend voran. Hier sind Ansatzpunkten für eine Politik zur Unterstützung aufstrebender Dienstleistungsbranchen zu suchen.

Die erfolgreiche Orientierung der deutschen Volkswirtschaft auf die Produktion hochwertiger Erzeugnisse des verarbeitenden Gewerbes dokumentiert einerseits die bereits erreichte hohe Wettbewerbsfähigkeit der in den Warenexporten inkorporierten Dienstleistungen. Deutschland ist kein Dienstleistungsentwicklungsland. Andererseits liegt in der "Industriekultur" auch die Gefahr, den Aufbau eigenständig exportierender Dienstleistungsunternehmen zu vernachlässigen. Die deutsche Volkswirtschaft ist aber gezwungen, im ständigen Strukturwandel gerade in den besonders wertschöpfungsintensiven Bereichen zu reüssieren, um die hohen Produktionskosten - notwendige Folge des hohen Produktivitätsniveaus - dauerhaft finanzieren zu können. Deshalb sind Konsolidierung und weiterer Ausbau der deutschen Position bei den modernen Dienstleistungen eine wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe. Die Voraussetzungen dazu sind vorhanden.


Die Darstellung basiert auf einer Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Programm "Dienstleistung 2000 plus" in der Maßnahme "Dienstleistungsheadquarter Deutschland" gefördert wurde; vgl. Hans-Jörg Bullinger/Frank Stille (Hrsg.), Dienstleistungsheadquarter Deutschland - Entwicklungstrends und Erfahrungsberichte, Wiesbaden, sowie Siegfried Schultz/Christian Weise unter Mitarbeit von Dieter Schumacher (1999), Der deutsche Dienstleistungshandel im internationalen Vergleich, DIW Beiträge zur Strukturforschung Heft 180, Berlin.

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/kommissionen/archiv/welt/au_14_21
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