titelthema
Der Bundestag im Reichstagsgebäude
von Carl-Christian Kaiser
Das Reichstagsgebäude macht es kurz. Ein paar Schritte nur
sind nötig, die große Freitreppe hinauf, dann durch die
mächtigen Säulen des Portals – und schon ist von
der hohen Empfangshalle aus durch Glaswände auch das
Herzstück des Deutschen Bundestages in seinem neuen Berliner
Gebäude zu sehen: der Plenarsaal.
In keinem anderen Plenargebäude des Parlaments, allenfalls
mit Ausnahme des vorübergehenden Quartiers im Bonner
"Wasserwerk", ist dieser Weg so kurz und der erste Blick auf das
Plenum so rasch möglich gewesen. Der allererste Plenarsaal in
Bonn verbarg sich hinter seinen Eingangstüren. Ähnlich im
"Wasserwerk". Und der Blick auf den dritten und letzten Bonner
Sitzungssaal öffnete sich trotz der gläsernen
Durchsichtigkeit des ganzen neuen Parlamentstrakts erst, nachdem
die weitläufige Lobby durchschritten war.
Anders also im historischen Berliner Reichstag. Mehr noch als in
allen vorhergehenden Gebäuden beherrscht der Plenarsaal den so
gründlich umgestalteten mächtigen Bau, nicht zuletzt
durch seine bis zum Fuß der schon berühmten Glaskuppel
hinaufreichende Höhe. Fast alle Stockwerke sind um ihn herum
gruppiert; aus vielen Blickwinkeln kann er eingesehen werden.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Über die große Freitreppe und durch die
mächtigen Säulen des Portals hindurch gelangt der
Besucher in die Empfangshalle des
Reichstagsgebäudes. |
Um so deutlicher wird, dass sich hier das Zentrum der
parlamentarischen Demokratie befindet. Wie in einem Brennglas
bündeln sich ja im Plenum des Bundestages entscheidende
Merkmale der parlamentarischen Ordnung und Arbeit. Das gilt
für den Wettstreit der Meinungen vor aller Augen und Ohren
ebenso wie für die öffentliche Beschlussfassung, für
das Gegenüber von Regierungsmehrheit und Opposition nicht
minder wie für die Auseinandersetzung nach bestimmten
Spielregeln. Das Plenum ist die für alle parlamentarischen
Aufgaben ausschlaggebende Instanz. Wird die Souveränität
des Bundestages als höchstes demokratisches Organ nur von den
Verfassungsbestimmungen begrenzt, ist er keinerlei Aufsicht oder
Weisungen unterworfen, sondern regelt er seine Angelegenheiten
selbst, so drückt sich dies in erster Linie in seinem Plenum
aus. Über seine Zusammenkünfte, die Art und Weise seiner
Beratungen und die Erledigung seiner Aufgaben befindet er aus
eigenem Recht.
Die Beratung und Beschlussfassung über die
Gesetzentwürfe in einem genau festgelegten Verfahren ist das
Wichtigste und das tägliche Brot. Alle Gesetzesvorlagen gehen
an den Bundestag. Nicht weniger herausragend ist die Bestellung des
Regierungschefs. Die Wahl des Bundeskanzlers – und ebenso
dessen Sturz durch die Wahl eines Nachfolgers – ist allein
Sache des Parlaments. Schließlich, als dritte Hauptaufgabe,
die Kontrolle der Regierung: Dafür verfügt der Bundestag
über ein breit gefächertes Instrumentarium, das von
Anfragen in verschiedener Form, zu denen die Regierung Rede und
Antwort stehen muss, bis zu Untersuchungsausschüssen reicht.
