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Juni 01/1998
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Ökologie am Bau:

Biodiesel für den Reichstag

Wenn im April 1999 der Deutsche Bundestag mit einer Feierstunde den Plenarsaal einweiht, wird Pflanzenöl dafür verantwortlich sein, daß es auch empfindlichen Naturen nicht zu kalt wird. Sollte es die Sonne mit dem neuen Staatsoberhaupt dagegen zu gut meinen, wird Erdkälte aus 60 Metern Tiefe ein gutes Klima im neuen Bundestag schaffen. Fast könnte man den Prachtbau des Frankfurter Architekten Paul Wallot nach dem in einigen Monaten abgeschlossenen Umbau durch Sir Norman Foster das repräsentativste Öko-Haus der Bundesrepublik Deutschland nennen.
Intelligent, ressourcenschonend und einzigartig ist das Energie- und Heizkonzept des künftigen Parlamentssitzes in Berlin. Und faszinierend dazu.
Dem britischen Star-Architekten Sir Norman Foster ist in seinem Konzept für die Umgestaltung des Reichstagsgebäudes das Kunststück gelungen, die Anforderungen an eine moderne und zugleich den historischen Charakter des Gebäudes respektierende Architektur mit hohen ökologischen Zielsetzungen zu verschmelzen. Wichtigste Vorgabe innerhalb des Projektes: Energie erst gar nicht verbrauchen. An zweiter Stelle folgt der effiziente Energieeinsatz. Für Claudia Lemhoefer, Sprecherin der für die Bauleitung zuständigen Bundesbaugesellschaft Berlin, ist das Energiekonzept für die Bundesbauten im Spreebogen "energetisch zukunftsweisend, umweltpolitisch verantwortungsvoll und ökologisch vorbildlich". Lemhoefer: "In der Einsparung liegt die effektivste Strategie, um den Einsatz fossiler Energien und damit die CO2-Emissionen zu reduzieren.î

Integriertes Konzept

Ein Ziel, das durch ein integriertes Konzept des Ingenieur-Büros Kuehn Bauer Partner (München/Berlin) und der Geothermie Neubrandenburg GmbH und durch die innovativen Lösungen des Planungsstabes derart überzeugend erreicht wurde, daß es als beispielhaft gelten kann. Die Kombination von Solartechnik und mechanischen Belüftungssystemen, einen hohen Anteil natürlichen Lichtes, der Nutzung des Bodens als natürlichem Kälte- und Wärmespeicher, der Kraft-Wärme-Kopplung, effizienter Blockheizkrafttechnik und des Rückgriffs auf nachwachsende Energiequellen machen es möglich, den jährlichen CO2-Ausstoß des Reichstagsgebäudes von rund 7.000 auf 1.000 Tonnen zu reduzieren " ohne Einbußen an Komfort und Ästhetik. Im Gegenteil.

Funktionen der Kuppel

Die 23 Meter hohe und 40 Meter breite Glaskuppel des Reichstagsgebäudes ist nicht nur prägendes architektonisches und ästhetisches Element des neuen Bundestages. Norman Foster hat die begehbare und öffentlich zugängliche Kuppel auch in das einzigartige Energiekonzept integriert und sie darin zu einem wichtigen Element gemacht. Zunächst ist das Schaufenster des Parlaments, von dem sich zugleich ein überwältigender Blick auf das Berliner Stadtbild bietet, die wesentliche Lichtquelle des Bundestages. Tageslicht fällt nicht einfach wie bei einem Fenster in den zehn Meter unter der Kuppel liegenden Plenarsaal, der mit 1.200 Quadratmetern etwa doppelt so groß ist wie der von Wallot gebaute und 1894 eingeweihte Plenarsaal des Reichstages. An dem trichterförmigen, sich nach oben öffnenden Konus, der in der Kuppel hängt, sind 30 Spiegelreihen mit jeweils zwölf Spiegeln befestigt, um diffuses, nicht blendendes Tageslicht in den Plenarsaal umzuleiten. Bei besonders starkem Sonnenschein kann ein Teil der insgesamt 360 Spiegel mit einer jeweiligen Fläche von 4,20 mal 0,60 Meter durch einen mitfahrenden, computergesteuerten Sonnenschutz abgedeckt werden. Damit wird gleichzeitig eine zu große Aufheizung verhindert und die für die Kühlung notwendige Energiemenge vermindert.
Um den Schattenspender richtig zu positionieren, kann sich der steuernde Computer auf 24 Meßstellen stützen, die auch den Einstrahlwinkel des Sonnenlichts berücksichtigen. Dieses Lichtsystem trägt dazu bei, den Energieverbrauch für die elektrische Beleuchtung des Bundestages zu reduzieren. Zusätzlich energiesparend wirken Dimmer, um auch bei Tag nur so viel Licht wie nötig zu nutzen.

