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Juli 02/1998
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Milliarden verschwanden im dunkeln

Das DDR-Vermögen unter der Lupe des Untersuchungsausschusses

Die Aufmerksamkeit der Medien, die der 2. Bundestags-Untersuchungsausschuß "DDR-Vermögen" mit seinem Abschlußbericht Mitte Juni fand, hätten sich die 22 Mitglieder des Gremiums während ihrer mühevollen zweieinhalbjährigen Tätigkeit häufiger gewünscht. Denn was in den 96 Sitzungen des Ausschusses stattfand, waren keine abgehobenen Expertendebatten - hier wurden Wirtschaftsverbrechen der jüngsten Geschichte erforscht, die der Bundesrepublik eine zweistellige Milliardensumme gekostet haben (siehe auch S. 51). 92 Personen wurden befragt - darunter Täter und Gehilfen, Ermittler und Zeugen. Als Grundlage für ihre Befragung dienten ganze Regalwände voller Akten aus dem Stasi-Archiv, aus dem Bestand der Treuhandanstalt, aus den Dokumentationen von Bundesministerien und Behörden. Ein großer Stab von Mitarbeitern durchforstete mehr als 200.000 Blatt an Unterlagen, um die Anhörungen vorzubereiten. Zur Verfügung standen den Parlamentariern zudem die Unterlagen zweier Untersuchungsausschüsse der vergangenen Wahlperiode, die sich mit der Tätigkeit des DDR-Außenhandelsbereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) und der Treuhandanstalt beschäftigt hatten.

Umfassender Untersuchungsauftrag

Nachgehen sollten die Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien - an der Spitze der Vorsitzende Volker Neumann (SPD) und sein Stellvertreter Bertold Reinartz (CDU/CSU) - der Frage, ob, durch wen und wieviel Vermögen aus der ehemaligen DDR in dunklen Kanälen verschwunden ist. Zu prüfen war hierbei in erster Linie, welche Rolle die Staatssicherheit der DDR (Stasi) und das mehr als 220 Firmen auf allen fünf Erdteilen umfassende Firmenimperium des Chef-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski bei dem Beiseiteschaffen von Geldern spielten. Kritisch beleuchten wollten die Abgeordneten zudem die Arbeit der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgebehörde BvS: Welche Fehler und Unzulänglichkeiten sind bei der Privatisierung von DDR-Betrieben aufgetreten? Wo haben Ost-West-Seilschaften in die eigene Tasche gewirtschaftet? In welchen Fällen haben möglicherweise Treuhand und BvS ihre Aufsichtspflichten verletzt?

Von dubios bis kriminell

Spannend wurden die Anhörungen immer dann, wenn sich einige der Zeugen durch das geschickte Fragespiel der Abgeordneten in Widersprüche verwickelten und mehr preisgaben, als sie eigentlich beabsichtigt hatten. Etwa der erfolgreiche DDR-Manager, der dank seiner guten Beziehungen die Wende als erfolgreicher und geschätzter Geschäftsmann überstanden hatte, dem man angeblich keine Verfehlung anhängen könne - kleinlaut mußte er schließlich einräumen, jahrelang ein Geheimkonto in der Schweiz für die Stasi geführt zu haben. Oder ein früherer regionaler Stasi-Chef, der dem Ausschuß erst überhaupt nicht Rede und Antwort stehen wollte, nachher aber mehr über seine dubiose Rolle in der Wendezeit preisgeben mußte, als ihm lieb war.
Geheime Gelddepots, unentdeckte Stasi-Firmen oder unbekannte Seilschaften enttarnte der Ausschuß zwar nicht. Das ist auch nicht seine Aufgabe gewesen; vielmehr dient ein solches Gremium als wichtiges Kontrollinstrument des Parlaments und - da er öffentlich tagt - der Gesellschaft. Im wesentlichen trug der Ausschuß daher zusammen, was an Erkenntnissen in den deutschen Bundes- und Ermittlungsbehörden vorhanden ist. Diese Erkenntnisse wurden vom Ausschuß in Zusammenhang gesetzt, überprüft und einer kritischen Bewertung unterzogen.