Vor allem aber: Ohne Zustimmung des Parlaments kann auch das
alljährliche Haushaltsgesetz, das in Zahlen gefasste
Regierungsprogramm mit allen Einnahmen und Ausgaben des Staates,
nicht verwirklicht werden. Das Recht, über den Staatsetat zu
entscheiden, ist das wichtigste Kontrollinstrument des Bundestages,
und stets sind die Haushaltsdebatten, in denen es immer auch um die
Grundzüge der Regierungspolitik geht, einer der
Höhepunkte des Parlamentsjahres.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Das Ostfoyer des Reichstagsgebäudes - Zugang
für Parlamentarier, Minister, Staatsgäste. |
Aber mit den Rollen als Gesetzgeber, Wahlorgan für den
Kanzler, Regierungskontrolleur und mit anderen Aufgaben hat es
keineswegs sein Bewenden. Vielmehr soll im Bundestag jenseits aller
Einzelthemen, Fachfragen, Detailprobleme und Tagesarbeit immer
wieder auch zur Sprache kommen, was die Wähler allgemein
bewegt, die Nation beschäftigt oder sogar die ganze Welt in
Atem hält. Nicht selten werden die Debatten darüber zu
großen Stunden, in denen das Parlament alle Aufmerksamkeit auf
sich zieht. Dann wird am deutlichsten, was seine vornehmste Rolle
ausmacht: das "Forum der Nation" zu sein, auf dem sich die Menschen
mit ihren Problemen und Wünschen, Sorgen und Fragen
wiederfinden.
Um so sinnfälliger, dass im Reichstagsgebäude der
Plenarsaal noch mehr als an allen früheren Beratungsorten des
Bundestages den zentralen Platz einnimmt und sofort ins Auge
fällt. Die ganze erste Etage des Reichstags, die Plenarebene,
ist den Abgeordneten, ihren Mitarbeitern und dem Parlamentspersonal
vorbehalten. Zur besseren Orientierung ist sie, wie alle anderen
Stockwerke, mit einer bestimmten Farbe gekennzeichnet: Blau an
allen Türen und anderen markanten Punkten. Gegenüber dem
hellen Grau und Silber, dem Sandstein, Stahl und vielem Glas und
den wuchtigen, quaderhaften Formen, die das alte Gebäude
weiter prägen, heben sich die Farben wirkungsvoll ab.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Der Deutsche
Bundestag im Reichstagsgebäude. |
Ist das große Westportal hauptsächlich für die
Besucher des Bundestages bestimmt, so dient das Ostportal an der
gegenüberliegenden Seite des Reichstagsgebäudes, wo es
auch genügend Vorfahrtsmöglichkeiten gibt, vor allem den
Abgeordneten. Sie erreichen von dort aus die über dem
Erdgeschoss mit seinen technischen Installationen liegende
Plenarebene und den Plenarsaal. Wie ein Kranz umgeben ihn
Räume und Einrichtungen, die für die Arbeit zumal an
Debattentagen nötig oder nützlich sind: Wandelhallen
für die oft wichtigen Gespräche am Rande, eine
Präsenzbibliothek zum Nachschlagen von Daten und Fakten
während der Debatten, Ruhe- und Aufenthaltsräume, auch
für die Mitglieder der Regierung, ein Lobby- und Clubraum, ein
größeres Restaurant sowie eine Cafeteria und ein kleines
Bistro. Ebenso gibt es einen Andachtsraum, in dem sich Abgeordnete
zu den morgendlichen Gottesdiensten versammeln können; nur
durch einen schmalen seitlichen Spalt einfallendes Licht verleiht
ihm eine besondere Atmosphäre.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
In den Wandelhallen, die um den Plenarsaal herum
angeordnet sind, treffen sich die Parlamentarier für wichtige
Gespräche am Rande von Plenarsitzungen. |
Einen ganz eigenen Akzent geben dem Raum auch die an die
Wände gelehnten Gebots- und Nageltafeln von Günther
Uecker – eines der vielen Kunstwerke, die im ganzen Haus zu
finden sind. Auf allen Ebenen gibt es, von renommierten in- und
ausländischen Künstlern, Gemälde, Bilder, Plastiken,
Installationen und andere Arbeiten in zahlreichen Ausdrucksformen.
Die meisten sind eigens für den Bundestag geschaffen worden.
Andere sind aus dem Besitz der Künstler angekauft worden oder
als Leihgaben zu sehen.
