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Juli 02/1998
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Abgeordnete - Ansprechpartner im Wahlkreis

Auch wenn den Petitionsausschuß täglich durchschnittlich 80 Petitionen erreichen, ist der Kontakt der Bürger zum Bundestag über die 672 Abgeordneten noch erheblich größer. Die Zahl von Briefen, Faxen, Telefonaten, E-mails und direkten Gesprächen mit den MdBs werden zwar von niemandem erfaßt, die Kontakte dürften aber in die Millionen gehen. Das legen jedenfalls die vielfältigen Aktivitäten nahe, die die fünf Abgeordneten entfalten, die "Blickpunkt Bundestag" befragte. 20 bis 40 Bürger wenden sich pro Woche an jeden der fünf Abgeordneten. Hochgerechnet auf den Bundestag ergäbe das bis zu 1,4 Millionen direkte Bürgerkontakte der Abgeordneten pro Jahr.

Beispiel Norbert Röttgen (CDU/CSU)

Röttgen
Einer dieser Abgeordneten ist Norbert Röttgen (CDU/CSU). Mit 32 Jahren ist der Rechtsanwalt aus Rheinbach einer der jüngsten Abgeordneten der Union. Er schätzt es als unverzichtbar ein, im Wahlkreis enge Kontakte mit den Menschen zu pflegen: "Es gibt viele Lebenssituationen, die ich nicht aus eigenem Erleben kenne, die ich aber durch die Besuche der Bürger hautnah erlebe."
Erst kürzlich schilderte ihm ein Bürger die Pflegesituation in seiner Familie und fragte Röttgen: "Wie krank muß meine Mutter denn noch werden, damit sie in Pflegestufe 3 kommt?" In diesem Moment wird der Abgeordnete für den Bürger zum Staat in Person. "Häufig kommt es zu einer Überforderung von uns Abgeordneten", weiß Röttgen, der es dann auch für wesentlich hält, die Menschen darauf hinzuweisen, daß Politik nicht alles kann. Röttgen: "Wir können zum Beispiel keine neuen Arbeitsplätze beschließen, wir können nur Rahmenbedingungen schaffen."
Die Kontakte geben Röttgen viele Einblicke über die oft gar nicht beabsichtigten Folgen, die Politik haben kann. Zugleich sind die Gespräche für ihn aber auch die Chance, Politik zu erklären. Und das hält Röttgen angesichts der immer komplexer werdenden Probleme für eine wesentliche Aufgabe aller Abgeordneten.
Daß Röttgens Abgeordnetenbüro im Hochhaus Tulpenfeld auch als Bürgerbüro dient, überrascht viele Bürgerinnen und Bürger zunächst. Die Abgeordnetenbüros sind auch längst nicht so luxuriös ausgestattet wie von manchen erwartet. Röttgen: "Die Leute sind oft überrascht, wie klein und zweckmäßig unsere Büros sind." Noch einen zweiten Nebeneffekt hat der junge Abgeordnete bei Besuchen in seinem Büro beobachtet: "Die Bürger haben das Gefühl, ihre Anliegen direkt dort vorbringen zu können, wo Politik gemacht wird."

Beispiel Friedhelm Julius Beucher (SPD)

Beucher
Für den nordrhein-westfälischen SPD-Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher ist das Internet zu einem wichtigen Medium des Bürgerkontakts geworden. Er ist nicht nur per E-mail erreichbar ("Das nutzen vor allem junge Leute gern"), sondern hat - wie eine Reihe anderer Abgeordneter auch - eine eigene Homepage im Internet eingerichtet, über der man sich über seine Arbeit informieren kann (http://home.t-online.de/ home/friedhelm.julius.beucher). Und dafür, daß seine elektronischen Adressen im Oberbergischen Kreis bekannt werden, dafür sorgt der SPD-Abgeordnete reichlich.
So bereiste er in den vergangenen Wochen 51 der 52 weiterführenden Schulen seines Wahlkreises, um sie mit den elektronischen Medien des Bundestages wie zum Beispiel CD-ROMs auszustatten. "Bei diesen Besuchen habe ich viel von den Schülern erfahren, zum Beispiel wie sehr sie die Frage von Lehrstellen und der Schulabschluß beschäftigt, und daß viele in der Oberstufe parken, weil sie keine Lehrstelle gefunden haben", sagt Beucher.
Dem 51jährigen kommt auch zugute, daß er nicht nur über zwei Wahlkreisbüros verfügt, eines von beiden sogar im eigenen Haus. Durch seine 23jährige Mitarbeit im Stadtrat von Bergneustadt ist er bekannt bei den Bürgern. Und durch seine Arbeit in den sozialen Projekten.
So gründete Beucher 1983 eine Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit, die inzwischen 224 Beschäftigte hat und seit ihrer Gründung 1.300 Menschen Arbeit geben konnte. Beucher: "Die Menschen kommen mit vielen unterschiedlichen Problemen und Fragen in mein Wahlkreisbüro: Leute, die mit ihren Rentenbescheiden nicht zurechtkommen, Familien mit Finanzproblemen, Arbeitslose, die glauben, ich könnte ihnen sofort eine Stelle vermitteln, Ausländer, die keine Aufenthaltserlaubnis bekommen."
 