Beispiele

Untersucht haben die Parlamentarier aber beispielsweise auch die Rolle der Treuhandanstalt bei der Affäre um die Bremer Vulkan Verbund AG, die 854 Millionen Mark, die für die Sanierung der Ostwerften bestimmt waren, ins Cash Management des Konzerns umgeleitet hatte. Der Untersuchungsausschuß kam in seiner Mehrheit zu dem Ergebnis, daß Treuhandanstalt und BvS sowie die Bundesregierung "die notwendige und nach den Umständen mögliche Sorgfalt haben walten lassen". Diese Aufgabe sei jedoch durch die "mit dem Anwachsen der finanziellen Schwierigkeiten der BVV AG zunehmenden Täuschungshandlungen von seiten der BVV massiv beeinträchtigt" worden. Die Opposition im Untersuchungsausschuß wirft der Treuhand hingegen vor, sie habe gravierende Mängel bei der Vertragsgestaltung für den Verkauf der Ostwerften zugelassen, das Controlling der Behörde habe versagt.

Machenschaften der Stasi

Einer der Schwerpunkte in der Ausschußarbeit war die Aufklärung der kriminellen Machenschaften einer Seilschaft aus ehemaligen Stasi-Offizieren und einer weltweit operierenden Firmengruppe aus Wien. Durch Scheingeschäfte dieser Firmengruppe sind in der Wendezeit mehr als 200 Millionen DM aus dem DDR-Staatshaushalt abgezogen und in Unternehmensgründungen hochrangiger Stasi-Offiziere investiert worden. Insgesamt geht es um einen Schaden von mehr als einer Viertelmilliarde Mark.
In einem anderen Fall, mit dem sich der Ausschuß befaßte, ging es um 17 Millionen Mark, die im ersten Halbjahr 1990 von einem Geheimkonto der Stasi verschwunden waren. Das Geld war von einem hochrangigen Offizier der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) über die Schweiz nach Österreich verschoben worden. Gegen den mutmaßlichen Haupttäter wird derzeit in Berlin wegen Betrugs und Untreue verhandelt.
Daß ein Untersuchungsausschuß in einer Kontrollfunktion Fehlentwicklungen aufdecken und die Mitverantwortlichen zum Handeln veranlassen kann, hat auch dieser bewiesen: Zum Beispiel, als die Parlamentarier den Bundesnachrichtendienst zwangen, über Jahre zurückgehaltene Disketten der Stasi mit Angaben über westliche - und vor allem westdeutsche - Embargolieferanten herauszugeben.
Nicht immer waren sich die Abgeordneten im Ausschuß in der Bewertung der von ihnen gewonnen Erkenntnisse einig. Immerhin aber trugen die Fraktionen gemeinsam einen großen Teil der Feststellungen des Abschlußberichtes. In Teilfragen, etwa bei den Hintergründen der Leuna-Privatisierung und der Vulkan-Affäre, gab es allerdings unterschiedliche Bewertungen. Hier machten SPD und Bündnis 90/Die Grünen von ihrem Minderheitsrecht auf eine abweichende Bewertung Gebrauch.
Nicht festlegen wollte und konnte sich der Ausschuß allerdings auf die Höhe des Schadens, der durch die Vereinigungskriminalität der Bundesrepublik entstanden ist. Der Ausschußvorsitzende Volker Neumann (SPD) berief sich bei dieser Frage auf den Berliner Generalstaatsanwalt Schaefgen, der von einer Gesamtsumme zwischen drei und zehn Milliarden Mark sprach. Das aber bezieht sich nur auf die bekannten Fälle - niemand weiß, was noch im dunkeln liegt.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9802/9802087
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