Besonders ins Auge fallen in der Eingangshalle am großen
Westportal das hohe Rechteck aus den leicht verfremdeten
Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold von Gerhard Richter und
gegenüber die Leuchtkästen mit politischen und
geschichtlichen Motiven von Sigmar Polke, die sich durch eine
spezielle Technik ständig zu verschieben scheinen. Die Maler
Georg Baselitz, Gotthard Graubner, Bernhard Heisig, Anselm Kiefer,
Markus Lüpertz, Wolfgang Mattheuer, Emil Schumacher und viele
andere sind ebenso vertreten wie Joseph Beuys mit einer
Installation oder Ulrich Rückriem mit zwei Bodenreliefs. Von
Katharina Sieverding stammt eine große Fotoarbeit, die
zusammen mit Dokumentationsbüchern an die vielen von den Nazis
ermordeten und verfolgten Mitglieder des alten Deutschen Reichstags
erinnert. Die Beispiele aus der gegenwärtigen deutschen und
internationalen Kunstszene tragen noch viele andere Namen.
Öffentlichkeit gehört zu den Lebensprinzipien einer
parlamentarischen Demokratie. Ohne dieses Prinzip wäre das
Parlament als "Forum der Nation" nicht denkbar. Deshalb bestimmt
das Grundgesetz: "Der Bundestag verhandelt öffentlich." Zwar
kann der Ausschluss der Öffentlichkeit von einem Zehntel der
Abgeordneten oder von der Bundesregierung beantragt werden. Aber zu
einem entsprechenden Beschluss ist die Zweidrittelmehrheit
nötig. Die hohe Hürde zeigt, wie sehr Verhandlungen
hinter verschlossenen Türen als absolute Ausnahme verstanden
werden. Tatsächlich ist bisher noch nie verlangt worden, dass
das Plenum im Geheimen beraten solle.
Seit alle wichtigen Debatten von Fernsehen und Rundfunk direkt
übertragen werden, hat das Prinzip der Öffentlichkeit
noch ein viel größeres Gewicht als in früheren
Jahren. Aber die Öffentlichkeit, das sind vor allem auch und
in unmittelbarem Sinne die Besucher der Parlamentssitzungen.
Für sie ist, mit der Kennfarbe Grün, im
Reichstagsgebäude gleich die nächste Etage über der
Plenarebene für die Abgeordneten bestimmt. Auch hier geht es
direkt in den Plenarsaal, nämlich auf sechs Tribünen
für Besucher, Gäste und die Presse. Über den
Abgeordnetensitzen sind sie so weit in den Plenarsaal
hineingezogen, dass alles wie zum Anfassen erscheint: Demokratie
direkt, wie auf Tuchfühlung. Fast sieht es so aus, als
säßen auch die Zuschauer mitten im Plenum.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Der Clubraum. |
Auch in Berlin fällt der Blick zuerst auf den an der
gläsernen Stirnwand des Plenarsaals angebrachten großen
Bundestagsadler. Links und rechts neben dem Adler zeigen auf
Lichtstreifen rote Ziffern den gerade behandelten
Tagesordnungspunkt und die Uhrzeit an, während ein grünes
"F" signalisiert, dass die Sitzung vom Fernsehen direkt
übertragen oder aufgenommen wird. Von den Besuchern aus
gesehen steht unterhalb des Adlers links die Bundesflagge und
rechts die Europafahne. Zu seinen Füßen befinden sich die
etwas herausgehobenen Plätze des Sitzungspräsidenten und
der beiden Schriftführer aus den Bundestagsfraktionen sowie
der Parlamentsbeamten, die den Präsidenten bzw. die
Präsidentin bei der Leitung der Sitzung unterstützen. Vor
diesen Plätzen steht das Rednerpult, und davor haben die
Stenographen, die jedes Wort festhalten, ihre schmale Bank.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Blick in die Abgeordneten-Lobby auf der
Plenarebene. |
Wiederum von den Besuchertribünen aus gesehen, sind links
vom Sitzungspräsidenten die Plätze für den
Bundeskanzler, die Minister sowie ihre Mitarbeiter und rechts die
Plätze des Bundesrates, der Vertretung der Länder,
angeordnet. Die beiden Stühle, die dem Präsidentenpodest
am nächsten stehen, sind dem Kanzler bzw. dem
Bundesratspräsidenten vorbehalten.