Beispiel Gila Altmann (Bündnis 90/Die Grünen)

Altmann
Gila Altmann ist verkehrspolitische Sprecherin der Grünen und seit 1994 Mitglied des Bundestages. Ihr Wahlkreisbüro in Aurich war vor vier Jahren nur halbtags besetzt. "Im Laufe der Jahre ist die Zahl der Anfragen und Briefe und die Zahl der Besuche so explodiert, daß ich das Büro auf anderthalb Stellen vergrößert habe", erläutert sich Gila Altmann. Aufgrund der Lage mitten im Stadtzentrum habe sich das Büro zu einer Anlaufstelle entwickelt.
Die landwirtschaftliche Ausrichtung des Wahlkreises rund um Aurich in Ostfriesland prägt die Wünsche der Bürger, die ins Büro kommen. Die Umweltbelastungen durch zu intensive Hühnermast, Gülle in Straßengräben oder beobachtete Tierquälerei auf einem Bauernhof sind Beispiele der jüngsten Zeit, mit denen Bürger zur Abgeordneten kamen. Neben den Dauerbrennern Rente und Arbeitslosigkeit, die alle Abgeordneten übereinstimmend als wesentliche Themen nennen.
Beim Kontakt mit den zuständigen Behörden, die zuvor oft ohne Erfolg von den Bürgern eingeschaltet worden waren, hilft der 49jährigen ihr Mandat. "Mit der Wucht meines Amtes setze ich mich ein und kann oft eine Lösung erreichen", beschreibt Altmann. Dennoch müsse den Leuten klar sein: "Ich kann keine Wunder vollbringen."
Daß die Bürger überhaupt ihr Büro aufsuchen und ihre Adresse kennen, liegt nach Einschätzung der Abgeordneten auch daran, daß ihr Büro "Runde Tische" organisiere zu so umstrittenen Themen wie der Nutzung der Windkraft und der Streit um die stillgelegte Schienenstrecke Aurich-Abelitz, die zugunsten einer Landstraße abgerissen werden soll.
"Und dann haben wir auch Aida ins Leben gerufen, den Alternativen Infodienst Aurich." Diese Mailbox vernetzt die Kreisverbände der Grünen in Ostfriesland und alle interessierten Bürger unabhängig von einer Parteizugehörigkeit. "Aida ist nützlich, um Informationen auszutauschen und Themen zu diskutieren", so Altmann.

Beispiel Lisa Peters (FDP)

Peters
Die FDP-Abgeordnete und Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft, Lisa Peters aus Buxtehude bei Hamburg, verzichtet auf ein eigenes Büro und bietet den Bürgern gleich ihren Bauernhof als Anlaufstelle an, den ihr Ehemann bestellt. Drei Jahre betrieb sie zunächst ein Wahlkreisbüro in Stade, war aber mit der Resonanz nicht zufrieden. Die Schwellenangst war zu hoch. Jetzt, wo ihr Hof zur Zentralstelle geworden ist, sind die Anfragen stark gestiegen. Vor allem das Fax und die Tochter am Telefon - neben zwei Mitarbeitern, die die Papierarbeit übernehmen - sorgen dafür, daß die Abgeordnete stets erreichbar ist.
Doch meist nutzt Peters den direkten Kontakt. Als langjährige 1. stellvertretende Bürgermeisterin von Buxtehude, durch ihre Arbeit im Stadtrat und im Kreistag, ist sie so bekannt, daß viele Menschen sie ansprechen, wenn sie unterwegs ist.
In den nächsten Wochen wird sie beispielsweise 15 Vorträge vor Landfrauen halten, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei kommt ihr sicher auch zugute, daß sie als Bäuerin die Situation der Frauen kennt und zudem perfekt Plattdeutsch spricht. Barrieren fallen da schnell. Und wenn sie in der Dorfwirtschaft ihres Heimatortes sitzt, dem 600 Seelen zählenden Eilendorf, dann wird auch aus der Bundestagsabgeordneten aus Bonn wieder schnell die Bäuerin von nebenan.

Beispiel Maritta Böttcher (PDS)

Böttcher
Gleich fünf Bürgerbüros unterhält die brandenburgische PDS-Abgeordnete Maritta Böttcher. Ihr zentrales Büro in Jüterbog ist täglich geöffnet, während sie in den Zweigstellen in Königs Wusterhausen, Zossen, Luckenwalde und Blankenfelde Zweigstellen betreibt, in denen sie regelmäßig Sprechstunden anbietet. Sie ist bekannt durch ihre Tätigkeit seit 1990 im Kreistag und den Vorsitz im Jugendhilfeausschuß. Sie engagiert sich in zahlreichen Initiativen, zum Beispiel im "Aktionsbündnis gegen Sozialabbau" und beim "Runden Tisch zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze". Mindestens 20 Einzelfragen bekommt sie pro Woche und viele Anregungen, die sie mit nach Bonn nimmt, um sie in Briefen an Ministerien und in kleinen Anfragen umzusetzen.

Nicht nur die "große Politik" auf der Bonner Bühne beherrscht also den Alltag der 672 Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Gerade über den Petitionsausschuß, aber auch bei ihrer Arbeit vor Ort im Wahlkreis erfahren die Abgeordneten konkret, wo den Bürgerinnen und Bürgern der Schuh drückt. Denn hier haben die Probleme Namen und Gesichter.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9802/9802008
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