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Dezember 05/1998
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Experten uneins im Urteil über "Scheinselbständigkeit"

(as) Der Kriterienkatalog zur Abgrenzung von abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit sowie die geplante Beweislastumkehr standen am 26. November im Mittelpunkt der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Basis des Hearings war der Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (14/45).
Bei der Anhörung ging es vor allem um den Bereich der "Scheinselbständigkeit" und die Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Die Vertreterin der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) erklärte, die Personen, die im Bereich der Scheinselbständigkeit arbeiteten, seien besonders schutzbedürftig. Wollten sie an den sozialen Sicherungssystemen teilhaben, müßten sie die Beiträge eigenständig einzahlen. Dies sei aber bei den meisten Scheinselbständigen aufgrund der prekären finanziellen Situation nicht möglich. Der oftmals vormalige Arbeitnehmer und jetzige Auftraggeber entziehe sich seiner Verantwortung.
Der Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betonte hingegen, der Begriff der Scheinselbständigkeit sei kein Rechtsbegriff, sondern ein "politischer Kampfbegriff". Sämtliche diskutierten Kriterien seien völlig ungeeignet zur Feststellung einer Scheinselbständigkeit. Es gebe entweder Selbständige oder Arbeitnehmer. Die Anzahl derer, die in einer Grauzone arbeiteten, liege bei maximal 180.000 Personen.

Neue Beschäftigung

In eine ähnliche Richtung argumentierte das Institut der Deutschen Wirtschaft. Dessen Vertreter legte dar, es sei wichtig, festzustellen, inwieweit Scheinselbständigkeit die Verdrängung bestehender Beschäftigung sei oder das Entstehen neuer Beschäftigung. Die These, daß es eine sogenannte Flucht aus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gebe, sei nicht haltbar. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der gesamten volkswirtschaftlichen Beschäftigung liege konstant bei etwa 80 Prozent. Man könne einen Aufwuchs neuer Beschäftigungsformen konstatieren, zu denen auch die sogenannte Scheinselbständigkeit gehöre, die sich um den "Kern" der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bilde.

Kriterien brauchbar

Von den Einzelsachverständigen betonten vor allem Dr. Jürgen Brand (Präsident des Landessozialgerichtes NRW) und Dr. Hans-Jürgen Kretschmer (Richter am Landessozialgericht Berlin) die Praktikabilität des von der Koalition vorgeschlagenen Kriterienkatalogs zur Feststellung von Scheinselbständigkeit. Es müsse aber gesehen werden, daß diese Kriterien unterschiedliche Qualität hätten. So sei es im Prinzip richtig, einen Ein-Mann-Betrieb als scheinselbständigen Betrieb zu definieren, in der Phase der Existenzgründung greife dies jedoch nicht. Auch das Kriterium der Bindung an nur einen Vertragspartner sei zwar prinzipiell richtig, es gebe jedoch zum Beispiel Probleme in der Automobilindustrie. Ein ganz wichtiges Kriterium sei das Auftreten am Markt aufgrund unternehmerischer Tätigkeiten. Für die Rechtsprechung werde es interessant sein, dies "auszufüllen", so Brand. Ein eher schlechtes Kriterium - vor allem mit Blick auf zunehmendes Outsourcing - sei die Festlegung, daß eine Scheinselbständigkeit dann vorliege, wenn eine für Beschäftigte typische Arbeitsleistung erbracht werde. Kretschmer hob den großen Fortschritt in der Praxis durch die Beweislastumkehr hervor. Bisher sei die Ermittlung für die Sozial- und Arbeitsgerichte sehr schwer gewesen.
Der Vertreter des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger schloß sich dem an und meinte, auch für die Sozialversicherungsträger sei die Neuregelung besser, da diese nun nicht mehr den Nachweis führen müßten, ob es sich um eine Scheinselbständigkeit handele.
Dem hielt Professor Dr. Karl-Georg Loritz von der Universität Bayreuth entgegen, der Kriterienkatalog erleichtere zwar durchaus die Arbeit der Sozialgerichte, erhöhe aber nicht die Treffsicherheit der Entscheidungen. Massive Bedenken gegen die Gesetzesinitiative äußerte der Vertreter des Deutschen Franchiseverbandes (DFV). Es gebe zwar auch im Franchisesektor Mißbräuche gesetzlicher Regelungen, dem DFV sei jedoch allein schon aus eigenem Interesse daran gelegen, diesen Mißbrauchsmöglichkeiten einen Riegel vorzuschieben. Der Gesetzentwurf gehe jedoch über das angestrebte Ziel hinaus. Anders als bei Scheinselbständigen, die von einem Arbeitsverhältnis in eine freiberufliche Tätigkeit gedrängt werden, sei der Franchisenehmer nur in Ausnahmefällen Arbeitnehmer des Franchisegebers. Die Suche und Auswahl potentieller Franchisepartner erfolge fast immer auf dem freien Markt. Die Franchisenehmer müßten nun aber befürchten, künftig nicht nur der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht zu unterliegen, sondern auch durch einen "unbedachten Federstrich" den selbständigen Status zu verlieren.

ZDH: "Rolle rückwärts"

Beim zweiten Themenschwerpunkt der Anhörung - den Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz - begrüßte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die geplante Entfristung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Praxis und europäisches Recht machten eine solche Entfristung notwendig. Zudem stärke die geplante Neuregelung die Autonomie der Tarifvertragsparteien in der Baubranche, so der DGB in seiner Stellungnahme. Von ihnen ausgehandelte Tarifverträge über Mindestentgelte und Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer könnten nun nicht mehr durch das Veto unbeteiligter Dritter in Frage gestellt werden. Der besonderen Schutzbedürftigkeit ausländischer Arbeitnehmer und der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer am selben Arbeitsort und in derselben Branche werde damit Rechnung getragen.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bewertete den Regierungsentwurf völlig konträr zum DGB. Anstatt den Kurs der Flexibilisierung fortzuführen, versuche die neue Regierung nach dem Prinzip "Rolle rückwärts" die Vorschriften wieder in die "Steinzeit" zurückzuführen. Die geplanten Änderungen stellten einen Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie dar. Es werde versucht, den Tarifpartnern ein "Tarifgitter" vorzugeben, das mittelbar auf benachbarte Gewerbe Einfluß hätte.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9805/9805022
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