Gegenüber der flachen, nach innen gekrümmten Ellipse,
die das Präsidentenpodest, die Regierungs- und die
Bundesratsbank bilden, erstreckt sich in Form eines
Dreiviertelkreises das weite Rund der Sitze für die insgesamt
669 Abgeordneten. Abermals von den Besuchern aus gesehen, beginnen
die Sitze links mit den Plätzen für die Parlamentarier
der F.D.P. Darauf folgt die CDU/CSU, dann das Bündnis 90/Die
Grünen. Den größten Teil der rechten Hälfte
nehmen die Abgeordneten der SPD ein, bevor der Dreiviertelkreis mit
den Sitzen der PDS abschließt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Das Bistro. |
So also der Ort, an dem debattiert und entschieden wird, das
Zentrum des Bundestages und der parlamentarischen Demokratie. Auf
der Besucherebene, zu der auch in der Größe variable
Vortragssäle sowie Arbeitsräume für die Presse
gehören, ist man ihm am nächsten. Hier geht es um Rede
und Gegenrede, Argument und Gegenargument, um die Darstellung von
Problemen und die Debatte über ihre Lösung, um die
Begründung der verschiedenen Standpunkte und die
Rechtfertigung von Entscheidungen, um Streit und Wettbewerb
zwischen den einzelnen Fraktionen und zumal zwischen dem
Regierungslager und der Opposition. Einerseits dient dies alles der
öffentlich wirksamen Kritik und Kontrolle, andererseits der
öffentlichen Erläuterung und Durchsetzung der
Regierungspolitik – und damit insgesamt der Information sowie
der Urteils- und Willensbildung der Bürger.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Die Cafeteria. |
Auch in der "Laufbahn" der Abgeordneten spielt das Plenum eine
bedeutende Rolle. Von der Häufigkeit, mit der ein Abgeordneter
am Rednerpult steht, lässt sich zwar nicht ohne weiteres auf
größeren Fleiß als bei anderen Parlamentsmitgliedern
schließen, wohl aber auf den Rang und den Einfluss in seiner
Fraktion und das Gewicht, das ihm dort für die
Repräsentation nach außen zugemessen wird. Dabei handelt
es sich sowohl um Abgeordnete, die an der Spitze der Fraktion
stehen, als auch um Parlamentarier, die auf bestimmten Gebieten
besonders sachverständig sind. Und nicht wenige Abgeordnete
haben durch eine große Rede im Plenum mit einem Schlag viel
Reputation innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen
erworben.
Über dem Besuchergeschoss liegt, Kennfarbe Burgunderrot,
die Präsidialebene – Arbeits- und
Repräsentationsbereich in einem. Der Bundestagspräsident
ist der höchste Repräsentant des Parlaments, und zusammen
mit seinen gegenwärtig fünf Stellvertretern aus allen
Bundestagsfraktionen bildet er das Präsidium als oberstes
Gremium des Parlaments. Sein hoher Rang wird schon dadurch
hervorgehoben, dass er nach dem Staatsoberhaupt, dem
Bundespräsidenten, in der protokollarischen Reihenfolge den
zweiten Platz einnimmt, noch vor dem Bundeskanzler oder den
Präsidenten anderer Verfassungsorgane.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Der Plenarsaal, das Zentrum der Parlamentarischen
Demokratie, ist von unterschiedlichen Seiten einsehbar. |
Diese Reihenfolge steht für den Vorrang der gesetzgebenden
vor der ausführenden Gewalt, der Legislative vor der
Exekutive, des Bundestages vor der Regierung, und sie drückt
sich auch in anderen Einzelheiten aus. So ist der
Parlamentspräsident der Adressat aller Gesetzentwürfe und
anderer Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates und
natürlich auch aller Eingaben aus den Reihen des Bundestages
selbst. Er besitzt auch das Hausrecht und die Polizeigewalt im
Bundestag und trifft gemeinsam mit seinen Stellvertretern die
wesentlichen Personalentscheidungen bei der Verwaltung des
Parlaments.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Der Bundestagspräsident ist der höchste
Repräsentant des Parlaments. Er eröffnet, leitet und
schließt die Zusammenkünfte des Plenums. |
Am deutlichsten freilich wird seine Stellung und die seiner
Stellvertreter während der Bundestagssitzungen. Der
Präsident eröffnet, leitet und schließt die
Zusammenkünfte des Plenums. Weil die Sitzungsleitung nach
einem vorher vereinbarten Rhythmus, meistens nach zwei Stunden, zu
wechseln pflegt, fällt diese Aufgabe auch seinen
Stellvertreterinnen bzw. Stellvertretern zu. Der Vorsitz ist, bei
aller häufigen Routine, kein leichtes Geschäft. Immer
steht er unter dem Gebot, die Beratungen gerecht und unparteiisch
zu leiten. Eine Vorstellung davon gibt jener Paragraph in der
Geschäftsordnung des Bundestages, in dem es heißt: "Der
Präsident bestimmt die Reihenfolge der Redner. Dabei soll ihn
die Sorge für sachgemäße Erledigung und
zweckmäßige Gestaltung der Beratung, die Rücksicht
auf die verschiedenen Parteirichtungen, auf Rede und Gegenrede und
auf die Stärke der Fraktionen leiten; insbesondere soll nach
der Rede eines Mitglieds oder Beauftragten der Bundesregierung eine
abweichende Meinung zu Wort kommen."
