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Juni 01/1998
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Gedenken an die Revolution von 1848/49

Bundestagspräsidentin Süssmuth: Grundgesetz ist die beste Verfassung für Deutschland Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hat aus Anlaß des Gedenkens an die Revolution von 1848/49 das Bonner Grundgesetz als die beste Verfassung, die Deutschland je hatte, gewürdigt. Es müsse deshalb auch nicht geändert, sondern jeden Tag neu verteidigt werden, betonte die Parlamentspräsidentin bei der Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages zum 150. Jahrestag der Revolution.
Am 18. Mai 1848 war in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung eröffnet worden. Damit gab es zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine gesamtdeutsche Volksvertretung, die zwei grundsätzliche Ziele verfolgte: Grundrechte in einer freiheitlichen Verfassung und eine nationale Regierungsgewalt. Während der damaligen Debatten bildeten sich parteiähnliche Gruppierungen, die am 21. Dezember 1848 als Kern einer neuen Staatsverfassung die "Grundrechte des deutschen Volkes" beschlossen. Sie garantierten unter anderem Gleichheit vor dem Gesetz, freie Meinungsäußerung, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Freiheit der Person. Damit waren die Menschenrechte sowie die Grundprinzipien des Rechtsstaates erstmals in eine deutsche Verfassung aufgenommen. Aber die Zeit war noch nicht reif, und die Verfassung trat nie in Kraft, weil dem Parlament der Paulskirche die Macht und der politische Führungswillen fehlte. Der Versuch der nationalen Einigung scheiterte. Die Einzelstaaten unter der Führung von Preußen und Österreich bestimmten wieder die Politik in Deutschland.

150 Jahre danach

Mit einer Doppelveranstaltung gedachte der Deutsche Bundestag am 6. Mai vor großem Publikum der "Deutschen Revolution" von 1848/49. In der Eingangshalle zum Plenarsaal wurde eine Ausstellung zu diesem Ereignis eröffnet. Im Ersatz-Plenarsaal "Altes Wasserwerk" diskutierte man über das Thema "Deutsche Verfassungen " Anspruch und Wirklichkeit".
Die Bundestagspräsidentin erinnerte bei der Ausstellungseröffnung an den Weg, den Deutschland bis zu einem Ereignis wie diesem Festabend zurückgelegt habe. Sie rühmte das neue Interesse an der 48er Revolution, die zum ersten deutschen Parlament in der Paulskirche führte. Es habe lange Zeit gedauert, dieses Interesse zu wecken. Aber jetzt sei es da, wie die erstaunlich hohe Besucherzahl in zahlreichen Ausstellungen zu diesem Thema zeige. Die "Bürgerbewegung" von 1848 sei in erster Linie am gegen sie eingesetzten Militär sowie an den vielen Interessensgegensätzen gescheitert. Bei der Bildung der deutschen Demokratie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 habe man aber vieles von den damals formulierten Texten übernehmen können: So zum Beispiel die Debattenkultur, in der man auch den Andersdenkenden zu Wort kommen lasse, die Absprache von Gruppen, die Geschäftsordnung, die Abschaffung der Todesstrafe, Presse-, Gewissens- und Versammlungsfreiheit, die parlamentarischen Ausschüsse, Stimmkarten, Präsenzpflicht bei Plenarsitzungen und Fragestunden. Sogar die heutigen Parlamentsstenographen hätten ihre Vorgänger in der Paulskirche gehabt, wo man "Geschwindschreiber" beschäftigte.

Verfassung in der Diskussion

Längst nicht alle Besucher fanden anschließend im "Bonner Wasserwerk" Platz. Hierhin hatten Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und das "Haus der Sprache und Literatur", Bonn, zu der Vortrags-Diskussion eingeladen.
Die Bundestagspräsidentin, die ausdrücklich das Bonner Grundgesetz würdigte, unterstrich, eine Erfolgsgarantie gebe es in der Demokratie nicht. Ihr Gelingen hänge vom Geist ab, der sie lebendig werden lasse. Politisches Handeln in der Demokratie könne nicht "auf einige Gewählte reduziert" werden. Alle Bürger müßten sich aktiv beteiligen. Die Bewährungsprobe für die "streitbare Demokratie" in Deutschland steht nach den Worten der Parlamentspräsidentin noch aus.
Michael Friedmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete die Grundrechte als ständige Herausforderung. Die Bedeutung des Föderalismus als wichtigem Bestandteil des Grundgesetzes hob der inzwischen aus seinem Amt ausgeschiedene nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau hervor. Auch mit Blick auf das vereinte Europa würden die Länder gegenüber dem Bund an Bedeutung gewinnen. Der Europaparlamentarier Wolfgang Ulmann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß er bei seiner europapolitischen Arbeit viel stärker mit den einzelnen Bundesländern zu tun habe als mit dem Bund. Er betonte, er habe sich für die gemeinsame Verfassung nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 die Bestätigung durch eine Volksabstimmung gewünscht. Der Historiker Wolfgang Mommsen sprach von einer aus dem Grundgesetz abgeleiteten "Phobie gegen Plebiszite", die historisch nicht zu rechtfertigen sei.
In ihrem Schlußwort hob Bundestagspräsidentin Süssmuth hervor, daß viele Forderungen, die gestellt würden, bereits im Grundgesetz stehen, also erfüllt sind. Es komme nur darauf an, das Grundgesetz in die Tat umzusetzen. "Ich wünsche mir von der Bevölkerung Einsicht in Streitkultur und das Verstehen, daß der andere auch recht haben kann."
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9801/9801074
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