Natürliche Be- und Entlüftung

Zugleich dient die Kuppel aber auch der natürlichen und damit energiesparenden Entlüftung des Bauwerks. Eine Idee, bei der Kuehn Bauer und Partner auf die Vorarbeiten des Ingenieurs David Grove zurückgreifen konnten, der schon vor über 100 Jahren den thermischen Auftrieb für die Entlüftung des Reichstages ausgenutzt hatte. Um das thermische Verhalten des Gebäudes zu untersuchen, hatte Grove Langzeit-Heizversuche im Reichstag unternommen. Wie damals wird auch in Zukunft das Parlamentsgebäude belüftet, wobei die Kuppel als höchster Platz des Gebäudes, in dem sich die Luft sammeln kann, wieder die zentrale Rolle spielt. Lemhoefer: "Die verbrauchte Luft wird über eine Abluftdüse nach oben geleitet und entweicht durch eine zehn Meter breite zentrale Öffnung.î Diese liegt unscheinbar wie ein Großteil der Haustechnik innerhalb des Konus, so daß die Entlüftung die Besucher der Kuppel nicht stört oder belästigt. Doch selbst die Entlüftung dient noch der Energieeinsparung. Im Konus versteckt ist eine Wärmerückgewinnungsanlage, die der Abluft noch nutzbare Energie entzieht und für die Beheizung des Gebäudes wieder nutzbar macht.
Für die Versorgung des Gebäudes mit Frischluft hat Foster die bereits von Wallot eingebauten Belüftungsschächte im gesamten Haus wieder freigelegt. Gleichzeitig sind die neuen Fenster des Reichstagsgebäudes grundsätzlich zur direkten Belüftung zu öffnen, trotz der Sicherheitsauflagen. Lemhoefer: "Die Konstruktion der Fenster gleicht einer Doppelfassade: Hinter den äußeren Fenstern liegt ein durchlüfteter Zwischenraum mit Sonnenschutz. Die inneren Fenster lassen sich öffnen, so daß sich jeder Raum mit Frischluft versorgen läßt.î Sensoren messen Luftqualität und Raumtemperatur und steuern die Lüftungsklappen und die unterstützende mechanische Lüftung. Bei Luftverschlechterung und bei extremen Temperaturen im Sommer und Winter wird die Fensterlüftung durch mechanische Lüftung, ergänzt durch Wärmerückgewinnung, ersetzt.

Bio-Blockheizkraftwerke

Nahezu einzigartig in der Bundesrepublik ist das Herzstück des beispielhaften Energiekonzepts. Zwei ausschließlich mit Biodiesel (verestertes Pflanzenöl, PME) betriebene Blockheizkraftwerke im Reichstagsgebäude und im benachbarten Alsenblock liefern nicht nur Strom und Wärme für das Plenargebäude und die naheliegenden Parlamentsneubauten Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (Wissenschaftlicher Dienst, Bundestagsbibliothek), Paul-Löbe-Haus (1.200 Räume für Abgeordnete und Sitzungssäle) und Jakob-Kaiser-Haus (2.000 Räume für Abgeordnete, Fraktionen und Bundestagsverwaltung). Durch das Vorkommen von Solewasser unter dem Reichstagsgebäude kann die überschüssige Abwärme, die während der Verbrennung entsteht, gespeichert und später genutzt werden. Von der eingesetzten Energie geht deshalb nur wenig verloren.

Wärme- und Kältespeicher

Ein Teil der Abwärme der Motoren wird im Sommer durch Absorptionskältemaschinen genutzt und zur Kühlung der Gebäude eingesetzt. Der übrige Teil wird durch Solewasser aufgenommen und gespeichert. Dazu wird das salzhaltige Wasser aus einem Erdreservoir in etwa 300 Meter Tiefe unter dem Gebäude hochgepumpt, in den Blockheizkraftwerken aufgewärmt und über einen zweiten Brunnen wieder in die Erde geleitet. Dort kann das 70 Grad heiße Wasser bis zum Winter lagern und dann zur Beheizung der Bundestagsbauten dienen. Ein zweites Wasservorkommen in 60 Meter Tiefe dient als Kältespeicher. Hier wird die Kühle des Winters aufgefangen und für den Sommer gespeichert, um die Gebäude vor allem bei extremen Temperaturen kühl und frisch zu halten.

Hervorragende CO2-Bilanz

Daß die CO2-Bilanz der Bundesbauten im Spreebogen so hervorragend ausfällt, liegt neben der intelligenten Konzeption auch daran, daß die beiden Blockheizkraftwerke ausschließlich Pflanzenöl verbrennen. Während bei der Verbrennung von Gas und Erdöl Kohlendioxid freigesetzt wird, das vor Tausenden von Jahren gebunden wurde, binden die nachwachsenden Rohstoffe das in die Atmosphäre freigesetzte CO2. Lemhoefer: "Deshalb belastet die Verbrennung von Pflanzenöl, im Gegensatz zu Erdöl oder Erdgas, die Umwelt nicht mit zusätzlichem CO2.î Dabei nutzt der Bundestag vor allem Pflanzenöl aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Verbrennung in Blockheizkraftwerken ist zudem durch direkte Ausnutzung der Abwärme erheblich effizienter als im Großkraftwerk.
Die Bilanz der Blockheizkraftwerke und der über 300 Quadratmeter großen Solarstromanlage auf dem Dach des Reichstagsgebäudes ist entsprechend außergewöhnlich. 82 Prozent des Strombedarfs im Reichstag und den benachbarten Parlaments- bauten können durch die überschaubaren Anlagen gedeckt werden. Nur in Spitzenzeiten muß Strom zusätzlich aus dem Netz bezogen werden. Die Abwärme der Blockheizkraftwerke deckt durch Kraft-Wärme-Kopplung zugleich 90 Prozent des Wärme- und Kältebedarfs. Der Anteil regenerativer Energiequellen für die Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung liegt bei über 80 Prozent. Werte, die im wesentlichen auch für das Bundeskanzleramt mit seinem Biodiesel-Kraftwerk und seiner Anbindung an die Langzeitwärme-Speicher gelten. Die Solespeicher im Märkischen Sand unter dem Reichstagsgebäude sind so groß, daß auch noch die Regierungszentrale an das Energiesystem angeschlossen werden kann. Doch welcher Staatschef, der zu Gesprächen ins Kanzleramt kommt, wird wohl ahnen, daß die gemütliche Wärme aus natürlichem Pflanzenöl stammt?
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9801/9801004
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