Als beherrschender Grundsatz gilt, dass bei den Debatten
zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, besonders
wenn sie miteinander rivalisieren, Chancengleichheit bestehen soll.
In der Praxis bezieht sich dies vor allem auf das Verhältnis
zwischen der Regierung bzw. den Mehrheitsfraktionen und der
Opposition. Die öffentliche Kritik und Kontrolle ist in erster
Linie Aufgabe der Opposition. Den Mehrheitsfraktionen kommt vor
allem die Aufgabe zu, die Regierungspolitik mit ihrer
Majorität im Bundestag durchzusetzen und zu verteidigen. Sie
üben ihre Kontrolle eher informell und intern aus.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Von der Kuppel kann man direkt in den Plenarsaal
hinunterschauen. |
Aber kritische Diskussionen über die Regierungspolitik und
im Einzelnen abweichende Meinungen gibt es durchaus auch bei ihnen.
Als Folge muss die Regierung von vornherein auch darauf achten,
für ihre Vorlagen in den eigenen parlamentarischen Reihen
Zustimmung und Mehrheiten zu finden. Sie kann nicht gegen das
Parlament regieren. Ihre Bundestagsmehrheit ist kein bloßer
"Erfüllungsgehilfe". Erst recht nicht sind es die
Oppositionsfraktionen. So übt im Endeffekt auch das Parlament
als Ganzes seine Kontrollaufgaben aus.
Der Sitzungspräsident soll auch die Ordnung im Hause
wahren. Dazu gehört, dass er, wenn nötig,
Auseinandersetzungen und Verhaltensweisen als unparlamentarisch
zurückweisen und notfalls Abgeordnete zur Ordnung rufen kann.
Nach dreimaligem Ordnungsruf während einer Rede muss er ihm
das Wort entziehen. Bei gröblichen Verletzungen der Ordnung
kann er Parlamentarier des Saales verweisen, im äußersten
Fall für längere Zeit. Wird die Debatte durch Unruhe
gestört, kann sie der Präsident bzw. die Präsidentin
auf unbestimmte Zeit unterbrechen oder die Sitzung aufheben.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Die Sitzverteilung im 14. Deutschen Bundestag (669
Abgeordnete). |
Bei der Regelung der Parlamentsangelegenheiten steht dem
Bundestagspräsidium der Ältestenrat zur Seite. Dort
führt der Präsident in einem Kreis den Vorsitz, dem
außer ihm und seinen Stellvertretern 23 nach den
Stärkeverhältnissen der Fraktionen bestimmte Abgeordnete
angehören. Dabei handelt es sich freilich nicht um die
ältesten Mitglieder des Hauses, weder nach der Dauer der
Zugehörigkeit zum Bundestag noch nach Lebensjahren. Aber
erfahrene Parlamentarier sind sie durch die Bank. Ihre wichtigste
Aufgabe besteht darin, den Arbeitsplan des Bundestages und die
Tagesordnung für die Plenarsitzungen aufzustellen. Wann
welches Thema in welchem Umfang behandelt werden soll, ist nicht
ohne Bedeutung. Hin und wieder sind die Meinungsverschiedenheiten
so groß, dass in dem sonst auf Kooperation, Kompromiss,
Kollegialität und einstimmige Beschlüsse angelegten
Ältestenrat dennoch keine Einigung zustande kommt und das
Plenum selbst als letzte Instanz entscheiden muss.
Eine andere Aufgabe des Ältestenrats besteht darin,
Streitfragen zu erörtern und möglichst zu schlichten, die
mit der Würde und den Rechten des Hauses oder mit der
Auslegung von Geschäftsordnungsbestimmungen zu tun haben.
Alles in allem ist er, ohne dass er dem Bundestagsplenum als letzte
Instanz etwas völlig vorwegnehmen könnte, eine Art
Lenkungsinstrument, das der Vollversammlung des Parlaments viele
zeitraubende formelle Entscheidungen erspart, und ein wichtiges
Verbindungsglied sowohl zwischen den Fraktionen als auch zwischen
ihnen und dem Präsidium.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Im Plenarsaal findet der Wettstreit der Meinungen vor
den
Augen und Ohren der Öffentlichkeit
statt.
|
Vertritt der Bundestagspräsident nach außen das ganze
Parlament und regelt er nach innen zusammen mit seinen
Stellvertretern und dem Ältestenrat die
Bundestagsangelegenheiten, so spiegelt sich dies auch auf der
Präsidialebene des Parlamentsgebäudes wider.
Repräsentations- und Arbeitsräume mischen sich. Der
Repräsentation dienen sowohl ein großer und ein kleiner
Empfangssaal als auch ein Speisesaal mit eigener Küche. Der
andere Teil der Etage besteht hingegen außer den Räumen
des Präsidenten, zu denen auch ein kleiner Ruheraum und ein
Bad gehören, aus einem Sitzungssaal des Ältestenrats, aus
Besprechungszimmern sowie den Büros der engsten Mitarbeiter
des Präsidenten und der Verwaltungsspitze des Parlaments.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Plätze im Plenum: Hier sitzen die
Bundestagsabgeordneten während der
Plenarsitzungen. |
Im Übrigen: Kein Zufall wohl, dass der Präsident aus
seinem Arbeitszimmer auf das in einiger Entfernung
gegenüberliegende neue Kanzleramt blicken kann. Zwar stehen im
Bundestag – anders als zu den Anfängen des
Parlamentarismus im Kaiserreich, als das Parlament insgesamt als
Widerpart der Regierung begriffen wurde – das Regierungslager
auf der einen und die Opposition auf der anderen Seite. Aber die
grundsätzliche Gewaltenteilung zwischen Legislative und
Exekutive ist davon nicht berührt. So wirkt in Berlin das
geographische Gegenüber von Parlament und
Präsidialbüro hier und Kanzleramt dort auch wie ein
Symbol.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Präsidium und Ältestenrat regeln zusammen die
Geschäfte des Bundestages. |
Auch die Abgeordneten und weitere Gremien im Plenargebäude
unterzubringen, wäre unmöglich. Sie werden ihre
Büros und Beratungsräume in unmittelbar benachbarten
neuen Bauten haben. Bis diese Bauten fertig sind, wird ohnehin noch
viel Improvisation nötig sein, auch im Reichstag. Wohl aber
haben dort die Fraktionen ihren festen Platz, auf der vierten Ebene
mit der Kennfarbe Grau. Ihre Versammlungssäle, Vorstandszimmer
und Vorräume gruppieren sich um eine ausgedehnte Presselobby,
die auch für ganz große Empfänge und anderes genutzt
werden kann. Teil der Fraktionsräume sind auch die vier
Ecktürme des Reichstags, die eine besondere
Beratungsatmosphäre schaffen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Blick von der Fraktionsebene auf die
Kuppel. |
Dass die Fraktionen im Reichstagsgebäude angesiedelt sind,
macht viel Sinn. Als Zusammenschlüsse aller Abgeordneten einer
Partei – oder verwandter Parteien – sind sie im
parlamentarischen Getriebe wichtige, oft ausschlaggebende
Schaltstellen. Nicht nur, dass sie zum Beispiel über die
Einbringung von Gesetzentwürfen oder die jeweilige politische
Marschroute für die Plenardebatten entscheiden. Vielmehr sind
sie oft auch so etwas wie "Parlamente im Parlament". Auch innerhalb
der einzelnen Parteien gibt es ja unterschiedliche Richtungen und
Meinungen. Zwar stimmen die Mitglieder einer Fraktion in der
politischen Grundhaltung überein, jedoch keineswegs von
vornherein auch in allen Einzelfragen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Sitzung des Ältestenrates. |
Deshalb kommt es, wie im Plenum zwischen den Parteien, auch
innerhalb der Fraktionen immer wieder zu lebhaften und manchmal
sehr kontroversen Auseinandersetzungen, bevor die verschiedenen
Standpunkte geklärt und möglichst auf einen Nenner
gebracht sind. Zumindest im Stadium der Diskussion und
Willensbildung sind die Fraktionen keine geschlossenen Heerhaufen.
Auch lassen sich gelegentlich Minderheiten von der Generallinie
nicht überzeugen. Und wie im Plenum können ebenso die
Debatten in den Fraktionen zur großen Stunde einzelner
Abgeordneter werden. Schon manche Parlamentskarriere hat auch auf
diese Weise begonnen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
In Fraktionssitzungen werden oft die entscheidenden
Weichen gestellt. |
Die Fraktionsebene ist der letzte Arbeitsbereich im
Reichstagsgebäude. Von unten bis oben, vom Erdgeschoss mit
seinen Funktionsräumen, technischen Einrichtungen und
Diensten, auch mit den Arzträumen, über die Plenarebene,
dann den Besucherbereich und darauf der Präsidialebene bis zu
der Etage für die Fraktionen ist alles zweckmäßig
aufgeteilt, auch mit möglichst kurzen und direkten Wegen
– und immer auf das Zentrum angelegt: auf den Plenarsaal in
der Mitte des Gebäudes. Der neue Sitz des Bundestages ist ein
klar gegliedertes Arbeitsgehäuse.
Über dem Fraktionsbereich als oberstem Stockwerk liegt dann
schon die Dachterrasse samt einem Restaurant für die Besucher
– und jene Glaskuppel, die sofort zum Wahrzeichen des
Bundestages im umgestalteten Reichstagsgebäude, wenn nicht
überhaupt zum Symbol der Hauptstadt Berlin geworden ist. Tags
glänzt sie, nachts leuchtet sie über der Stadt.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Das in der Kuppel befindliche Lichtumlenkelement mit
seinen 360 Spiegeln versorgt den Plenarsaal mit
Tageslicht. |
In ihrer technischen Funktion bringt die Kuppel, zumal durch das
trichterförmige Lichtumlenkelement in der Mitte mit seinen 360
Spiegeln, zusätzliches Tageslicht in den Plenarsaal. Umgekehrt
transportiert der bis ins Plenum reichende Trichter die Abluft des
Saales nach oben ins Freie. Die Kuppel ist nicht geschlossen,
sondern am unteren und oberen Rand offen, ein leichtes und luftiges
Rund, wie eine schwebende Raumhülle. Vor allem aber bietet sie
jene einzigartige Attraktion, die alle anzieht: Sie kann begangen
werden. Die beiden an ihrer Innenseite in Spiralen sanft
ansteigenden oder abfallenden Rampen führen zu einer
Aussichtsplattform hinauf und wieder hinunter, von der aus, wie
auch von der Dachterrasse, der Blick über ganz Berlin geht,
ein großes Panorama.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Auch auf diese Weise wird eingelöst, was im Giebel
des Hauptportals steht: "Dem Deutschen Volke". |
Das Gefühl der Beschwingtheit und Weite, das die Kuppel
vermittelt, ist schon oft beschrieben worden, ebenso wie die
Möglichkeit, dem Parlament buchstäblich aufs Dach zu
steigen. Ihre lichte Konstruktion und ihre Zugänglichkeit
für jedermann nehmen ihr jeden herrschaftlichen Charakter, wie
er sonst Kuppelbauten kennzeichnet. Ob nun direkt durch die weit in
den Plenarsaal hineinreichenden Tribünen oder indirekt durch
die gläserne Haube über dem Plenum – wohl kein
anderes Parlament öffnet sich Besuchern so sehr wie der
Deutsche Bundestag im historischen Reichstagsgebäude. Auch auf
diese Weise wird eingelöst, was im Giebel des Hauptportals
steht: "Dem Deutschen Volke".